Es beginnt mit einer Geste der Trauer. Im hohen Schiff der alten Kartäuserkirche, die Teil des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg ist, blicken Marienfiguren auf zwei Werke, die den Prolog zur Ausstellung "Kunst und Kalter Krieg - Deutsche Positionen 1945 - 1989" bilden.
Von dem Bildhauer Will Lammert, der 1951 aus dem sowjetischen Exil in die DDR zurückgekehrt war, stammt der Entwurf eines Mahnmals für das Konzentrationslager Ravensbrück. Seine schlichten
Leidensfiguren, kniende Frauen und Kinder, werden in diesem Kirchenschiff fast zu Nachfahren gotischer Skulpturen. Ihnen gegenüber liegt ein Feld von alten Schuhen und Arbeitshandschuhen, das der
West-Berliner Künstler Raffael Rheinsberg in lange Reihen gegliedert hat. Einerseits mahnen sie wie alle verbrauchten und weggeworfenen Dinge an die Vergänglichkeit, andererseits mutet ihre
Anordnung beinahe militärisch an. Dieser Prolog weist auf den tiefsitzenden Schrecken zurück, der dem Kalten Krieg zwischen Ost und West vorausging. Dass nicht allein die Künstler in der DDR von
kulturpolitischen Vorgaben, die engstirnig an der Gegenständlichkeit festhielten, in Bedrängnis gebracht wurden, sondern die politische Indienstnahme der Kunst auch viele Künstler im Westen
beschäftigte, ist die These der Ausstellung.
Kuratiert wurde sie von Stephanie Barron, Chefkuratorin des Los Angeles County Museum of Art. Sie hat mit Ausstellungen über die nationalsozialistische Diffamierungskampagne "Entartete
Kunst" und den Weg der Künstler ins Exil die Vorgeschichte des Kalten Kriegs der Künste sorgfältig recherchiert. Ihr Co-Kurator Eckhart Gillen untersuchte in vielen Publikationen seit Anfang der
neunziger Jahre das Verhältnis der Künste zwischen Ost- und Westdeutschland.
Melancholie und Zweifel
Vorsichtig tastend beginnt nach dem Krieg die künstlerische Ausdruckssuche. Ob in den Ruinenbildern von Karl Hofer oder den abstrakten Formen von Willi Baumeister: Das nach innen Gewendete,
Stille ist den Anfängen gemeinsam. Gerhard Altenbourg, der sich nach der Stadt seines Rückzugs in der DDR nannte, zeichnete 1949 "Ecce Homo (Sterbender Krieger"), dessen zum Skelett ausgedörrter
Körper über ein Papier tanzt, das wie von Kinderhand mit Panzern und Gespenstern vollgekritzelt ist. Solch ein melancholisches, zweifelndes Menschenbild erreichte in der DDR keine große
Öffentlichkeit.
Dargestellt sah sich der junge Staat eher in einem so bieder wirkenden Bild wie "Der neue Anfang" von Heinrich Witz, das im Auftrag der SDAG Wismut 1959 entstand und den Händedruck zweier
Brigadeführer feiert. Dabei erinnert es ästhetisch eher an großbürgerliche Salonmalerei. Während man das Bild betrachtet, kann man mit dem Audioguide der Ausstellung die offizielle
DDR-Kulturpolitik der 50er Jahre kennenlernen.
In einer Rede, die von tiefem Misstrauen gegen die "Inspiration des Künstlers" durchzogen ist, geißelt Otto Grotewohl, der erste Ministerpräsident der DDR, den Formalismus. Das Vorurteil
gegenüber der Inhaltsleere aller abstrakten Formen traf dann auch den Bildhauer Hermann Glöckner sehr schwer. Zu den anrührendsten Exponaten gehört eine Vitrine, die Skulpturmodelle von ihm
zeigt, gefaltet aus Papier oder montiert aus Streichholzschachteln. Sie verließen nie seinen Atelierschrank.
