Eine Verliererin? Hätte man Waldemar von Knoeringen diese Frage gestellt, ob die bayerische SPD eine geborene Verliererin des Strukturwandels seit 1945 sei, hätte er wohl vehement mit dem
Kopf geschüttelt. Denn unter seiner Führung und der seines Nachfolgers Volkmar Gabert standen die bayerischen Genossen in den späten 1950er und 1960er Jahren alles andere als trostlos da.
Mit Knoeringen hatten sie eine charismatische Führungsperson. Zudem konnte die Partei auf Jahre der Regierungsverantwortung und auf selbst erzielte politische Erfolge verweisen, als sie mit
Wilhelm Hoegner 1945/46 und schließlich in den Jahren der Vierer-Koalition aus SPD, Bayernpartei, FDP und Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1954 bis 1957 den
Ministerpräsidenten stellte. Die Jahre unter Knoeringen und Gabert waren Jahre des politischen Aufschwungs, ein "sozialdemokratischer Frühling", in dem sich viele Verantwortliche nicht mehr weit
davon entfernt wähnten, die absolute Mehrheit der CSU zu brechen - ein Traum, ja, aber keine haltlose Phantasie.
Ein Blick auf die Wahlergebnisse macht dies deutlich: In den sechziger Jahren gelang es der SPD, sich von Wahl zu Wahl deutlich zu verbessern: Mit 35,8 Prozent erreichte sie 1966 bei
Landtagswahlen ihr bestes Ergebnis. Der "Genosse Trend" erreichte 1972 seinen Höhepunkt: Auf dem Gipfel ihrer Popularität konnten die bayerischen Sozialdemokraten unter Willy Brandt bei den
Bundestagswahlen mit 37,8 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis erzielen und den Abstand zur CSU weiter verringern.
Unterschiedliche Gründe waren dafür verantwortlich: Die SPD hatte in allen sozialen Schichten Stimmengewinne verzeichnen können, aber die Zuwächse waren besonders bei katholischen Wählern
deutlich. Hier zahlte sich aus, was in Bayern unter Knoeringen bereits seit Mitte der 1950er Jahre eine wichtige Rolle gespielt hatte: der Dialog mit den Kirchen, der Versuch, aus der
sozialdemokratischen Wagenburg auszubrechen und ohne Anbiederei nach Gemeinsamkeiten zu suchen, mindestens aber die offenen oder versteckten Vorurteile abzubauen.
Anderes kam hinzu: neue Formen des politischen Dialogs, die Modernisierung der Organisation und frischer Wind in der Kommunalpolitik. Dass dem "sozialdemokratischen Frühling" schließlich in
den späten 1970er Jahren kein "Sommer" folgen sollte, die Partei sich in inneren Grabenkämpfen zerrieb und über lange Zeit mehr mit sich als mit dem politischen Gegner und der Wandlung des
politischen Konservativismus beschäftigte, ist wohl eine bis heute noch nicht völlig verheilte Wunde der bayerischen SPD-Geschichte.
Von Dr. Dietmar Süß, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (Quelle: vorwärts 10/2006)
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