So kam es 1994 zum Neustart des „vorwärts“
Im Januar 1994 übernehme ich die Geschäftsführung des Unternehmensbereichs der SPD. Die damalige Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier hat jemanden gesucht, der Führungserfahrung im Verlagswesen nachweisen kann und auch Sozialdemokrat ist. Irgendjemand hat ihr dann den Tipp gegeben, sich mit mir zu unterhalten.
Der „vorwärts“ im Superwahljahr 1994
Gleich zu Beginn mache ich mich daran, mir einen Überblick über die parteinahen Firmen zu verschaffen. Und zu diesen gehört eben auch der Vorwärts-Verlag – in dieser Zeit noch in Bonn.
Mein erster Eindruck ist: suboptimal. Der „Vorwärts“ (damals noch groß geschrieben!) ist mit dem SPD-Mitgliedermagazin „Sozialdemokrat“ verschmolzen. Der Vorwärts-Verlag ist für das Anzeigengeschäft verantwortlich und organisiert Druck und Versand. Die Redaktion selbst sitzt in der „Baracke“, der damaligen Parteizentrale, und steht auch auf der Gehaltsrolle des Parteivorstands. Daneben gibt es ein weiteres wichtiges Objekt des Verlags: die DEMO. Eine genaue Analyse von „Vorwärts“ und Verlag zeigt: Die Parteizeitung, aus der Parteizentrale heraus produziert, hat über die Jahre Leser verloren, der Verlag ist defizitär. Keine leichte Aufgabe also.
Es heißt: Ärmel hochkrempeln und loslegen. Aber das ist zu dem damaligen Zeitpunkt nicht so einfach. Denn 1994 ist das „Super-Wahljahr“! Die Partei steht unter Dauerstrom. Neben der Europawahl im Juni stehen auch noch acht Landtagswahlen sowie Kommunalwahlen in insgesamt neun Bundesländern an. Und über all dem schwebt die bevorstehende Bundestagswahl am 16. Oktober 1994: Die Wahl, in der unser damaliger Parteivorsitzende Rudolf Scharping als Kanzlerkandidat Helmut Kohl nach zwölf Jahren als Kanzler ablösen will. In diesem sehr entscheidenden Umfeld fangen wir an, den „Vorwärts“ umzubauen. Wir, das ist neben mir Frank Suplie, der 2002 bei einem Motorradunfall ums Leben kommt.
Es gibt drei Optionen
Nach genauer Betrachtung ist uns klar: Es gibt drei Möglichkeiten. Eine Option besteht darin, den „Vorwärts“ einzustellen. Eine zweite, resigniert sinkende Akzeptanz und steigende Defizite hinzunehmen. Und die dritte Option ist die Idee, ihn komplett zu erneuern mit dem Ziel, über ein attraktiveres Blatt mehr Leser zu gewinnen und mit mehr Lesern das Anzeigengeschäft zu verbessern. Frank und ich entscheiden uns für die dritte Option.
Mit Frank Suplie habe ich bereits bei Gruner+Jahr zusammengearbeitet. Er ist ein kluger, politischer und kreativer Kopf. So einen brauche ich, um den „Vorwärts“ von Grund auf zu erneuern. Zusammen machen wir uns daran, dafür ein Konzept zu entwickeln und zermartern uns so manche Stunde das Hirn.
Im Zentrum der Restrukturierung steht eine Formatänderung des Blattes: Bis dato erscheint der „Vorwärts“ im „Magazin-Format“, wie heute etwa „Der Spiegel“ oder der „stern“, gedruckt auf „aufgeweißtem“ Papier. Die Folge: Die Produktion ist wegen des Papiers teuer und wegen des Magazinformats sehr zeitintensiv – was zu Lasten der Aktualität geht. Wir entscheiden uns daher, den „Vorwärts“ künftig im Zeitungsdruck herzustellen, in dem „1/2 rheinischen Format“, also jener Größe, in der der „vorwärts“ heute noch erscheint – von nun an übrigens ganz modern mit klein geschriebenem Titelzug.
Mehr Platz durch neues Format
Die Entscheidung für eine „Vergrößerung“ des Blattes liefert erstmalig die Möglichkeit, den redaktionellen Stoff auch mit Infografiken anzureichern. Eine Methode, von der man beim „vorwärts“ dann reichlich Gebrauch macht.
Inhaltlich wollen wir den „vorwärts“ wieder näher an die Leser – also die Parteimitglieder – heranführen. So werden Berichte über Aktionen einzelner Ortsvereine oder anderer Untergliederungen ein fester Bestandteil im redaktionellen Konzept – die heutige Rubrik „Partei leben“ ist geboren. Prominente Parteigrößen kommen in Features oder Interviews zu Wort. Ein neues Redaktionsteam, das nicht mehr vom Parteivorstand bezahlt wird, macht sich an die Arbeit. Unser Ziel ist es, mit dem „vorwärts“ Nachrichten sozialdemokratischen Inhalts zu produzieren, lupenrein von den eigenen Parteigrößen geliefert, was bis heute nicht immer einfach ist. Deshalb heißt unser Slogan damals: „vorwärts: Nachrichten direkt vom Erzeuger!“ Außerdem soll der „vorwärts“ wieder kampagnenfähig werden, will heißen, er soll wieder mehr Relevanz für die Wahlkämpfe bekommen. Insofern schließt sich hier der Kreis: Der neue „vorwärts“ kommt gerade passend zum Superwahlkampfjahr.
Im Sommer stellen wir das Konzept Rudolf Scharping, Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen und Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier vor – und erhalten ohne weitere Vorgaben die Freigabe zur Umsetzung des neuen Konzepts. Dass Konzept muss überzeugt haben, denn Rudolf Scharping schließt unsere Präsentation mit den Worten: „Dann schiebt das doch mal an!“
ist seit 1994 Geschäftsführer der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (ddvg), der SPD-Medienbeteiligungsgesellschaft.