Der Chefredakteur der "Bild" schäumte vor Wut: "Was sollen die Polen glauben? Dieses katholische Volk weiß, dass man nur vor Gott kniet", schrieb Peter Boenisch in einem Zeitungskommentar. Seine Empörung galt einer Szene, die als "Kniefall von Warschau" in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Als Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 Polen besuchte, legte er einen Kranz am Ehrenmal der Helden des Ghettos von Warschau nieder. Plötzlich kniete er nieder und verharrte einige Momente schweigend in dieser Pose. Die Szene steht heute symbolhaft für die Neue Ostpolitik Willy Brandts. So umstritten wie der Kniefall war damals auch seine Politik.
Vertrauen schaffen
Willy Brandt wollte zwischen den Ostblockstaaten und der Bundesrepublik eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen. Ein schwieriges Unterfangen, denn als Brandt 1969 zum Bundeskanzler gewählt wurde, waren die Beziehungen zur Sowjetunion und besonders zur DDR eisig. Der Kalte Krieg prägte die Politik der beiden deutschen Staaten. Diplomatische Beziehungen zwischen ihnen gab es nicht.
Mit einer Politik der kleinen Schritte machte sich Brandt daran, den Ost-West-Konflikt zu entschärfen. Etappen auf diesem Weg bildeten Verträge mit der Sowjetunion (1970), Polen (1970) und der Tschechoslowakei (1973). Darin erkannten die Staaten ihre jeweiligen Grenzen an und versprachen, auf gegenseitige Angriffe zu verzichten.
Im März 1970 besuchte Brandt Erfurt, um mit dem Ministerpräsidenten der DDR Willi Stoph zu sprechen - damals eine politische Sensation! Zweieinhalb Jahre später beschlossen beide Staaten den Grundlagenvertrag, in dem sie sich gegenseitig anerkannten. Sie vereinbarten, auf verschiedenen Feldern zusammenzuarbeiten - zum Beispiel bei der Zusammenführung von Familien, die durch die Mauer voneinander getrennt worden waren.
Die Deutschen stritten: Versöhnung oder Vaterlandsverrat?
In Deutschland sorgte die Ostpolitik für heftige Diskussionen. Die CDU/CSU, die Vertriebenenverbände und viele Andere warfen Brandt Verrat an der Heimat vor. Dass die Bundesregierung die Oder-Neiße-Grenze anerkannte, werteten sie als Kapitulation vor den Kommunisten. "Eine kommunistische Regierung wird von einer aus freien Wahlen hervorgegangenen deutschen Regierung ermächtigt, ein Stück Deutschland zu annektieren", kommentierte Axel Springer, nachdem Brandt den Warschauer Vertrag unterzeichnet hatte.
Auf der anderen Seite standen zahlreiche Anhänger Willy Brandts und seiner Ostpolitik. Für sie verkörperte er die Hoffnung auf dauerhaften Frieden in Europa. So sah es auch das Osloer Nobelpreis-Komitee. Am 20. Oktober 1971 - heute vor 40 Jahren - sprach es Willy Brandt den Friedensnobelpreis zu. Er habe die Hand zur Versöhnung zwischen alten Feindesländern ausgestreckt, begründete das Komitee.
Der Kanzler war tief berührt
Nach dieser Entscheidung ritt Brandt auf einer Welle der Sympathie. Die Mehrheit der Deutschen war stolz auf die Auszeichnung. Das schlug sich auch in den Wahlergebnissen nieder: Seine sozialliberale Koalition hatte Brandt 1969 nur mit hauchdünner Mehrheit bilden können. Als 1972 vorgezogene Neuwahlen stattfanden, wurde die SPD erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik stärkste Partei. 82 Prozent der Bevölkerung befürworteten laut einer Umfrage jetzt seine Ostpolitik.
Für Brandt selbst war der Friedensnobelpreis "eine Anerkennung, die mir naheging", wie er später in seinen Memoiren berichtete. Als er den Preis entgegen nahm, sagte er übrigens etwas, das er 40 Jahre später genau so hätte wiederholen können: "Ein guter Deutscher weiß, dass er sich einer europäischen Bestimmung nicht versagen kann. Durch Europa kehrt Deutschland heim zu sich selbst und den aufbauenden Kräften seiner Geschichte. Unser Europa, aus der Erfahrung von Leiden und Scheitern geboren, ist der bindende Auftrag der Vernunft."
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.