„Keene Molle schmeißt der Olle, wenn er Dir so sieht“
Nach der prächtig illustrierten, jedoch mitunter glättenden und aussparenden Biographie von Karl Siebig, die 1987 im Ostberliner Henschel Verlag erschien, schöpft Jochen Voit nun aus der Fülle des Materials, das er erschlossen hat. Ungehindert von politischer Rücksichtnahme legt er eine akribische, gleichwohl flüssig geschriebene und kurzweilig zu lesende Biographie voll überraschender Details vor und entzieht vielen Legenden um Busch den Boden.
Von der Werft ans Theater
Ein typisch proletarischer Lebenslauf, doch die Suche nach dem Ausweg beginnt früh: Am 22. Januar 1900 in Kiel geboren, arbeitet Ernst Busch als Maschinenschlosser auf der Germaniawerft. Er engagiert sich in der Arbeiterjugend, tritt der SPD bei, wechselt 1919 zur USPD. Neben der Arbeit nimmt er Schauspiel- und Gesangsunterricht. 1921 beginnt er als Volontär am Kieler Stadttheater, weitere Engagements folgen. 1927 kommt Busch nach Berlin, an die theaterrevolutionäre Bühne von Erwin Piscator.
Zugleich werden seine Songs zu Ohrwürmern: Aufmüpfiger Inhalt mit schmissiger Musik "zum Mitsingen". Zahllose Auftritte bei Arbeiterversammlungen, mit dem Komponisten Hanns Eisler am Klavier, machen ihn populär. Der Theaterkritiker Alfred Polgar beschreibt Ernst Busch treffend als "Jung-Siegfried in der KPD". - Auch wenn Ernst Busch tatsächlich erst 1945 der Kommunistischen Partei beitritt.
Schauspieler, Sänger, Verfolgter
Von 1930 bis 1933 spielt er in einem Dutzend Filmen mit, in neun davon singt er. 21 Lieder nimmt er auf Platte auf. Ernst Busch ist auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen. Vor der drohenden Verfolgung gelingt ihm die Flucht, die ihn insgesamt in zehn Länder führt. Wo es nur irgend geht singt er, nimmt Platten mit politischen Liedern auf, etwa das "Einheitsfrontlied".
1935 erreicht Busch Moskau. Während seines sechzehnmonatigen Aufenthaltes wird er zum populärsten deutschen Sänger - gegen den Faschismus und für den Kommunismus. Er zollt den Schauprozessen gegen die alte Garde der Revolution Tribut. "Noch nie gab es ein gerechteres Urteil", erklärt er und spricht von "trotzkistischen Strolchen". Über welche Abgründe er dabei gegangen sein mag, lässt sich einer Notiz in Buschs Nachlaß entnehmen: "Dreimal haben mir meine sowjetischen Freunde - Michail Kolzow, Annenkowa, Maria Osten - das Leben gerettet", notiert er. - Alle drei fielen Stalins Terror zum Opfer.
1937/38 ist Busch in Spanien. Der Republik, gegen die General Franco 1936 geputscht hat, eilen Freiwillige aus aller Welt zur Hilfe und sammeln sich in den Internationalen Brigaden. Sie sind beseelt von der Hoffnung, die Aufständischen, die von Deutschland und Italien massiv unterstützt wurden, zu besiegen - und damit den Faschismus. Busch singt im Radio und bei den Brigaden, schreibt die "Canciones de las brigadas internacionales", arbeitet an Plattenaufnahmen.
Haft in Berlin
In Antwerpen wartet Busch vergeblich auf ein Visum für die UdSSR oder die USA. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1940 schieben die belgischen Behörden ihn als "unerwünschten Ausländer" nach Frankreich ab. Er wird in den Lagern Saint Cyprien und Gurs interniert. Zwar gelingt ihm die Flucht, doch an der Grenze zur Schweiz wird er verhaftet, an die Gestapo in Paris ausgeliefert und im März 1943 in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit überstellt.
Bei einem Bombenangriff erheblich verletzt ("Schiefes Maul, halbes Ohr und ewig das Geräusch einer Strandmuschel im Ohr", notiert Busch), wird er, da seine Platten dem Gericht unbekannt sind, und dank der Hilfe der von Gründgens organisierten Anwälte "nur" wegen Hochverrats verurteilt. Aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden befreit ihn am 27. April 1945 die Rote Armee.
DDR und musikalisches Vermächtnis
In der DDR wird aus dem rebellischen Volkssänger ein Staatskünstler. Die "multiple Personifizierung" dessen, was in der DDR "40 Jahre als heilig gelten würde: Arbeiter, Revolutionär, Antifaschist, Repräsentant der deutsch-sowjetischen Freundschaft, Spanienkämpfer - mehr ging nicht."
Doch im Laufe der Zeit wird Busch immer misstrauischer und cholerischer. Besucher traktierte er mit seinen Tonbändern; in den letzten 20 Jahren seines Lebens arbeitete er besessen und immer unzufrieden an seinem musikalischen Vermächtnis, der "Chronik in Liedern, Balladen und Kantaten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts."
Ein Monument zum Leben erweckt
Am 17. Februar 1977 tritt Busch zum letzten Mal auf. Sein Ende ist bedrückend: "Irgendwann", so erinnert sich die Witwe Arnolt Bronnens, "ist er nur mehr zu Hause gesessen und hat seine eigenen Platten gedröhnt, alle Fenster offen, und ganz Niederschönhausen hat die Lieder vom Busch gehört." Busch ist an Demenz erkrankt. Im Frühjahr 1977 kommt er in die Psychiatrische Klinik in Bernburg, wo er am 8. Juni 1980 stirbt.
Jochen Voit hat mit seiner Biografie einem zum Monument Erstarrten wieder Leben eingehaucht. Zahlreiche Interviews, die er im Umkreis von Ernst Busch geführt hat, sind unter www.erinnerungsort.de nachzulesen. Aus der Schatzkammer des Ernst-Busch-Archivs der Akademie der Künste hat er eine CD ediert. "Ernst Busch live in Berlin 1960" ist der Mitschnitt einer Veranstaltung zum 60. Geburtstag, der einen glänzend aufgelegten und lockeren Sänger zeigt, gottlob nur mit Klavierbegleitung, ohne Massenchor und Riesenorchester.
Jochen Voit: "Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch, Die Biographie", Berlin, Aufbau Verlag, 2010, 515 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-351-02716-2