Geschichte

Der politische Autor Erich Loest

von Klaus-Jürgen Scherer · 12. September 2014
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Am 12. September 2013 entschied sich der 87jährige Erich Loest angesichts aussichtsloser Altersleiden für den Freitod. Der Bestseller-Autor und streitbare Sozialdemokrat war sein Leben lang der Freiheit und der Gerechtigkeit verbunden. Selbst siebeneinhalb Jahre DDR-Knast in Bautzen konnten Erich Loest nicht brechen.

Einer mit aufrechtem Gang, der sich auch über die eigenen Genossen so richtig aufregen konnte. Zum Beispiel darüber, dass sein Kulturforum der Sozialdemokratie in Leipzig „seinen Geist aufgab“ wegen „Faulheit und Dummheit“. (Einige Jahre später spielte das sächsische Kulturforum mit einem klugen Kulturprogramm im Dulig-Wahlkampf 2014 wieder eine gewisse Rolle.)

Erich Loest war ein zutiefst politischer Schriftsteller. In allen seinen Romanen, die stets eine breite Leserschaft fanden, spiegelten sich gesellschaftliche Situationen und Konstellationen deutscher Geschichte wider. Von den einstigen „Jungen, die übrigblieben“  vom Volkssturm (1950), über den DDR-kritischen Roman „Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene“ (1978), bis zu „Sommergewitter“ (2005), dem wohl besten Roman über den DDR-Volksaufstand des 17. Juni 1953.

SPD, Grüne und Linke sind Bebels Erben

Sein letztes Buch „Gelindes Grausen“ sind Tagebuchaufzeichnungen von 2011 bis 2013, postum herausgegeben von seiner Lebensgefährtin Linde Rotta. Darin steht, wie ihn der 100. Todestag von August Bebel angesichts eines Gesprächs von Manfred Bissinger und Günter Grass bewegte. Er fühlte sich sogar angeregt in Märchenform darüber nachzudenken, „was Politspunde von SPD, Grüne und Linken ersinnen könnten, um ihre Parteien auf eine Linie zu bringen, die Koalitionen möglich macht – alle drei sind  ja Urenkel von Bebel und weidlich zerstritten“.

In dieser letzten Zeit vor dem Aufenthalt im Krankenhaus, das er nicht mehr lebend verlassen sollte, schrieb er seinen Beitrag für den von Manfred Bissinger und Wolfgang Thierse herausgegebenen Sammelband „Was würde Bebel dazu sagen? Zur aktuellen Lage der Sozialdemokratie“. Dieser beginnt mit eben jenem Gespräch Bissinger-Grass über das, was von Bebel bleibt und was aktuelle Aufgaben der SPD sind, und enthält im Übrigen eine Fülle anregend wegweisender Texte mit Bezug auf Bebel. Von Hans-Jochen Vogel über Peter Brandt bis Sigmar Gabriel werden historische und aktuelle Kernanliegen der Sozialdemokratie thematisiert.

Das rote Sachsen ist Geschichte

Den Loest-Text in diesem Band, überschrieben mit „Bebel ging die Schönbach hinunter“, kann man als eine Art kleines politisches Vermächtnis lesen. Bebel kehrt zurück in das heutige Leipzig und betrachtet – wie Loest selber – den Zustand der dortigen SPD voller Melancholie. Im Tief des letzten Jahrzehnts, voller Halbheiten und Fehler, mit abnehmender Bedeutung, sogar von einem „letzten Aufgebot mit Oberbürgermeister“ ist die Rede. Nur 15 Prozent aller Wahlberechtigten hatten der SPD noch ihre Stimme gegeben. Dazu Loest: „,Das rote Sachsen‘, hatte es geheißen, schämte sich denn niemand?“

Menschen gehen meist zum falschen Zeitpunkt, große Literaten sowieso immer viel zu früh. Es war Erich Loest nicht vergönnt, den – wenn auch zaghaften – Beginn des Wiederaufstiegs der sächsischen SPD ein Jahr nach seinem Tod noch zu erleben. So bitter seine Kritik am Lebensende war, bestimmt hätte ihn der Zugewinn von zwei Prozentpunkten bei der Landtagswahl, dieser erste Vorbote einer Wende zum Besseren, gefreut.

Denn bei aller Schärfe seiner Kritik: Lebenslustig zu sein, das verstand er auch. Ich erinnere mich, wie wir vor Jahren, gewissermaßen in bester Tradition Goethes, in Auerbachs Keller saßen. Mit dem damaligen SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck trat Loest in einen feucht-fröhlichen Wettstreit, ob der Weißwein aus der Pfalz oder von Saale und Unstrut besser sei. Die Argumente auf beiden Seiten waren pfiffig, Rebsorten, Böden, Lagen, klimatische Finessen, kulturelle Einbindung und so weiter mussten mit manch einer Kostprobe untermauert werden. Am Ende, als Kurt Beck gegangen war, trank Loest mit mir, dem Kulturreferenten des Parteivorstands, noch ein, zwei letzte Biere. Um sich zu vergewissern, dass Besprochenes auf den Weg gebracht war, aber auch um hinter die Kulissen zu blicken, gewissermaßen zur sozialdemokratischen Erdung. Denn die war ihm immer wichtig gewesen.

Buchtipp:

Manfred Bissinger, Wolfgang Thierse (Hg.): Was würde Bebel dazu sagen? Zur aktuellen Lage der Sozialdemokratie, Steidl Verlag Göttingen 2013, 493 Seiten.

Autor*in
Klaus-Jürgen Scherer

ist Redakteur der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte.

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