Glöckner gegenübergestellt sind die metallglänzenden und lichtblitzenden Objekte der Gruppe Zero von Günter Uecker, Raimund Girke und Heinz Mack, die in Westdeutschland an einen neuen
Aufbruch glaubten und sich nach der "Stunde Null" benannten. Sie benutzten Materialien aus der Flugzeugtechnik, um damit in der Kunst eine Versöhnung von Technik, Natur und Mensch vorwegzunehmen.
Ihr optimistischer Fortschrittsglaube zerbrach, als die USA den Vietnamkrieg begannen. Seitdem war der Kalte Krieg ein Thema der Künstler im Westen, wie es nicht nur die Lippenstiftbomber von
Wolf Vostell bezeugen.
Spannende Künstlerdialoge
Einer der spannendsten Bilddialoge zwischen den Künstlern aus Ost und West findet zwischen dem Leipziger Lutz Dammbeck und dem Kölner Jürgen Klauke statt. Für beide ist das Porträt zu einem
verschobenen Schauplatz ideologischen Ausdrucks geworden. An den Ort des individuellen Gesichts rückt bei Klauke dessen Anonymisierung. Er hat Fotos von Maskierten und Hasskappen-Trägern, die des
gewaltsamen Widerstands verdächtigt werden, aus fast 30 Jahren (1972 - 2000) gesammelt und grob gerastert. Lutz Dammbeck montierte 1985 für seine "Nibelungen" Fotografien von RAF-Mitgliedern mit
Abbildungen von Skulpturen des bei den Nationalsozialisten hochgeschätzten Arno Breker, und berührte so die äußerst deutsche Tradition des Wunsches nach großen Taten.
Während sich in der DDR der Kalte Krieg eher als ein mit ungleichen Mitteln ausgetragener Kampf zwischen Funktionären und Künstlern niederschlug, ging es im Westen zwischen den Künstlern
selbst hoch her. Was links sein bedeuten kann, wie sich das Bild individueller Freiheit zum Kunstmarkt verhält, und wo die blinden Flecken in der Wahrnehmung linker Geschichte der BRD liegen, war
(und ist) Gegenstand der Auseinandersetzung etwa bei Martin Kippenberger, Hans Haacke oder Rosemarie Trockel.
Trockels maschinengestrickte Parade von Bauern mit Sicheln ist eine ironische Replik auf eine Entwicklung, in der politische Haltung zum Logo auf dem T-Shirt wird.
1983 setzte die Hamburger Konzeptkünstlerin Hanne Darboven Datumskarten, die die Zeit ihres Lebens von 1949 bis 1983 umfassten, zwischen Friese aus sowjetischen und amerikanischen Flaggen.
Diese Arbeit hätte sehr gut zur Nürnberger Schau gepasst, war aber Teil der Berliner Ausstellung "Sechzig Jahre. Sechzig Werke", die von den Künstlern aus der DDR nur die "rübergemachten" kannte,
- wie Penck, Baselitz, Richter - ohne die die westdeutsche Kunst um viele Ideen ärmer gewesen wäre. Diese Unterschlagung eines Teils deutscher Kunstgeschichte sorgte zu Recht für Empörung bei
Publikum und Presse.
Der Wunsch nach gerechter Repräsentation ist allerdings noch kein Garant für eine Begegnung auf Augenhöhe. Das lässt die Nürnberger Ausstellung auch sehen: Die Werke der einen Künstler, vor
allem aus den sechziger Jahren in der DDR, hängen dort als Opfer einer überzogenen Kunstkontrolle; den Werken der anderen, etwa Anselm Kiefer oder Wolf Vostell, trug gerade ihre Ideologiekritik
große Anerkennung ein. Diese Unterschiede der
Rezeption sind nicht abzuschütteln. Darin liegt das Spannende, aber auch das Schmerzhafte der Ausstellung.
Die Autorin Katrin Bettina Müller schreibt über Kunst, Tanz und Theater für die »tageszeitung«.
Von Nürnberg nach Berlin
Kunst und Kalter Krieg - Deutsche Positionen 1945 - 1989 Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum, 28. Mai bis 6. September 2009
Berlin: Deutsches Historisches Museum, 3. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010