Frauen in der SPD: Auf der Suche nach den Vergessenen
Von Rosa Luxemburg wissen wir genug und von Clara Zetkin ebenfalls nicht wenig. Diese Heldinnen der sozialdemokratischen Frauengeschichte erreichen manchmal schon den Status von Heiligen. Von vielen anderen durchaus bedeutenden SPD-Politikerinnen wissen wir zwar einiges, aber immer noch nicht genug: von Emma Ihrer, Mitglied der Generalkommission der Gewerkschaften seit 1890, von Luise Zietz, Mitglied des Parteivorstandes der SPD seit 1908, von den SPD-Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik Toni Sender, Toni Pfülf und Louise Schroeder, oder von Elisabeth Selbert, Mitglied des Parlamentarischen Rates - um nur einige zu nennen.
Von tausenden streitbaren Sozialdemokratinnen wissen wir rein gar nichts. Einige von ihnen begegnen uns höchstens einmal als „tapfere Frau an seiner Seite“. Damit kann Julie Bebel gemeint sein, die aber eine erfolgreiche Geschäftsfrau wurde, oder Louise Ebert, die eine aktive Gewerkschafterin war. Oder sogar Julia von Vollmar, die reiche schwedische Unternehmerin, oder Luise Kautsky, die Tochter eines Wiener Konditormeisters und enge Freundin Rosa Luxemburgs, die einen breiten Familien- und Freundeskreis dauerhaft an die SPD band.
Vergessene der Revolution
Ich denke aber vielmehr an die halbwegs bekannten Frauen, die sich in der Revolution 1918/19 einen Namen gemacht haben und inzwischen beinahe vergessen sind: Erna Halbe-Lang in Hamburg, Rose Wolfstein, spätere Frölich, und Lore Agnes in Düsseldorf, Minna Fasshauer in Braunschweig. Vor allem aber meine ich die ungezählten unbekannt gebliebenen Frauen, die es verdient haben, aus der Geschichtslosigkeit geholt zu werden.
Helene Zirkel zum Beispiel, die am 9. November 1918 auf dem Berliner Polizeipräsidium die rote Fahne hisste, oder Hilde Steinbrink aus Neukölln, die das letzte Maschinengewehr bediente, mit dem sich am 11. Januar 1919 die roten Besetzer des Vorwärts-Gebäudes gegen die weißen Freikorps wehrten. Oder die 5000 weiblichen Angestellten der Berliner Wertheim-Warenhäuser, die am 13. Dezember 1918 für höhere Löhne streikten, oder auch die Frauen unter den Märzgefallenen des Jahres 1848 oder, oder...
Sozialismus fängt zu Hause an
Es geht nicht nur darum, die unbekannten Heldinnen auszugraben, sondern auch darum, Antworten zu finden auf die Frage, warum so viele kampffähige Frauen sich nach dem ersten Anlauf in die Politik wieder ins Heim und an den Herd zurückzogen, nicht nur 1918, sondern auch nach 1945. Man würde es sich zu einfach machen, dahinter nur die Tat der Männer zu vermuten. Frauen wissen im allgemeinen ganz gut über sich Bescheid.
So fragte die USPD-Delegierte Elvira Rosenberg aus Mariendorf bei Berlin 1919: „Ja, wie sollen wir denn politisch selbständig werden, wenn wir im Hause fast nichts zu sagen haben?“ und sie forderte deshalb: „Der Sozialismus muss zuerst im Hause anfangen.“ Sie fand es auch gar nicht schlimm, dass, wenn die Frau der verdienende Teil der Familie war, der Mann das Hauswesen betreute „und das Gemüse fertig kochen ließe“.
Es gibt inzwischen viel biografische Einzelforschung, aber so mancher vielversprechende Anfang musste abgebrochen werden wegen des ständigen Mangels an Quellen. Proletarier hinterlassen selten Tagebücher und Erinnerungen schriftlicher Art. Aber das heißt doch nicht, dass den Geschichtsforschern auch die Neugier verlorengehen muss und die Fantasie abhanden kommt, neue Wege zu finden. Immer wieder suchen, verknüpfen, verbinden – Familiengeschichte ist gerade an vogue, warum nicht auch die der Arbeiterinnen?
Helga Grebing (* 27. Februar 1930 in Berlin-Pankow, † 25. September 2017 in Berlin) war eine deutsche Historikerin und Professorin mit den Schwerpunkten in der Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeiterbewegung.