Der große Reformer wird am 4. Februar 85 Jahre alt.
Im Mai 1999 erschien ein politischer Thriller mit dem Titel „Euro-Coup“. Autor: Horst Ehmke. Es geht in dem spannenden Roman voller Insider-Wissen um eine Attacke krimineller amerikanischer Spekulanten gegen den Euro. Die EU-Kommission versucht mit allen Mitteln gegenzuhalten, den Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung zu verhindern. Das Buch kam fast zehn Jahre vor dem Beginn der Banken- und Finanzkrise im Jahre 2008 auf den Markt! Man zahlte damals noch mit D-Mark. Ein paar wenige Ökonomen bewunderten Ehmkes Weitsicht, für die meisten aber gehörte die Geschichte eher in den Bereich besonders phantasievoller Science Fiction.
Horst Ehmke wird am 4. Februar 85, und immer noch wird klüger, wer ihm zuhört, mit ihm diskutiert. Das liegt nicht nur an seinem phänomenalen Gedächtnis und daran, dass er sie fast alle kannte, die wichtigen politischen Akteure in Deutschland, Europa und der Welt. Er argumentiert präzise. Niemals färbt Wunschdenken seine Analysen, sei es zum Zustand der globalen Finanzmärkte oder zum Zustand der SPD. Er mag altersweise geworden sein, altersmilde ist er nicht.
Nach dem Ausstieg aus der Politik schreibt er Thriller
1994 ist Horst Ehmke aus der Politik ausgestiegen mit der Begründung: „Die Jüngeren werden nicht dadurch besser, dass die Älteren länger bleiben.“ Da war er 67 und hat ganz konsequent ein neues Leben angefangen, mit seiner Frau Maria und zwei Katzen zwischen Bonn und der Eifel pendelnd. Und während viele hofften – oder fürchteten – nach seiner lesenswerten Autobiografie „Mittendrin“ würden nun weitere Bücher zur politischen Lage folgen, schrieb der Ausnahmepolitiker fünf viel gelesene, immer sauber recherchierte politische Thriller.
Horst Ehmke war über Jahrzehnte einer der interessantesten SPD-Politiker gewesen, ein Quereinsteiger in die Politik. Er war knapp 40, als er das vergleichsweise beschauliche Leben eines angesehenen Staatsrechtsprofessors in Freiburg hinter sich ließ und in der großen Koalition 1966 zunächst Staatssekretär bei Bundesjustizminister Gustav Heinemann wurde. Damit begann eine rasante Karriere: Bundesjustizminister, Kanzleramtsminister bei Willy Brandt, Forschungsminister. Als Willy Brandt 1974 wegen der Guillaume-Spionageaffäre zurücktrat, verließ auch Horst Ehmke das Kabinett. Wäre er damals noch Kanzleramtschef gewesen, das Krisenmanagement wäre wohl nicht so katastrophal verlaufen, vermuten bis heute nicht nur seine politischen Freunde. Ehmke aber, der ohne Willy Brandt nicht mehr Minister sein mochte, startete wieder einmal neu durch, wurde und blieb bis zu seinem Abschied aus der Politik ein profilierter Außen- und Sicherheitspolitiker mit weltweiten Kontakten.
Mehr Demokratie wagen – Ehmke setzte die Reformen um
In Bonn hatte er sich schon in der großen Koalition von 1966 den Ruf eines reformfreudigen Feuerkopfs erarbeitet. Nicht bei allen Genossen machte er sich damit beliebt. In der SPD wurde gelästert, er löse Probleme, bevor sie überhaupt entstanden seien. Darüber kann er noch heute lachen und vergnügt erzählen, wie er und andere damals glaubten, die ganze Republik ließe sich nach der gesellschaftlichen Stagnation der Adenauerjahre im Hau-ruck-Verfahren verändern. „Wir hatten das Gefühl, wir machen jetzt eine gründliche Renovierung dieser Republik. Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Illusion war, man könne noch mal bei Null anfangen. Nach sechs Wochen hatten wir schon begriffen, dass die Strukturen stärker waren als erwartet. Aber das, was zu ändern war, haben wir zu ändern versucht.“
Und das war ja nicht nur die Ostpolitik. Das Strafrecht wurde modernisiert, es gab gesellschaftspolitische Reformen ohne Zahl. Die rechtliche Diskriminierung Homosexueller wurde beendet, das Ehe- und Familienrecht entstaubt, die Liberalisierung des Abtreibungsrechts eingeleitet. Das ganze Leben wurde politischer, und die jungen Menschen hatten endlich das Gefühl, dies sei auch ihre Republik. Diese Grundstimmung währte nur wenige Jahre, aber sie hat das Land nachhaltig verändert.
Und mittendrin immer Horst Ehmke. Selbst als seine Haare weiß wurden, galt er noch als der „wilde, junge Mann der SPD“, der ungezähmte und unzähmbare. Das hatte nicht nur mit seiner Lust am intellektuellen Streit zu tun – er war ein begnadeter Oppositionsredner im Bundestag – sondern mit seiner Ungeduld und seiner großen Neugier auf Menschen, auf neue politische Entwicklungen. Und immer ging ihm alles zu langsam. Dass er intelligenter war als die meisten, behielt er nicht für sich, auch das machte seinen Fanclub zeitweise überschaubar. Und doch hatte und hat er eine unter Spitzenpolitikern nicht sehr verbreitete Eigenschaft: eine Begabung zur Freundschaft. Er ist bis heute ein Kümmerer mit einem stabilen, privaten Freundeskreis. Obwohl der Sohn eines Danziger Chirurgen seit 1947 in der SPD ist, hat er sich nie ganz vereinnahmen lassen. Immer waren ihm Kunst und Bücher und Reisen wichtig. Er ist ein manischer Leser, befreundet mit vielen Künstlern. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass er in seiner SPD den Exotenstatus nie ganz verloren hat.
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.