Gedenkort für polnische Weltkriegsopfer: „Ein blinder Fleck der Erinnerung“
In Berlin soll ein Gedenkort für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzungsherrschaft errichtet werden. Das will der Bundestag an diesem Mittwoch beschließen. Für SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan ist das eine längst überfällige Entscheidung.
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Damit die Erinnerung wach gehalten wird: Bisher erinnert nur ein temporärer Gedenkstein in Berlin an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs. Das soll sich mit einem festen Gedenkort bald ändern.
Heute will der Bundestag den Bau eines Denkmals für die Opfer des Zweiten Weltkriegs beschließen. Sie haben sich lange für den Bau stark gemacht. Was fühlen Sie an diesem Tag?
Am 15. November 2017 haben zahlreiche Personen aus Politik und Gesellschaft – unter anderem auch der Stadtplaner Florian Mausbach und die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse – einen Aufruf an den Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit gerichtet, ein Polen-Denkmal in der Mitte Berlins zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945 zu errichten. Gemeinsam mit meinen damaligen Bundestagskollegen Manuel Sarrazin (B90/Die Grünen) und Paul Ziemiak (CDU) habe ich mich seitdem für einen Beschluss des Bundestages für ein solches Denkmal eingesetzt.
Dass es diesen Beschluss erst heute, über 80 Jahre nach dem Ende der deutschen Gewaltherrschaft in Polen, gibt, schmerzt. Und doch freue ich mich, dass der Bundestag heute das Polen Denkmal endlich auf den weg bringen wird. An dieser Stelle möchte ich Nancy Faeser danken, die als die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion einen wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieser historischen Entscheidung hatte.
Warum ist ein solches Denkmal heute, fast 90 Jahre nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, noch wichtig?
Weil es beschämend ist, dass die zwischen 1939 und 1945 von den Deutschen am polnischen Volk verübten Verbrechen bis heute ein blinder Fleck in unserer Erinnerung geblieben sind, obwohl die historischen Fakten immer eindeutig waren. In den Schulbüchern wird die barbarische Gewalt der Deutschen gegen das polnische Volk nur am Rande erwähnt. Dieser blinde Fleck hat auch zu einer unglaublichen Ignoranz deutscher Politiker*innen gegenüber den historischen Erfahrungen Polens geführt. Hätte es diesen blinden Fleck in den deutschen Eliten so nicht gegeben, hätten wir nicht mit einer falschen deutschen Russlandpolitik die Kriegskasse von Wladimir Putin gefüllt.
Wie sehr die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Polen noch eine Rolle spielt, wird auch daran deutlich, dass der neue polnische Präsident vor kurzem Reparationen von Deutschland gefordert hat. Kann das Erinnern an die polnischen Opfer helfen, die Debatte zu befrieden?
Die rechten und rechtsradikalen politischen Kräfte in Polen werden ihre plumpe antideutsche Propaganda niemals ändern. Sie ist Brennstoff in ihrem Kulturkampf gegen unsere europäischen Werte für demokratische, offene und pluralistischen Gesellschaften. Wir bauen das Denkmal nicht zur Befriedung dieser autoritären Kräfte. Wir bauen das Denkmal, weil wir den Stein des Anstoßes in der Mitte Berlin brauchen, der uns jeden Tag an unsere blinden Flecken deutscher Ignoranz erinnern möge, auf das wir sie aufarbeiten. Und wir bauen das Denkmal, um die polnischen Opfer des deutschen Faschismus endlich angemessen zu ehren.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.