Geschichte

Platzeck: Demokraten geht es nicht um Rache

von Die Redaktion · 7. November 2009
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Roter Adler: Der Entschluss, in Brandenburg Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei zu führen, hat eine breite Debatte ausgelöst. Haben Sie damit gerechnet?

Matthias Platzeck: Ich weiß, dass die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei nicht bei allen Brandenburger Sozialdemokraten auf Zustimmung stößt. Es ist eine notwendige Debatte, die ich gerade jetzt, genau zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution in der DDR, sehr begrüße. Die Diskussion kann unsere Gemeinschaft nur stärken.

Hat die Brandenburger SPD ihre Koalitionsabsicht vor der Wahl verheimlicht?

Ganz klar: nein. Wir haben im Wahlkampf stets betont, nach dem 27. September mit allen in Frage kommenden demokratischen Partnern zu verhandeln. Eine Koalitionsaussage haben wir ausdrücklich nicht getroffen. Alle Wählerinnen und Wähler wussten, dass auch die Linkspartei für uns ein denkbarer Koalitionspartner ist. Auch die CDU wusste das. Jetzt ist es so gekommen. Das ist das legitime Ergebnis einer gewissenhaften politischen Abwägung.

Die CDU behauptet, die Entscheidung sei ein "Verrat" an den Werten von 1989…

Nichts weniger als das. Wir verfolgten 1989 überall in Europa das Ziel, endlich in "ganz normalen" freiheitlichen Demokratien leben zu können. Wir haben seinerzeit auch die SED aufgefordert, sich freien Wahlen zu stellen. Bei allen früheren Verletzungen und bleibenden Narben, die mir keineswegs fremd sind: Zum Leben in der freiheitlichen und pluralistischen Demokratie gehören die Bereitschaft und die Fähigkeit, eben nicht mehr in den Freund-Feindkategorien der Diktatur zu denken. Gegen dieses Denken richtete sich die Revolution von 1989 doch gerade!

Wie wichtig ist Versöhnung für unsere Demokratie?

Ich meine: Gerade hierauf kommt es jetzt an. Demokratie ist auch eine Geisteshaltung, die Dazulernen, Läuterung, positive Entwicklung stets für möglich hält und immer anstrebt. Demokraten geht es nicht um "Rache" - es geht ihnen um Integration, um Einbeziehung, um zweite Chancen. Wo solche zweiten Chancen aufgegriffen und wahrgenommen werden, tun überzeugte Demokraten gut daran, guten Willen zu honorieren. Demokratie heißt auch, die bisherige Opposition in die Plicht und Verantwortung zu nehmen. "Nein"-Sagen reicht jetzt nicht mehr.

Steht jetzt eine "Schlussstrichkoalition" auf der Tagesordnung?

Im Gegenteil: Wir werden uns mit der DDR-Geschichte weiter auseinandersetzen. Die aktuellen Diskussionen sind dafür von elementarer Bedeutung. Die Lebenswirklichkeit und das politische System der DDR werden in unseren Schulen künftig stärker kritisch zum Thema gemacht. Das Land wird einen Stasi-Beauftragten bekommen. Der Landtag hat bereits beschlossen, dass die Abgeordneten des nun gewählten Landtages auf ihre Vergangenheit überprüft werden.

Sind bei der Entscheidung für oder gegen die Linkspartei als Partner der SPD nur historische Faktoren von Bedeutung?

Gerade nicht! Ebenso wichtig für unsere Koalitionsentscheidung waren zukunftsbezogene Gründe. Die Gespräche haben gezeigt, dass es für uns Sozialdemokraten mit der Brandenburger Linkspartei in vielen Fragen der praktischen Politik derzeit eine deutlich größere Übereinstimmung gibt als zwischen uns und der CDU. Das betrifft beispielsweise Fragen der sozialen Gerechtigkeit, den Mindestlohn, das Schüler-BAföG oder gleiche Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Die CDU fand sich in diesen Punkten zwar widerstrebend zu Formelkompromissen bereit, war aber nicht mit Überzeugung bei der Sache.

Welche Rolle spielte die Situation der CDU?

Auch das war von Bedeutung. Die Brandenburger Christdemokraten befinden sich bekanntermaßen in einer komplizierten Umbruchsituation. Der - bei allen inhaltlichen Differenzen, die wir hatten - stets verlässlich agierende Jörg Schönbohm tritt in seinen verdienten Ruhestand. Unsere Sondierungsgespräche mit der CDU ergaben deutliche Anzeichen dafür, dass die Partei aufgrund ihrer ungeklärten inneren Konstellation ein unsicherer Koalitionspartner sein könnte. Angesichts der schwierigen Entscheidungen der kommenden Jahre braucht Brandenburg aber Stabilität.

Wie reagiert die Wirtschaft auf die aktuelle Entwicklung?


Sehr gelassen - zu recht. Da und dort ist zwar die Vermutung formuliert worden,als Regierungspartei könnte sich die LINKE wirtschaftsunfreundlich gebärden. Ich bin jedoch sicher, dass dies nicht der Fall sein wird. Keine andere Partei steht auf diesem Gebiet so sehr unter Beobachtung wie die Linkspartei. Auch dort begreift man: Was immer verteilt werden soll, muss zunächst erwirtschaftet werden. Deshalb wird auch die nächste Landesregierung die Wirtschaftsförderung nach dem bewährten Prinzip "Stärken stärken" betreiben, unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen energisch unterstützen und zukunftsträchtige Unternehmen von den Vorzügen Brandenburgs überzeugen. Auch die Modernisierung der Verwaltung wird systematisch fortgesetzt.

Können Sie die zum Teil geäußerten Bedenken der Menschen verstehen?


Insgesamt bedeutet eine Koalition mit der Linkspartei für manche bei uns in Brandenburg eine ungewohnte, auch eine zunächst beunruhigende Aussicht. Doch der Weg der Versöhnung ist für unser Land besser als der Weg der verhärteten Konfrontation. Allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern gebe ich mein Wort: Unverantwortliche Experimente wird es nicht geben. Ich bitte alle darum, die künftige Landesregierung an ihrem konkreten Handeln zu messen. Dann wird sich zeigen: Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer ist Brandenburg auf einem guten Weg.

Quelle: "Roter Adler", Mitgliederzeitung der SPD Brandenburg. www.spd-brandenburg.de

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