War sie nun fehlgeschlagen, stecken geblieben, unvollendet, gescheitert gar oder nicht doch wenigstens teilweise erfolgreich? Welche Kennzeichnung man wählt, hängt von den Erfolgsvorstellungen
ab, die man mit der Revolution verbindet, zeitgleich oder im Blick zurück zumeist im Zorn. Hätte sie vielleicht eine Revolution nach dem Modell der Oktoberrevolution der Bolschewiki werden
sollen, oder sollte sie eine mit imperativem Mandat ausgestattete Räteherrschaft hervorbringen oder eine soziale Republik begründen, die die Formen der repräsentativen Demokratie verknüpfte mit
sozialstaatlichen Elementen und erweiterten politischen Beteiligungsrechten der aktiven Bürger an der politischen Willensbildung oder hätte sie besser gar nicht stattfinden sollen; denn hätte es
nicht einen sanften Übergang von der Monarchie in ein parlamentarisch-repräsentatives Regierungsmodell geben können, in dem auch ein Kaiser Platz gehabt hätte?
Von der Mehrheit abgelehnt
Die Revolution begann relativ gewaltlos, wenn auch hoch aufgeladen mit der Bereitschaft der Soldaten- und Arbeitermassen, darunter viele Frauen und Jugendliche, die entmündigende Herrschaft
von Kaiser, Adel und konservativem Bürgertum zu beenden, zumal das alte Regime ziemlich hilflos und inkompetent auf Niederlagen an der Front und Notstände in der Heimat reagierte. Aber warum dann
die Eile, mit der die Sozialdemokraten unter der Führung von Friedrich Ebert die revolutionäre Massenbewegung in einen legalen Volksstaat einmünden lassen wollten? Das hatte seine Gründe: Die
Revolution wurde nämlich von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung abgelehnt: von Adel, Militär, konservativ nationalistischen Bürgertum, kapitalistischen Großunternehmern, gewerblichen
Mittelstand, Bauern und von den Kirchen. Sie alle verziehen der Revolution nicht die Beseitigung der Monarchie und die Absicht, eine freiheitlich-demokratische Republik zu errichten.
Aber auch die Linksradikalen in der Arbeiterbewegung wollten diese Revolution nicht, hielten sie für gescheitert und bekämpften sie, weil sie nicht einen Umbruch der kapitalistischen
gesellschaftlichen Strukturen auslöste. Die Vorwürfe der radikalen Linken, dies verhindert zu haben, trafen in erster Linie die Mehrheitssozialdemokraten. Und möglicherweise hätte ja die Nutzung
der revolutionären Legitimation, die der von ihnen geführte Rat der Volksbeauftragten besaß, zumindest einige Fakten schaffen können, um die Jahrhunderte lang bestehenden Herrschaftsstrukturen
in Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Militär, Schule und Universitäten grundsätzlich zu korrigieren.
Im Nachhinein können die Historiker weitgehend einhellig feststellen, welche, wenn auch insgesamt geringen Spielräume zur Erweiterung der politischen Willensbildung und zur demokratischen
Strukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse bestanden haben und nicht genutzt wurden. Faktisch ist davon wenig belegbar, aber manches vermutbar. Welche Folgen solche Versuche gehabt
hätten, können wir nicht wissen, aber ahnen: vielleicht wäre ja die konservative Gegenrevolution womöglich noch früher und noch rabiater erfolgreich tätig geworden, wie dann seit Januar 1919, als
sich die Revolution radikalisierte und in einen bürgerkriegsnahen Aktionismus abrutschte und Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von der Konterrevolution ermordet wurden.
Chaotischer Putschismus
Dabei führten beide nur eine lautstarke Minderheit an, eine radikale Linke verschiedener Richtungen, die keine in sich stimmige konkrete Perspektive zu bieten hatte; was sie allerdings bot,
waren gefährliche Fehleinschätzungen. Auf der Reichskonferenz der Arbeiter- und Soldatenräte im Dezember 1918 stellten die Linksradikalen von 498 Delegierten gerade zwanzig, MSPD dagegen 291 und
USPD 80. Nach der Ermordung der beiden Führer versank die Ende 1918 gegründete KPD erst einmal in einen chaotischen Putschismus.
