Geschichte

Der „rote Baron“

von Die Redaktion · 11. Oktober 2006
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Wahrscheinlich wäre der "rote Baron" in der SPD längst vergessen, hätte nicht Peter Glotz in seinem letzten Buch vor seinem Tod an ihn erinnert: Er hatte "ein Gespür für den politischen Horizont wie keiner. Er war wirklich ein Vordenker." Am 6. Oktober 1906, also vor 100 Jahren, auf Gut Rechetsberg bei Weilheim in Oberbayern geboren, fand Waldemar von Knoeringen bereits als 17jähriger den für Adlige gewiss ungewöhnlichen Weg zu den "Naturfreunden", dann drei Jahre später zur SPD Sektion Rosenheim. Er entwickelte sich zu einem unerschrockenen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus und musste im März 1933 aus Deutschland fliehen. Im Londoner Exil wurde aus dem Linkssozialisten ein undogmatischer demokratischer Sozialist und ein unnachgiebiger Gegner des Kommunismus.

1946 nach Bayern zurückgekehrt, begann sein Weg als Vordenker, Leitwortgeber und einer der Erneuerer der SPD. Er strebte nach einer aufgeklärten, das gesamte gesellschaftliche Leben durchwirkenden Demokratie als Voraussetzung für die Erhaltung und Erweiterung von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit; sein Bild vom Menschen als gleichzeitig zum Guten wie zum Bösen angelegt verwies ihn auf einen neuen Entwurf von politischer Bildung, Bildung überhaupt; den Ergebnissen der modernen Natur- und Technikwissenschaften wollte er politische Wirksamkeit verschaffen; er stieß den Dialog mit den Kirchen an; er brachte viele Gedanken in die Diskurse ein, die zum Godesberger Programm führten; er wurde zum Wortführer des innovativen Aufbruchs der SPD zu einer modernen Bildungs- und Wissenschaftspolitik.

Kann die SPD einen solchen Mann wirklich vergessen? In den Darstellungen zur SPD-Geschichte nach 1945 kommt er jedenfalls nur am Rande vor, wenn überhaupt. Viele in seiner Partei hielten ihn für einen wortgewaltigen Schöngeist, für einen naiven idealistischen Traumtänzer, für den Typ des ewig jugendbewegten sozialdemokratischen Agitators. Er hatte wohl von allem etwas. Aber er war viel, viel mehr und anderes, auch ein Mann der sich im politischen Tagesgeschäft durchaus auskannte: Mitglied des Parteivorstandes auf Bundesebene seit 1948, stellvertretender Parteivorsitzender 1958-1962, bayerischer Landesvorsitzender seit 1947, Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag seit 1950, Architekt der legendären Vierer-Koalition 1954 in Bayern.

Er zählte sich zur "Zwischengeneration", alt genug, um gegen die Totalitarismen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu kämpfen, und noch jung genug, um den demokratisch-sozialistischen Aufbruch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mitzugestalten. Das machte ihn zum Hoffnungsträger für junge Sozialdemokraten, zumal er fähig war, uneitel und neugierig auf Menschen zuzugehen und sie zu motivieren, über den Tag hinaus zu denken. Wer ihn so erlebt hat, kann ihn nicht vergessen.

Bereits seit Ende der 1950er Jahre herzkrank, starb Waldemar von Knoeringen am 2. Juli 1971, noch nicht 65 Jahre alt; seine gleichaltrige Frau Juliane, politische Mitstreiterin über vier Jahrzehnte, überlebte ihn nur um zweieinhalb Jahre.

Von Helga Grebing (Quelle: vorwärts 10/2006)



Wer mehr erfahren will, findet dies im soeben erschienenen, von Helga Grebing und Dietmar Süß herausgegebenen Buch: Waldemar von Knoeringen. Ein Erneuerer der deutschen Sozialdemokratie, 2 Bände, vorwärts buch, Berlin 2006, 255 und 455 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 3-866-02290-5

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