Klaus Stenzel, ein Politiklehrer aus Darmstadt, fuhr 1996 mit einer Schulklasse nach Magdeburg. Die Erfahrungen der Schüler veröffentlichte er in der Zeitung "Neues Deutschland". Er erhielt daraufhin vielfältige Antworten, unter anderem auch von Hans Christange aus Cottbus. Entstanden ist daraus ein lebhafter Briefwechsel, der Ost-West-Denkstrukturen offenbart. Fast 13 Jahre besteht er nun schon. Die beiden Korrespondenten haben sich bisher weder gesehen noch gesprochen.
Zwei Sichtweisen...
Die beiden Männer sind nicht nur unterschiedlichen Alters sondern auch vom Charakter her völlig verschieden. Christange wuchs während des Zweiten Weltkriegs auf. Als er 15 Jahre alt war,
wurde die DDR gegründet. Er studierte Jura an der Humboldt-Universität und arbeitete als Staatsanwalt in Cottbus. Mit der Wende verlor er seine Arbeitsstelle, erlebte Betriebsschließungen und die
Umbenennung von Straßennamen. Auch Stenzel wuchs in einer bewegten Zeit auf. Geboren in Westberlin, prägten ihn in seiner Kindheit der Kniefall von Warschau 1970, die Olympischen Spiele in
München, Berufsverbote und der Vietnamkrieg. Während seines Studiums der Politik und der Germanistik wurde er direkter Augenzeuge des Mauerfalls. Weil er keine Arbeitsstelle fand, zog er später
nach Darmstadt. Im Alter von 25 Jahren trat er in die SPD ein. Während Stenzel eine aktive Wiedervereinigung vorantreiben möchte, versucht Christange das alte System der DDR zu verteidigen.
...auf eine Geschichte
In den Briefen werden, neben dem Leben vor dem Mauerfall, auch aktuelle Themen diskutiert. Es geht um Fußball, Fernsehen, Kati Witt und Paul Breitner. Und immer wieder um politische Themen
wie den Konflikt um Israel, den Krieg in Afghanistan, die Ostpolitik Willy Brandts und die Gründung der Linken. Oft eskaliert die Debatte. Beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten. 2001
scheint das Projekt zu scheitern. Christange sieht es "unter seiner Würde" auf weitere "Gehässigkeiten" einzugehen und weigert sich, eine Entschuldigung anzunehmen. Er fühle sich in seiner
Meinung bestätigt, dass ein Zusammenwachsen von West- und Ostdeutschland unmöglich sei. Doch die Themen sind zu brisant, brennen beiden so sehr auf der Seele, dass der Kontakt bis heute besteht.
Das Buch "Ost-West Denkstrukturen" erschien nach mehreren Absagen von verschiedenen Verlagen in Eigenproduktion der Autoren. Es bildet die ganze Breite des Ost-West-Konflikts ab. Die
Autoren haben keine Lösungen, verdeutlichen aber die verschiedenen Standpunkte, die zu diesem Konflikt führen können. Ein sehr persönliches Buch, das zeigt, dass die Mauer noch immer in den
Köpfen existiert.
Hans Christange/Klaus Stenzel "Ost-West Denkstrukturen. Ein Briefwechsel zwischen Brandenburg und Hessen/Rheinland-Pfalz", Berlin 2009, NORA Verlagsgemeinschaft Dyck & Westerheide
349 Seiten, 23,50 Euro, ISBN 978-3-86557-215-8