Geschichte

Der Versehrte: Kurt Schumacher

von Carl-Friedrich Höck · 11. August 2014
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Wie haben Sozialdemokraten den Ersten Weltkrieg erlebt? Teil 3 der Serie: Der spätere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher meldet sich als Freiwilliger für die Front. Dort verliert er seinen Arm. Dennoch findet er Kraft und Mut zum Weiterleben. 

Nationalismus ist Kurt Schumacher fremd. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist er 18 Jahre alt und geht noch zur Schule. Er lebt in der beschaulichen Kleinstadt Culm in Westpreußen. Die ursprünglich polnische Stadt ist seit mehr als 100 Jahren in preußischem Besitz. Immer noch überwiegt die polnischstämmige Bevölkerung. In Schumachers Klasse drücken drei Deutsche und 17 Polen die Schulbank. Seit der Reichsgründung durch Bismarck ist die Pflege von polnischer Kultur und Sprache verboten. Natürlich gibt es trotzdem illegale polnische Kulturvereine, und Kurt Schumacher nimmt gerne an ihren Treffen teil. Genauso wie er gemeinsam mit seinen Mitschülern ins Schwimmbad geht oder Fußball spielt.

Deutscher Nationalismus ist es nicht, der den jungen Schumacher am 2. August 1914 dazu bewegt, als Kriegsfreiwilliger in ein Artillerieregiment einzutreten. Vielmehr ist es die Sorge, dass die Grenzstadt Culm unter russische Herrschaft fallen könnte. Ausgerechnet an Russland, für Schumacher der Inbegriff eines autoritären Regimes. Seinen Vater nennt der junge Kurt manchmal scherzhaft „die russische Regierung“, wenn der ihn wieder mal zu schroff zurechtgewiesen hat.

Schumacher meldet sich also freiwillig zum Militär, und viele polnische Mitschüler tun es ihm gleich. Er ist beeindruckt, dass die Polen für einen Staat kämpfen wollen, der ihre Kultur unterdrückt. Sie tun es aus dem gleichen Motiv heraus wie er selbst: aus Gegnerschaft zu Russland. Wie Deutschland hält auch das Zarenreich Teile Polens besetzt.

Notabitur

Bevor er seinen Dienst antritt, legt Schumacher noch ein Notabitur ab, wie es in dieser Zeit viele Schüler tun. Um schneller an die Front zu gelangen, wechselt er am 5. Oktober von der Artillerie zur Infanterie. Schon nach wenigen Wochen Ausbildung kommt er an der Ostfront zum Einsatz – in einer Schlacht bei Plock, rund 150 Kilometer vor Schumachers Heimatort entfernt.

Am 2. Dezember 1914 wird er bei einem Angriff in der Nähe von Lodz schwer verletzt. Maschinengewehrkugeln und Granatsplitter durchbohrten seine rechte Körperseite. „Ich bin liegengeblieben, beim Zurückgehen haben mich ein paar mitgenommen“, berichtet Schumacher später von dem Tag, an dem er seinen rechten Arm verliert. „Es waren zwei Querschläger durch den Oberarm und zwei Schüsse durch die Hand. Und die Oberarmquerschläger, die haben die Knochen so zerschlagen gehabt, dass die Blutungen zu kolossal waren, dass die Wunden sich nicht schließen konnten. Ich bin dann bis zum Kugelgelenk in einer Nacht amputiert worden.“

Ein Jahr dauert es, bis Schumacher wieder genesen ist. Er magert auf kaum mehr als 40 Kilo ab, verbringt Monate in einem Lazarett und wird anschließend zu einer Erholungskur nach Offenbach geschickt. Für den Verlust seines Armes erhält er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und eine schmale Kriegsversehrten-Rente. Am zweiten Jahrestag seiner Verwundung, erzählt Schumachers Cousine (und wohl auch Geliebte) Dorothea Kollmorgen später einmal, will Kurt niemanden sehen und schließt sich stundenlang in sein Zimmer sein. Er habe sich wohl nicht mehr als vollwertigen Menschen betrachtet, schließt sie daraus.

Studium und Neubeginn

Doch das Leben geht weiter für den intelligenten Schumacher. In den weiteren Kriegsjahren legt er den Grundstein für seine spätere Karriere. Im Herbst 1915 beginnt er in Leipzig und Halle ein Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie. Ab Sommer 1917 studiert er in Berlin, wo er nach dem Krieg, im Februar 1919, seine erste juristische Staatsprüfung ablegt. Später wird er eine Doktorarbeit zum Verhältnis zwischen der Sozialdemokratie und dem Staat schreiben.

Auch privat nähert er sich in dieser Zeit immer mehr der SPD an. Schon zu Jugendzeiten stand er ihr nahe, obwohl seine Familie wohlhabend war und sein Vater einer liberalen Splitterpartei angehörte. Doch von seinem Taschengeld hat Schumacher neben dem liberal-demokratischen Blatt „Der März“ auch die „Sozialistischen Monatshefte“ abonniert. 1917 tritt er in den SPD-nahen „Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten“ ein und im Januar 1918 auch in die SPD. Vielleicht hätte er es schon früher getan, wenn nicht Leipzig und Halle Hochburgen der USPD gewesen wären.

Schumacher aber ist pragmatischer „Revisionist“, der lieber soziale Reformen durchsetzen will als in Frontalopposition zum Staat zu gehen. Nach dem Krieg wird die SPD auch sein Arbeitgeber: 1920 beginnt er als Redakteur bei der sozialdemokratischen „Schwäbischen Tagwacht“ in Stuttgart zu arbeiten. Bald steigt er auf, wird Parteivorsitzender in Stuttgart – und Jahrzehnte später im ganzen Land das prägende Gesicht der SPD.

Und Schumachers Heimatort? Culm wird mit dem Versailler Vertrag der neu gegründeten Republik Polen zugesprochen. Viele Deutsche verlassen die Stadt daraufhin, teils freiwillig, teils auf Druck der neuen Obrigkeit hin. Auch Kurt Schumachers Eltern verabschieden sich aus der alten Heimat, um ein neues Leben in Hannover zu beginnen.

Mehr:
Teil 1: Ernst Reuter - der Revolutionshelfer
Teil 2: Käthe Kollwitz - die Trauernde

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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