Die Sozialdemokratie trauert um einen kritischen Juristen
Heute ist die Notwendigkeit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit fast zum rechtspolitischen Allgemeingut geworden. So lässt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in der Großen Koalition die Versäumnisseder Justiz im Umgang mit ihrer Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus weiter aufarbeiten. Den Richter Theo Rasehorn befremdete bald nach seiner Einstellung die Wiedereinstellung von „NS-belasteten Richtern“. Als er im Jahre 1966 unter dem Pseudonym Xaver Berra seine Streitschrift „Im Paragraphenturm“ veröffentlichte, war dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil war es für die damalige Zeit ein früher Ausdruck der Justizkritik von innen und somit auch Teil der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Justiz.
Neues Richterbild: Demokratisch statt autoritär
Rasehorn forderte nicht weniger als die Ablösung der „Honoratiorenjustiz“ durch eine „freiheitlich demokratische, der Gesellschaft und den Menschen dienende Justiz“. Der Kronjurist der SPD-Bundestagsfraktion Adolf Arndt bewertete die Schrift im Geleitwort als „Kampfschrift im Dienste der Justiz“, die es wert sei, diskutiert zu werden. Für Theo Rasehorn hatte diese Publikation gleichwohl Folgen, seine Beförderung wurde von der nordrhein-westfälischen Landesregierung gestoppt. Beruflich führte sein nicht immer ganz einfacher Weg vom Landgericht Bonn kommend über das Oberlandesgericht Köln nach Hessen. Während der Regierungszeit Albert Oswalds und des reformfreudigen Justizministers Karl Hempfler (SPD) stieg er schließlich zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main auf.
„Ein normales privates Leben sollte es werden. Die Umstände und mein kritischer Impuls ließen das nicht zu, forderten ein gesellschaftliches Engagement. Viel habe ich nicht erreicht. Aber ich fand mein Leben." Diese Selbsteinschätzung gab Theo Rasehorn selbst den Angehörigen für seine Todesanzeige mit. Rasehorn, der für eine größere Pluralität der Richterschaft eintrat, setzte sich für ein neues Richterbild ein. Weg von „autoritär konservativen“ hin zu „demokratisch pluralistischen“, unabhängigen Richtern, die sich an der Diskussion rechtspolitischer und allgemein politischer Fragen beteiligen.
Rechtspolitik ist Teil der Gesellschaftspolitik
Seine vielfältigen Publikationen etwa zur „Justiz im Obrigkeitsstaat und der Demokratie“, „Politische Meinungsäußerung und richterliche Unabhängigkeit“, „Wohnen in der Demokratie“ sowie sein Buch zu den Lebensläufen linksliberaler jüdischer Juristen zeigen, dass er Rechtspolitik als Teil der Gesellschaftspolitik verstand. Rasehorn versuchte, die Gestaltungsmacht des Rechts zu nutzen und arbeitete in den Siebzigern konkrete Vorschläge für Justizreformen aus. In dem von Rudolf Wassermann geführten Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) engagierte er sich von 1974 bis 1982 in der Zeit, als Hans-Jochen Vogel Bundesjustizminister war.
Den Standort der AsJ beschrieb er so: „Erdnah an der Nahtstelle zwischen Rechtswissenschaften und sozialdemokratisch geprägter Gesellschaftspolitik“. Nach seiner Pensionierung 1983 besuchte er weiter die Veranstaltungen des „Richterratschlages“, in denen die Rolle des Richterberufs in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert wurde. Zum 80. Geburtstag würdigten ihn Peter Dehler und Hans-Ernst Böttcher in der „Kritischen Justiz“ als „Justizreformer“ und „bedeutende Richterpersönlichkeit der Nachkriegsjustiz“. Franz Josef Düwell bezeichnete ihn als eine „Ikone des Fortschritts“.
Gerichte als Garanten von Freiheit und Bürgerrechten
Nun ist der Mensch, Richter und Sozialdemokrat Theo Rasehorn von uns gegangen. Er hatte ein langes und engagiertes Leben. Sein Bild und seine lebendigen Diskussionsbeiträge bleiben vielen vor Augen. Seine Arbeiten zur NS-Vergangenheit der Justiz und zum demokratischen Richterbild sind von Dauer. Das Wissen um die Defizite der Justiz in der Vergangenheit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der demokratische Rechtsstaat und unabhängige Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland künftig starke Garanten von Freiheit und Bürgerrechten bleiben.
Der Autor ist stellv. Vorsitzender der AsJ (Bund) und der Bundesschiedskommission der SPD.