Geschichte

Isolierte Fakten statt roter Faden

von Tomas Unglaube · 28. August 2010
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Auf 60 großformatigen Seiten will Osteroth seine 10- bis 12-jährigen Leserinnen und Leser über Geschichte und Gegenwart Deutschlands informieren. Im ersten Abschnitt gibt der Verfasser auf 30 Seiten anhand ausgewählter Epochen einen Überblick über die deutsche Geschichte bis zur Gegenwart. Die Auswahl der Epochen ist gelungen: Germanen und Römer, das Mittelalter, die Reformation, die Aufklärung, das frühe 19. Jahrhundert, die Zeit Bismarcks, der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus, BRD und DDR werden in der Regel jeweils auf einer Doppelseite abgehandelt.

Das Handeln großer Männer

Misslungen ist die Darstellung selbst. Statt exemplarisch Zusammenhänge zu erläutern und Verbindungen zwischen den Werten der Französischen Revolution, der Verfassung von 1848/49 und dem Grundgesetz aufzuzeigen, wird langatmig isoliertes Faktenwissen präsentiert. Reihenweise werden deutsche Städte aufgeführt, die römischen Ursprungs sind, statt an einem Beispiel den Zusammenhang zwischen der römischen Siedlung, ihrem Namen und der deutschen Stadt zu erläutern.

Fünf Zeilen lang werden mittelalterliche Handwerksbezeichnungen aufgelistet, die Rolle von Zünften, Gesellen und Meistern aber wird mit keinem Wort erwähnt. Überhaupt kommt die Alltagsgeschichte der normalen Menschen in Osteroths Darstellungen viel zu kurz. Immer wieder werden historische Ereignisse im Stil eines Geschichtsbuchs der 50er Jahre beschränkt auf das Handeln großer Männer: "Katholiken und Sozialdemokraten mochte er gar nicht", ist nicht nur aus SPD-Sicht eine mehr als problematische Reduzierung der Innenpolitik Bismarcks gegenüber seinen Gegnern.

Sachliche Fehler

Hinzu kommen sachliche Fehler und Ungenauigkeiten: Anton von Werners berühmtes Bild zur Kaiserproklamation 1871 gibt gerade nicht den historischen Sachverhalt wieder; die Nürnberger Gesetze von 1935 richteten sich nicht gegen die jüdische Religion, sondern waren rassistisch begründet; die CSU ist eine eigenständige Partei; der Bundesrat ist nicht die Länderkammer des Bundestages; …

Im zweiten Abschnitt stellt Osteroth auf drei Doppelseiten die Landschaften Deutschlands vor. Die Auswahl der angesprochenen Themen wirkt beliebig. So erfährt der junge Leser zwar, wie die wichtigsten deutschen Rebsorten heißen und welche Namen Weinlagen an Rhein und Mosel haben, die Metropolregion Berlin-Brandenburg aber wird mit keinem Wort erwähnt. Ebenso fehlen Hinweise auf wichtige Medienstandorte in Deutschland. An die Stelle präziser Informationen treten nicht selten Klischees: Fischbrötchen in Hamburg, "Madln" in München.

Junge Leser verfehlt

Unter der vielversprechenden Überschrift "Du bist Deutschland" stellt der Verfasser im dritten Teil seines Buchs auf 16 Seiten das politische System Deutschlands sowie dessen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur dar. Auch hier dominiert nüchterne Faktenhuberei - häufig in einer Sprache, die wenig auf die jugendlichen Adressaten abgestimmt ist. Statt zum Beispiel genauer auf die Grundrechte und die Grundwerte des Grundgesetzes einzugehen und diese auch in ihrer praktischen Bedeutung für den Alltag Jugendlicher zu zeigen, dominieren langatmige Ausführungen zu den Institutionen. Konkrete Möglichkeiten der Beteiligung und Einflussnahme in Medien, politischen Parteien und ihren Jugendorganisationen oder Bürgerinitiativen werden den jungen Leserinnen und Lesern nicht aufgezeigt.

Insgesamt ist es Osteroth nicht gelungen, die Fülle des Materials für seine Adressaten angemessen zu reduzieren. Zu viele Themen werden lediglich oberflächlich angetippt. Auch die zahlreichen Fotos und Illustrationen wirken häufig beliebig, verwirren bisweilen eher, als dass sie helfen. Ein roter Faden, der Jugendliche auf der Grundlage sachlicher Informationen zum Engagement für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft motivieren oder auch nur zu einem tieferen Verständnis unserer Staatsordnung beitragen könnte, ist nicht erkennbar.

Reinhard Osteroth/Igor Kuprin (Illustr.): "Deutschland. Eine Kreuz- und Querreise", Hildesheim, 2010, Gerstenberg Verlag, 64 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8369-5566-9

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