Geschichte

Sich als Akteur sehen

von Franz Viohl · 11. Juli 2011
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"Ja, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, gibt es schon einige Unterschiede zu meiner Schwester, die 1992 geboren ist", sagt Therese Suckow. "Und seien es nur die Spielzeuge." Aber welche Unterschiede das sind, das könne man schwierig in Worte fassen, findet die junge Frau, Jahrgang 1985, aus Halle/Saale. Damit geht es ihr wie vielen anderen Ostdeutschen ihrer Generation, die sich vom 8. bis 10. Juli zum ersten Mal als eine solche zusammenfanden. Doch gibt es sie überhaupt, die "3te Generation Ost"?

Geteilte Erinnerungen

Von gemeinsamen Erinnerungen an den Osten erzählen Katarina Günther und Henrik Schober. Einsame Dörfer, Badeöfen, Pflastersteine, Herzlichkeit, hohes Gras - das seien weniger Bilder als vielmehr "ein Gefühl, das umso stärker wird, je weiter man weg ist", sagen sie. Was aber bringt die jungen Menschen jenseits eines solchen Gefühls dazu, über ihre Vergangenheit und ihre gesellschaftliche Rolle zu reflektieren?

Es sind die Erfahrungen, in zwei Gesellschaften aufgewachsen zu sein und sich zurecht finden zu müssen mit neuen Realitäten. "Viele unserer Eltern hatten enorme Orientierungsschwierigkeiten", sagt Adriana Lettrari, die das Treffen mitinitiiert hat. Die vereinigte Bundesrepublik, eine "Gesellschaft, deren Prinzipien uns niemand erklärt hat", so Lettrari, habe Anpassung verlangt. Diesem Druck haben viele nachgegeben und ihren Wohnort wegen Arbeit oder Studium gewechselt. Obwohl in verschiedenen Regionen aufgewachsen, leben knapp 60 Prozent von ihnen in Berlin.

"Die Generation ist Teil einer Abwanderungswelle und viele haben internationale Karriere gemacht", betont Lettrari und will damit auch der Rede eines "Klischee-Ossis" entgegentreten. Es müsse darauf hingewiesen werden, dass die meisten ihren Weg ohne Startkapital gegangen seien. Die Berichterstattung der Medien bilde diese Erfahrungen nicht ab. "Ostalgie" aber wolle man nicht betreiben.

Unterrepräsentanz in den Medien

Auch aus diesem Grunde wird das Projekt "3te Generation Ost" von der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt. Deren Sprecher Ulrich Mählert erklärt: "Zur Aufarbeitung muss auch das Selbstbild jener Generation zählen, die der Akteur des Wandels war." Und als Akteur, so lässt sich hinzufügen, kommen die Ostdeutschen selten in der Öffentlichkeit vor. Bei Anne Will würden Westdeutsche über Ostdeutsche reden, sagen die Veranstalter. Das wollen sie ändern - nicht zuletzt mit dem Treffen.

"Es geht hier nicht darum, uns abzugrenzen oder die Geschichte neu zu bewerten", sagt auch Therese Suckow. Aber es sei an der Zeit, sich den Diskurs zu eigen zu machen. Sie sieht auch die Behauptung der Veranstalter kritisch, die jungen Ostdeutschen seien weniger individualistisch. Durch ihre ganz eigenen Lebenswege, über die sich die Teilnehmer des Treffens an diesem Wochenende austauschen, entstehe vielmehr das Bild einer sehr heterogenen Generation.

Der Begriff "Generation" müsse indessen erst einmal geklärt werden, findet Professor Lothar Probst aus Bremen. Statt auf einen Alterszyklus beziehe er sich im Fall der dritten Generation Ost eher auf gemeinsame Erlebnisse oder so etwas wie ein "Familiengedächtnis". Das werde an der Debatte um die Charakterisierung der DDR als "Unrechtsstaat" deutlich: "Sie ist strukturell zutreffend, wird aber von manchen Ostdeutschen abgelehnt, weil sie damit ihre oft positiven persönlichen Erinnerungen in Gefahr sehen." Probst legt den Finger in die Wunde: "Worauf kann der Anspruch, eine eigene Generation zu sein, gegründet werden?"

Nicht nur ein Blick zurück

Auf diese Frage gaben die Teilnehmer im Laufe des Treffens verschiedene Antworten. Gemeinsam war ihnen, dass sie ihre Herkunft nicht als etwas ansehen, das zu verbergen ist. Ein Bekenntnis zur eigenen Geschichte war aber nur eines ihrer Anliegen. Unter den Stichworten "Gegenwart analysieren" und "Zukunft gestalten", denen jeweils ein Tag des Treffens gewidmet war, ging es darum, wie die Erfahrungen eines jeden in die Gesellschaft von heute eingebracht werden können.

Ohne zu denken "Dritte Generation Ost, das hat etwas mit meinem Leben zu tun" wären wohl kaum 130 Menschen gekommen, sagt Adriana Lettrari. Dass das Bedürfnis sich auszutauschen größer war als der Wunsch, sich ein Programm zu geben, zeigten die angeregten Diskussionen bei und neben der Veranstaltung. Damit aber dürfte ein erster Schritt auf dem Weg gemacht sein, zu einer Generation zu werden. Die 25- bis 35-jährigen Ostdeutschen haben sich zu Wort gemeldet. Der Dialog mit Jüngeren und Älteren aus Ost und West hat gerade erst begonnen.

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