vorwärts.de: Herr Prahl, auf der Bühne und vor der Kamera haben Sie deutsch-deutsche Geschichte schauspielerisch verarbeitet. War das ein Grund, sich als Schirmherr an "Du bist
Geschichte" zu beteiligen?
Axel Prahl: Unbedingt. Außerdem hat mich die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Andreas Dresen für die Geschichten der kleinen Leute sensibilisiert. Die Geschichte des kleinen Mannes, die im
kleinen Kosmos den großen miterzählt. Diese Herangehensweise finde ich unheimlich spannend, deshalb bin ich Schirmherr dieser Veranstaltung geworden. Einzelschicksale berühren die Menschen immer
am meisten, wie die Aufführung der Tagebücher von Anne Frank zeigt.
Welchen neuen Einblicke versprechen Sie sich von den Medienprojekten zu Mauerfall und Wiedervereinigung?
Wir wissen längst nicht alles über die DDR, ständig kommen neue Details ans Licht. Neulich habe ich im Radio gehört, dass es ein Lager für jene Leute gab, die sich in die DDR einbürgern
lassen wollten. Die wurden drei Monate lang irgendwo im Wald festgehalten und auf ihre geistige Gesinnung hin geprüft. Das war, abgesehen von untergetauchten RAF-Terroristen, bislang nicht
bekannt.
Welchen Einfluss werden Sie als Schirmherr auf die Projekte nehmen?
Das betrifft wohl eher die Jury. Da sind gute Leute dabei, die sich über solche Sachen Gedanken machen werden.
Den Mauerfall erlebten Sie vor einem Hotel-Fernseher in Schleswig-Holstein. Was war für Sie die prägendste Erfahrung jener chaotischen Zeit zwischen Mauerfall und
Wiedervereinigung?
Das war in erster Linie ein diffuses Gefühl. Ich bin in Neustadt (Holstein) direkt am Meer aufgewachsen. Wir haben als Jugendliche - politisch noch unbedarft - neidisch auf die leeren
Ost-Strände hinter der Grenze geschaut. Nach dem Mauerfall bin ich gleich rübergefahren und hab mir Wismar und Umgebung angeschaut. Hinterm Grenzübergang fuhr man durch den Wald, da wurde es
immer menschenleerer. Das ist für mich heute noch eine ganz spannende Ecke.
"Knorkator"-Sänger Stumpen, ein weiterer Schirmherr des Projekts, habe sich bei seinem ersten Besuch im Westen wie ein Ost-Alien gefühlt, sagt er. Teilen Sie die Erfahrung in umgekehrter
Richtung?
Ja. Mit dem Landestheater Schleswig-Holstein war ich im Herbst 1989 auf Tournee in Schwerin und Radebeul. Einerseits habe ich mich menschlich sehr wohl gefühlt. Angesichts des Mangels
rückten die Menschen enger zusammen. Viele Dinge im zwischenmenschlichen Bereich waren im Osten viel ausgereifter. Anderseits hatte ich das hässliche Gefühl, am Elend der Menschen teilzuhaben,
mich ungewollt zu bereichern, als es auf dem Schwarzmarkt für eine D-Mark 25 Ost-Mark gab.
Den Prozess der Wiedervereinigung beurteilen Sie skeptisch. Welche Ihrer persönlichen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt?
Mir ging das politisch viel zu schnell. Ich habe mir zu Modrows Zeiten eine andere, bessere DDR gewünscht. Diese Möglichkeit ist nicht gegeben worden.
Und welche Hoffnungen wurden Realität?
Vor allem die Reisefreiheit. Die Möglichkeit, ganz viele Menschen treffen zu können und treffen zu dürfen. Und eine zunehmende Demokratisierung im Osten. Allerdings stelle ich fest, dass
viele neue Formen von Kontrolle einfach so hingenommen werden.
Vieles wird über den Kopf der Bevölkerung hinweg entschieden. Kaum jemandem ist klar, dass die Autobahnen von Flensburg bis Passau komplett videoüberwacht sind. Oder nehmen wir die 500
Milliarden Euro Steuergelder, die in die Banken gepumpt wurden.
Die größten Umstellungen hatten ab 1989 die Ostdeutschen zu bewältigen, lautet ein bekanntes Mantra. Wie hat jene Zeit Ihr Leben als "Wessi" verändert?
Für mich sind viele Möglichkeiten dazugekommen. Ich wohne in Prenzlauer Berg und hab ein Häuschen in Marienwerder. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte ich meine Frau - sie wurde in Halle
an der Saale geboren - nie kennengelernt. Ebenso wenig Andreas Dresen, der meine Entwicklung maßgeblich nach vorne getrieben hat. Insofern bin ich sehr dankbar, dass die Mauer gefallen ist.
Wie bringen Sie Ihren Kindern jene Zeit des Umbruchs näher?
Die Zwillinge - sie sind dreieinhalb Jahre alt - werden die Geschichte irgendwann persönlich erfahren und erleben. Schließlich kommt ihre Mutter aus dem Osten. Meine Töchter Mascha und
Saskia - sie sind 21 und 23 Jahre alt - führen ein politisch reflektiertes Dasein, machen sich über Geschichte Gedanken. Ihre ethisch-moralischen Vorstellungen kommen den meinen sehr nahe.
Eines der Chiffren des Projekts lautet: "Wenn Zeit Geschichte wird". Ist die Wendezeit bereits Geschichte? Oder ist der Umbruch immer noch spürbar?
Das kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Eigentlich ist die Wendezeit Geschichte, deshalb lehne ich das Ost-West-Denken ab. Anderseits darf man die Geschichte nicht vergessen. Man
muss hochhalten, was geschehen ist und wissen, woher und woraus man agiert. Es wird mindestens drei Generationen dauern, um das Bewusstsein, unterschiedliche Wurzeln zu haben, abzubauen. Auch
kommende Generationen werden ihre Fehler machen müssen.
Welche Rolle spielt "Du bist Geschichte" für die Förderung des Filmemacher-Nachwuchses? Haben Sie im Blick, ob einer der Teilnehmer in Andreas Dresens Fußstapfen treten könnte?
Auch Andreas Dresen hat als Student mit dokumentarischen Filmen angefangen. Es ist immer wichtig, Träume und Visionen nicht nur zu haben, sondern auch zu leben. So etwas wäre also möglich.
Allerdings ist das Berufsleben für 15- bis 19-Jährige noch ziemlich diffus. Ich habe in dem Alter nie einen Gedanken daran verschwendet, Schauspieler zu werden. Auch das zeigt: Geschichte ist
immer wieder für Überraschungen gut.
Interview: Nils Michaelis
Infos zum Projekt:
www.dubistgeschichte.de