Was Johannes Rau uns heute zu sagen hätte
„Ich wünsche mir ein vielfältiges Deutschland, das nicht fragt, woher einer oder eine kommt, sondern danach, wie wir die Zukunft gemeinsam und im Interesse aller gestalten können.“ Diesen Satz schrieb Johannes Rau zum Ende des Ramadan an die „muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger“. Es war der 8. Januar 2000. Johannes Rau war gerade sieben Monate Bundespräsident.
Er fand die richtigen Worte in einer schwierigen Zeit. Die neunziger Jahre waren geprägt von Übergriffen und Attacken auf Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens. Bei einem Brandanschlag in Solingen im Mai 1993 starben fünf Frauen türkischer Herkunft. Johannes Rau, damals Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, besuchte sofort den Tatort, spendete Trost, dachte gar an Rücktritt.
Rau fand Worte, die heute hochaktuell sind
„Ich wünsche mir, dass wir überall in Deutschland ohne Vorurteile aufeinander zugehen und uns um ein friedliches Zusammenleben bemühen, unabhängig davon, wo wir geboren sind, ob und woran wir glauben“, schrieb Rau in seiner Botschaft am 8. Januar 2000. Ein Wunsch, der 16 Jahre später weiter hochaktuell ist.
Am 27. Januar 2006 starb Johannes Rau in Berlin. Elf Tage zuvor war er 75 Jahre alt geworden. An einem Empfang seines Nachfolgers im Amt des Bundespräsidenten Horst Köhler im Schloss Bellevue konnte er schon nicht mehr teilnehmen. Die Gesundheit ließ es nicht mehr zu.
Die Trauer über den Tod Raus war weltweit groß. „In Deutschland und wahrscheinlich nicht nur dort wird Johannes Rau schmerzlich fehlen“, mutmaßte der frühere israelische Botschafter Avi Primor im „vorwärts“. „Sein Eintreten für Integration und ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen war vorbildlich und setzte Maßstäbe“, lobte der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel.
Rau sprach vor der Knesset – als erster auf Deutsch
Beide hoben vor allem Raus Verdienste um das deutsch-israelische Verhältnis hervor, war er doch der erste Bundespräsident, der vor der Knesset, dem israelischen Parlament, sprach – und das auf Deutsch. Johannes Rau traf auch hier den richtigen Ton und bat „um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen, deren Zukunft ich an der Seite der Kinder Israels sehen möchte“. Das kam an.
„Der Mann, der aus Überzeugung, als nicht politisch bedingt oder von politischer Korrektheit bedingt, ein Vorkämpfer der deutsch-jüdischen und der deutsch-israelischen Verständigung war, eroberte die Herzen der Israelis nicht nur, weil er immer wusste, wie und was man denen sagen soll, sondern weil er Ehrlichkeit und die tiefste emotionale Verbundenheit ausstrahlte“, brachte es Avi Primor im „vorwärts“ auf den Punkt.
Und Matthias Platzeck, zum Zeitpunkt von Raus Tod SPD-Bundesvorsitzender, fasste in derselben Ausgabe zusammen: „Das Lebenswerk von Johannes Rau war getragen von seiner Mitmenschlichkeit, die in seinem tiefen christlichen Glauben wurzelte.“ Er habe stets „in der selbstverständlichen Gewissheit“ gelebt, „dass das Leben ein Ziel hat“.
Hier können Sie das vorwärts-Extra zum Tod von Johannes Rau aus dem Februar 2006 herunterladen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.