Geschichte

"Übermütig, verblendet, verführt"

von Carl-Friedrich Höck · 3. Juli 2014

Mit einer Gedenkstunde erinnerte der Deutsche Bundestag am Donnerstagmorgen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Bundestagspräsident Lammert kritisierte den Burgfrieden des damaligen Parlaments. 

„Was geht uns der Erste Weltkrieg an?“, fragte Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Beginn seiner Rede. Während der Krieg in anderen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien einen großen Platz in der Erinnerungskultur einnehme, seien die Ereignisse zwischen 1914 und 1918 in Deutschland „von den späteren Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur überlagert“.

Die Antwort auf seine Frage gab Lammert dann selbst. „Wir sind die Enkel und Urenkel derjenigen, die in den Krieg zogen.“ Diese seien übermütig, verblendet und verführt gewesen und hätten gehofft, mit einem Krieg alle Kriege beenden zu können. Die bisherige Welt sei verloren gegangen. Mit den USA und Japan hätten sich neue weltpolitische Akteure etabliert, während mit dem Osmanischen Reich und den Habsburgern alte Weltreiche verschwunden seien. Die Kämpfe „beendeten alte Konflikte und schufen neue Krisenregionen“, so Lammert.

Die Rolle des deutschen Parlaments sei durch den Burgfrieden geschwächt worden. Die Abgeordneten hätten zentrale Kompetenzen an die Exekutive abgegeben. „Es war im wahrsten Wortsinn ein Ermächtigungsgesetz“, so Lammert. Heute habe das Parlament das letzte Wort, wenn über bewaffnete Einsätze entschieden werde. Aus dem Krieg hätten die Deutschen erst sehr viel später gelernt, „dass militärische Maßnahmen grundsätzlich kein geeignetes Mittel für politisch gewollte Veränderungen sind“.

Lammert verurteilt deutschen Einmarsch in Belgien

In Deutschland hat das Buch „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark eine neue Debatte über die Verantwortung für den Kriegsausbruch ausgelöst. Darauf ging Lammert nur am Rande ein. Viele Schuldzuweisungen seien „so simpel wie unzureichend“, sagte er. Der Krieg habe komplexe Ursachen. Für die Schrecken des Krieges falle dem Kaiserreich und dem deutschen Militär jedoch ein großer Teil der Verantwortung zu. Dabei verwies der Bundestagspräsident unter anderem auf den völkerrechtswidrigen Einmarsch in Belgien und die von Deutschen begangenen Hinrichtungen und Verbrechen. Der Weg in den Ersten Weltkrieg zeige die Bedeutung supranationaler Organisationen auf, „die wir nun haben und längst lästig finden“.

Zahlreiche internationale Gäste verfolgten die Veranstaltung im Plenarsaal des Bundestages, darunter auch der ehemalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und der deutsche Ex-Präsident Richard von Weizsäcker. Neben Lammert sprach auch der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser zu den Abgeordneten und Gästen.

Auf Christopher Clarks Buch anspielend sagte Grosser: „In Deutschland freut man sich zu lesen, dass die Deutschen nicht allein verantwortlich waren.“ Tatsächlich seien viele Länder mitverantwortlich. Eine Besonderheit sei jedoch die bedeutende Rolle des Militärs in der deutschen Gesellschaft gewesen. 

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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