Geschichte

Der Weg zur Ehrlichkeit

Am 12. Mai 1965 vereinbarten Israel und Deutschland die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Der Weg dahin war lang. Auch heute ist das Verhältnis zwischen den beiden Staaten keine Selbstverständlichkeit. Doch es kann helfen, den Nahen Osten zu befrieden.
von Rafael Seligmann · 11. Mai 2015

Die deutsch-israelischen Beziehungen sind heute eine Selbstverständlichkeit. Normal waren sie jedoch nie. Konnten sie auch nicht sein nach dem Völkermord der Nazis an den Juden. In Deutschland übte man sich zunächst im „bewährten“ Muster der Verdrängung.

Bundeskanzler Adenauer fuhr eine Doppelstrategie. Einerseits bediente er sich alter Nazis wie Hans Globke. Der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze von 1935, durch welche die Juden legal zu Menschen minderen Rechts degradiert wurden, leitete das Bonner Kanzleramt. Auch andere Minister und Abgeordnete der Adenauer-Jahre hatten eine braune Vergangenheit.

Andererseits war Adenauer, der selbst unter den Nazis gelitten hatte, klug genug, die Wichtigkeit der Beziehungen zu Israel zu begreifen. So kam es 1952 zum Entschädigungsabkommen von Luxemburg. Allerdings konnte Adenauer dieses Abkommen nur mit der Hilfe der SPD durchbringen. Die CSU stimmte geschlossen dagegen.

Die Zwiespältigkeit ging weiter. Um die arabischen Staaten nicht zu verärgern, nahm Bonn keine diplomatischen Beziehungen zu Israel auf, gleichzeitig lieferte man insgeheim Waffen nach Zion.

Antijüdische Ressentiments waren an der Tagesordnung

Soweit die große Politik. Ich selbst wurde in Israel geboren. 1957 kehrten meine Eltern aus Zion in ihre deutsche Heimat zurück. Mit einem Mal war ich Analphabet. Ich sprach zwar deutsch, beherrschte aber die lateinische Schrift nicht. Es dauerte länger als ein Jahr, ehe ich schreiben und lesen konnte. Wir lebten damals in München. Anti-jüdische Vorurteile waren an der Tagesordnung. Manche Mitschüler beschimpften mich als „Saujuden“.  Das förderte mein Interesse an Geschichte und Politik.

1964, ein Jahr vor der Mittleren Reife, bekamen wir eine neue Geschichtslehrerin. Sie war relativ jung, doch ihre Ansichten waren alt. Sie erklärte, Hitler habe Deutschlands Ansehen und Ehre wieder hergestellt. Der Krieg sei Deutschland aufgezwungen worden. Ich stritt mich oft mit ihr. Persönlich mochte sie mich und gab mir gute Noten, doch sie verbreitete ein faschistisches Weltbild.

1965 machte Ägyptens Diktator Nasser Deutschlands geheime Waffenlieferungen an Israel bekannt. Daraufhin stellte Bonn die Rüstungsexporte nach Israel ein und nahm diplomatische Beziehungen mit Jerusalem auf. In Israel kam es zu Tumulten. Israels Rechte protestierte heftig gegen den Versuch, die Verbrechen der Schoa vergessen zu machen. Einer der Demonstranten war Reuven Rivlin. Heute ist er Israels Staatspräsident und erklärt: „Die Beziehungen zu Deutschland liegen mir besonders am Herzen.“

5000 Mark Kaution, wenn Verwandte zu Besuch kamen

Für meine Eltern bedeuteten die diplomatischen Beziehungen eine Erleichterung. Sie mussten nicht länger eine Kaution von 5000 D-Mark beim Einwohnermeldeamt hinterlegen, wenn israelische Verwandte sie besuchen wollten – die bis zur Nazizeit selbst deutsche Staatsbürger gewesen waren. Für mich bedeuteten die offiziellen Beziehungen ein Stück Wahrhaftigkeit. Zumindest das offizielle Deutschland versteckte sich nicht länger vor Israel.

Die Vorurteile bestanden indessen weiter. So wurde Willy Brandt nicht nur  in Bayern als der Mann verleumdet, „der im Krieg auf Deutsche geschossen hat“. Es machte mich wütend, dass die anti-nazistische Haltung Brandts ihm noch Jahrzehnte später um die Ohren geschlagen wurde. Daher entschloss ich mich, Mitglied bei den „Falken“ zu werden. Die alten SPD-Genossen, die gegen die Nazis gekämpft hatten, imponierten mir.

Mit den Jahren wandelte sich in Deutschland das politische Klima. 1969 wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Das half auch den deutsch-israelischen Beziehungen. Heute ist Deutschland bei 70 Prozent der Israelis beliebt. Deutsche Touristen reisen ins Land, der Austausch von Jugendlichen und Wissenschaftlern blüht. Berlin ist für junge Israelis ein Magnet. 20 000 Israelis leben in der deutschen Hauptstadt.

Eine einzigartige Beziehung

Israels Tagespolitik wird in Deutschland offen kritisiert. Das ist richtig. Doch darüber sollte man nicht vergessen, dass der jüdische Staat die einzige Demokratie inmitten diktatorischer Regime ist, die nicht zögern, Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen.

Deutschlands Bereitschaft, für Israel einzustehen, sollte es Jerusalem einfacher machen, einen Kompromissfrieden mit den Palästinensern einzugehen. Dies kann nur in zwei Staaten geschehen, die gegenseitig ihr Existenzrecht anerkennen.

Die deutsch-israelischen Beziehungen werden einzigartig bleiben. Nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern auch wegen der schwierigen Gegenwart. Ich wünsche mir von allen Seiten Menschlichkeit,  Geduld und Solidarität.

Autor*in
Rafael Seligmann

ist ein deutsch-israelischer Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare