Geschichte

Die vielen Wahrheiten der Ostpolitik

von ohne Autor · 23. September 2011
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Hofmann kam als junger Journalist nach Bonn und hat diese neue Ostpolitik, den "Wandel durch Annäherung" (Egon Bahr schon 1963), die "Politik der kleinen Schritte" seit 1969 begleitet. Erst beim Blick zurück wird klar, wie kühn diese sozial- und auch freidemokratischen Architekten einer neuen Ostpolitik waren, aber auch wie realistisch. Für Willy Brandt bedeutete seine "Politik der kleinen Schritte" den Status quo anzuerkennen, um ihn aufzubrechen.

Akteure der Ostpolitik im Gespräch

Von einem Fernziel Wiedervereinigung von BRD und DDR träumten vielleicht manche der damals Älteren, geglaubt hat kaum jemand daran in den 60er und 70er Jahren. Nach dem Mauerbau 1961 und dem Einmarsch der russischen Panzer in Prag 1968 richtete man sich ein mit der hässlichen Realität und hörte auf, von der "sogenannten DDR" zu sprechen.

Stets bestand in diesen Jahren die Gefahr, dass aus dem kalten Krieg ein heißer werden könnte. Vor diesem Hintergrund verkamen die Bekenntnisse zur Einheit der Deutschen zu Floskeln, ausgesprochen vor allem am 17. Juni. Wer ernsthaft am Ziel der Wiedervereinigung festhielt, galt einer Mehrheit als deutschnational.

In drei Jahren hat Gunter Hofmann zahllose Gespräche geführt mit den damals handelnden Personen, mit Egon Bahr und Helmut Schmidt, mit Horst Ehmke und Hans-Dietrich Genscher, mit Erhard Eppler und Wolfgang Schäuble, mit Richard von Weizsäcker und DDR-Bürgerrechtlern von Jens Reich bis Friedrich Schorlemmer, um nur einige der vielen spannenden, nachdenklichen Gesprächspartnern zu nennen.

Die Rolle Polens

Viel Zeit hat er verbracht mit polnischen Politikern. Und wenn auch durch seine Gespräche und Analysen nicht Geschichte umgeschrieben werden muss, so hat er doch Gewichte verschoben. Zum Beispiel bei der Bewertung der Rolle Polens vor dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Viel zu selten wird in Deutschland unter Historikern und Politikern der Stellenwert des Werftarbeiterstreiks von Danzig im Jahre 1980 gewürdigt, der zur Gründung der Solidarnosc und einer großen gesellschaftlichen Protestbewegung anwuchs. Für Hofmann hat das, was in Danzig begann, eine Lawine ausgelöst, deren Wucht in Deutschland bis heute unterschätzt wird. Unter anderem deshalb, weil vor allem die Westdeutschen zu diesem Zeitpunkt mit sich selbst beschäftigt waren - mit der Nachrüstung, mit dem Raketenstreit und mit der Friedensbewegung, die das Land spaltete und letzten Endes (neben innenpolitischen Themen und der Überlebensangst der FDP) zur Abwahl von Bundeskanzler Helmut Schmidt führte.


Zeitreise durch die Ostpolitik

Hofmann hat seinen Interviewpartnern unter anderem folgende Fragen gestellt: "Wie erklärt sich, dass ausgerechnet einflussreiche polnische Stimmen sich vor einem vereinten Deutschland nicht fürchteten, sondern geradezu Hoffnungen auf ein Ende der Teilung setzten, während wir schon lange nicht mehr damit rechneten? Ab wann gab es keine Umkehr mehr? Wo hat wer geirrt?" Bemerkenswert sind die Ernsthaftigkeit und die realistische Bescheidenheit mit der viele seiner Gesprächspartner antworteten, auch Irrtümer eingestanden.

So lautet Gunter Hofmanns Resümee nach seiner langen Zeitreise durch - je nach Sichtweise - zwanzig oder fast dreißig Jahre Ostpolitik: "Es gibt viele Wahrheiten. Die Weltmächte stellten die Weichen. Polen und Deutsche nutzten die Spielräume und machten den Prozess unumkehrbar. Deutschland und Polen teilten das Schicksal, potentieller Austragungsort eines Nuklearkonflikts der Großmächte zu sein. Die europäische Revolution wäre ohne das seltsame Zusammenspiel dieser beiden Nachbarn nicht geglückt. Diejenigen, die 1963 in der Bundesrepublik kühn eine neue Politik ohne Feindbilder konzipierten und die anderen, die 1980 auf der Danziger Werft mutig die Revolte begannen, sagen heute lakonisch, 'Glück' hätten sie gehabt."

Ein Glücksfall ist auch dieses Buch, das in verständlicher, eleganter Sprache diese aufregenden Nachkriegsjahrzehnte wieder lebendig werden lässt, die für die Jüngeren längst Geschichte geworden sind. Und noch eine Erkenntnis nehmen die Leser mit: Nämlich mit welcher Klugheit, Redlichkeit und mit wie vielen Skrupeln behaftet diejenigen, die damals (vielleicht manchmal ohne das zu wissen oder zu wollen) Weltpolitik schrieben, agiert haben. Politik wurde in jenen Jahren von Menschen gemacht, dieeinen inneren Kompass hatten - und den Mut, gegen äußere und innere Widerstände auf ihrem Weg zu bleiben.

Gunter Hofmann: "Polen und Deutsche - Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90", Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 504 Seiten, 32,90 Euro, ISBN 978-3-518-42234-2

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