Geschichte

Dem Unnahbaren ganz nah

von Susanne Dohrn · 13. September 2013

„Wir haben ihn geliebt wie einen Heiligen“ und: „Er war bestimmt kein Mensch zum Anfassen.“ Gemeint ist Willy Brandt. Autor der Zitate: der Fotograf Konrad Rufus Müller. Seine Fotos von den Mächtigen der Welt sind Kunst und Kult. Einige seiner besten Aufnahmen entstanden von Willy Brandt. Anlässlich des 100. Geburtstags des Ex-Kanzlers und Friedensnobelpreisträgers im Dezember sind sie nun im Willy-Brandt-Haus in Lübeck zu sehen.

Was ist es, das an diesen Porträts so fasziniert? Dass sie jede Falte zeigen, jede Runzel, jede Pore? Ist es die Melancholie, die sie ausstrahlen, die Entrücktheit und manchmal – wenn auch selten – ein unbändiges, ansteckendes Strahlen? Oder ist es das Gefühl, einem Mann nahe zu kommen, der als unnahbar galt? Jeder muss diese Fragen für sich beantworten. Der Fotograf gibt einen Tipp. „Die Einsamkeit der Mächtigen“, darum gehe es ihm, sagt Konrad Rufus Müller. Und noch eins verrät er: Die Aufnahmen des Flusses, die seien am Rhein entstanden, in der Nähe von Unkel, wo Willy Brandt von 1979 bis zu seinem Tod 1992 gelebt hat. Aber warum ein Foto von Farnkraut? Warum eins vom Watt bei abgelaufenem Wasser? Die Verbindung zwischen den Porträts und den Landschaften müssten die Besucher selbst herstellen, sagt Konrad Rufus Müller.

Brandt, der Ausnahmekanzler

Und noch etwas ist ungewöhnlich an dieser Ausstellung: Sie stellt ganz bewusst keine politischen oder historischen Bezüge her. „Das sind keine Fotos, um Geschichte zu rekonstruieren“, sagt Jürgen Lillteicher, Leiter des Willy Brandt Hauses in Lübeck. Deshalb informiert die Ausstellung auch nicht darüber, wann ein Bild entstand, wo oder bei welchem Anlass. Stattdessen: Zitate von Weggefährten, von Willy Brandt selbst, aus Zeitungen. „Noch in hundert Jahren wird man sich an diesen Regierungschef erinnern, den die Verbrechen eines anderen Kanzlers, den er unerschrocken bekämpft hat, auf die Knie gezwungen haben“, schrieb die Zeitung „Le Monde“ im Oktober 1971.

Konrad Rufus Müller, der die Mächtigen der Welt von Konrad Adenauer, über Michail Gorbatschow und Francois Mitterand bis Anwar el-Sadat und dazu sämtliche deutsche Bundeskanzler fotografiert hat, erzählt dann doch, und zwar von seiner Arbeitsweise. Seine Kamera sei eine alte Rolleiflex, die erste habe er von seinem Vater bekommen, die zweite 1975 erworben. „Ich habe vier Objektive, ein Stativ, keine Lampen, keinen Blitz“, sagt er. Er fotografiert ausschließlich schwarz-weiß, zwölf Bilder pro Film. Die Filme entwickelt er selbst. „Ich bin aus der Zeit gefallen“, sagt er von sich. Im Auftrag habe er nie gearbeitet, nie „zu irgendeiner Zeit ein Foto abgeben müssen“ und immer „Bücher machen“ wollen. 20 sind es inzwischen.

Diskretion und Anstand

„Die monate- die jahrelange Beobachtung von Menschen“ sei seine Arbeit, so Konrad Rufus Müller. Willy Brandt begleitete er von 1969 bis 1991 mit seiner Kamera, war auf Parteitagen dabei, in Norwegen wo die Familie ihre Sommerferien verbrachte, auf den mehrere Tage dauernden Wanderungen, bei Wahlkämpfen und im Kanzlerzug. „Was macht den Mann aus“, wollte er wissen. Brandt habe völlig gedankenverloren in einer Gruppe von Menschen sitzen können, an einem Tisch, irgendwo in Deutschland, irgendwo auf dem Land, auf irgendeinem der vielen Wahlkampfermine, um dann plötzlich von einer Sekunde auf die andere voll da zu sein, der ganz große Kommunikator, man hätte ihn küssen können, aber sei kein Mensch zum Anfassen gewesen, erzählt der Fotograf. Auf diesen Reisen, vor allem auf den Wanderungen seien seine schönsten Fotos von Willy Brandt entstanden. 

Konrad Rufus Müllers Geheimnis: „Diskretion und Anstand“. Er habe oft nicht fotografiert, sagt Müller: Mitterand im Urlaub im Ringelpulli, Gerhard Schröder nach einer durchwachten Nacht, auf solche Fotos verzichtet er. Angela Merkels Make-up mag er nicht, da sehe man keine Hautstruktur, sagt der Künstler. Bei Willy Brandt hingegen schaut die Kamera fast in die Haut hinein, sie holt so die „Einsamkeit des Mächtigen“ hervor, die Momente des Glücks und der Verzweiflung  und zeigt einen Mann, der, so sagt der Fotograf, „absolut uneitel“ war.

Über Willy Brandt. Ein fotografisches Porträt von Konrad Rufus Müller. Ausstellung bis 14. November im Willy-Brand-Haus Lübeck, Königstraße 21, 23552 Lübeck, Öffnungszeiten Di-So 11 bis 18 Uhr. www.willy-brandt-luebeck.de

Ab dem 6. Dezember bis 1. Februar 2014 wird die Ausstellung im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen sein. Organisiert hat die Ausstellung die Galerie Pinter & Milch in Berlin.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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