Welchen Einfluss Alt-Nazis auf das Justizministerium hatten
BMJV/Thomas Koehler/photothek
Das Justizministerium war in der Nachkriegszeit stark mit alten Nazis durchsetzt. Das ergab eine wissenschaftliche Untersuchung, die das Justizministerium 2012 selbst in Auftrag gegeben hatte. „Diese personelle Kontinuität hat den demokratischen Neubeginn belastet und verzögert“, sagte jetzt Justizminister Heiko Maas (SPD), der den Bericht am Montag in Berlin vorstellte. Er zollte seiner Vorgängerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, explizit „Dank und Respekt“. Sie habe die systematische Aufarbeitung 2012 angestoßen – „ohne politische Rücksichtsnahmen“.
Drei Viertel der Führungskräfte waren NS-belastet
Die Zahlen sind eindeutig. Von 1949 bis 1973 waren 53 Prozent der näher untersuchten Führungskräfte (ab Referatsleiter) ehemalige Mitglieder der Nazipartei NSDAP. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit war der Anteil sogar kontinuierlich angestiegen. „Ende der 50er-Jahre hatten drei Viertel der Führungskräfte im Ministerium eine NS-Belastung“, erklärte der Historiker Manfred Görtemaker.
Dabei war Thomas Dehler (FDP), der erste Justizminister nach dem Krieg, völlig unverdächtig. Da er mit einer Jüdin verheiratet war, hatte er in der NS-Zeit selbst Probleme. Sein Staatsekretär Walter Strauss (CDU) war im Dritten Reich aufgrund seiner jüdischen Geburt sogar aus der Justiz entfernt worden.
Rechtstechnische Fähigkeiten waren wichtiger als rechtsstaatliche Gesinnung
Beim Aufbau des neuen Ministeriums achteten Dehler und Strauss aber weniger auf rechtstaatliche Gesinnung, sondern mehr auf rechtstechnische Fähigkeiten. Entscheidend waren gute Examen, Erfahrungen in ministerieller Arbeit und die Zugehörigkeit zu bestimmten regionalen Netzwerken. NS-Verstrickungen interessierten kaum.
Doch das Justiministerium beschäftigte nicht nur alte Nazis, es half ihnen auch vor Gericht. Ab 1950 gab es eine „Zentrale Rechtsschutzstelle“, die Deutsche unterstützte, die im Ausland wegen NS-oder Kriegsverbrechen vor Gericht standen. 1953 wanderte die Stelle vom Justizministerium ins Auswärtige Amt.
Wie NS-Recht in der Bundesrepublik weiterlebte
Görtemaker und sein Co-Autor, der Rechtsprofessor Christoph Safferling, betonten, dass die personelle Besetzung des Justizministeriums durchaus auch Auswirkungen auf die Nachkriegspolitik hatte. So blieb die im Nationalsozialismus verschärfte Strafbarkeit der Homosexualität noch bestehen, als andere Staaten längst das Sexualstrafrecht liberalisierten.
Das von den Allierten aufgehobene politische Strafrecht wurde alsbald wieder eingeführt und nur leicht abgemildert. In der Folge wurde gegen hundertausende Kommunisten ermittelt. „Antikommunismus war der Kitt der Nachkriegs-Zeit. Wer sich hier bewährte, konnte auch alter Nazi sein“, so Christoph Safferling.
Organisierter Verfassungsbruch unter Mitarbeit des Justizministeriums
Ab 1959 arbeitete das Ministerium an einem neuen geheimen Kriegsrecht. Am Ende lagen in den Schubladen des Hauses 45 Notverordnungen bereit. Im Kriegsfall wäre zum Beispiel wieder eine polizeiliche Vorbeugehaft eingeführt worden, eine Neuauflage der NS-Schutzhaft. „Das war ein organisierter Verfassungsbruch und das Verfassungsministerium arbeitete mit“, zeigte sich Minister Maas empört. Diese Pläne wurden später freilich durch die deutlich rechtstaatlicheren Notstandsgesetze ersetzt.
Möglicherweise hat der Ministerialdirigent Eduard Dreher 1968 gezielt eine Ausweitung der Verjährung für NS-Mordgehilfen eingefädelt. Lange ging man von einem Lapsus des Gesetzgebers aus, doch Safferling glaubt, dass dem erfahrenen Strafrechtler Dreher ein derartiger Fehler nicht passiert wäre. Zudem hatte Dreher ein persönliches Motiv. Denn im Dritten Reich war er als Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck an mehreren Todesurteilen beteiligt. Im sich wandelnden Klima der 60er-Jahre musste er damit rechnen, doch noch wegen Beihilfe zum Justizmord verurteilt zu werden.
SPD und Studentenbewegung brachten die Wende
Erst ab Ende der 60er-Jahre wehrte sich das Ministerium aktiv gegen den Einfluss der Ex-Nazis. In der Großen Koalition war nun auch die SPD an der Regierung beteiligt. Der Eichmann-Prozess in Israel und der Auschwitz-Prozess in Frankfurt hatten die Öffentlichkeit sensibilisiert. Die Studentenbewegung stellte die bislang vorherrschende Schlussstrich-Mentalität offensiv in Frage.
Doch es dauerte noch Jahrzehnte bis diese Phase der deutschen Rechtspolitik untersucht wurde. Der Auftrag von Leutheusser-Schnarrenberger war dem Vorbild des Auswärtigen Amtes gefolgt, das 2010 als erstes Ministerium einen Bericht über seine Verstrickung in und nach der NS-Zeit vorgelegt hatte.
Freie Hand für die Wissenschaftler
Das heutige Justizministerium hat den Wissenschaftlern völlige Freiheit bei der Untersuchung zugebillgt. Görtemaker und Safferling konnten alle Personalakten auswerten, Verschlusssachen wurden freigegeben. „In manchen Personalakten fanden wir verschlossene Briefe“, erinnerte sich Safferling. Auch solche Schriftstücke durften sie öffnen. Darin fanden sich teilweise medizinische Gutachten, aber auch heikle Unterlagen, etwa über die Verwicklung in Arisierungen. Görtemaker und Safferling nannten ihre 592-seitige Untersuchung „Die Akte Rosenburg“. Die Rosenburg war der erste Amtssitz des Justizministeriums in Bonn.
Minister Maas will nun Konsequenzen ziehen: „Auch das Unrecht der Juristen sollte Pflichtstoff der juristischen Ausbildung sein.“ Maas plant eine Initiative auf der Justizministerkonferenz, da für Ausbildungsfragen die Bundesländer zuständig sind.
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