War also die Revolution nicht doch gescheitert? Nein, sie ist nicht gescheitert! Um dies zu begründen, sei zunächst auf Überlegungen verwiesen, die zwei sozialdemokratische Autoren
vertreten haben: Peter von Oertzen hielt die Errichtung einer "sozialen Demokratie" auf der Grundlage veränderter gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse für möglich. Richard Löwenthal
bezweifelte dies; er hielt Revolutionen in hoch entwickelten und hoch organisierten industriellen Gesellschaften für nicht durchführbar: die Sorge um die technisch-organisatorische Kontinuität
der Ordnung des täglichen Lebens verhindere sie. Insofern kann man sagen, dass 1918 zwei Seelen in der proletarischen Brust der Revolutionäre miteinander stritten: Chaos verhindern bzw.
beseitigen und gleichzeitig die gesellschaftlichen Machtverhältnisse durch einen revolutionären Feuersturm verändern. Das aber musste die Kontinuität der Lebensordnung gefährden.
Unter diesen Gesichtspunkten ist Bilanz zu ziehen. Die Hauptverdienste der Sozialdemokratie waren: Kein Zerfall des Reiches, kein Bürgerkrieg, keine konservative Diktatur, sondern eine
demokratische Republik, die erste auf deutschem Boden. In der Konsequenz dieser Entscheidung lag die Integration der liberal-bürgerlichen Kräfte sowie des katholischen Zentrums und der
katholischen Arbeiterschaft, aber auch von Teilen der eher konservativ-nationalen christlichen Gewerkschaften. Nach der Staatslehre beider Kirchen konnte man keiner Revolution zustimmen, wohl
aber, wenn sie stattgefunden hatte, sich auf den Boden der Tatsachen stellen. Integriert ins republikanische Lager wurden auch die freien Gewerkschaften, die noch in den ersten Tagen der
Revolution im Alleingang mit den Unternehmern in eine Arbeitsgemeinschaft eingetreten waren. Dies alles ergab - unter Ausschluss der Kommunisten - eine Art Einheit der Arbeiterbewegung, die dann
in der Republik fortgeführt wurde.
Vorbildliche Verfassung
Die erste deutsche Republik erhielt die seinerzeit modernste demokratische Verfassung und in ihr einen Grundrechtsteil, der als vorbildlich gelten konnte. Bereits die Verordnungen des Rates
der Volksbeauftragten im November 1918 hatte das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen dekretiert und die Aufhebung aller Gesindeordnungen in Deutschland angeordnet; die Arbeitsgemeinschaft
zwischen Gewerkschaften und Unternehmern hatte als Normalarbeitstag acht Stunden vereinbart, und nun fügte die am 11. August 1919 verabschiedete Verfassung die Unverletzlichkeit der Freiheit der
Person, die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche und die Gleichstellung der unehelichen Kinder hinzu; Artikel 165 sah außerdem die Errichtung von
Arbeiterräten vom Betrieb bis zur Reichsebene vor.
Noch immer hält sich die Behauptung, die SPD sei zur Begründung eines nachrevolutionären republikanischen sozialen Rechtsstaates nicht wirklich vorbereitet gewesen. Sie habe nur Kompetenz
für Sozialpolitik und Wahlkämpfe besessen und sei ohne Kenntnis des Regierungshandelns gewesen. Dagegen ist einzuwenden: Zwar gab es keine Theorie oder Strategie für die Machtübernahme in der
Revolution, die man bekanntlich nicht machte, die aber aufgrund der Entwicklung des Kapitalismus naturnotwendig kommen würde. Aber die Sozialdemokraten besaßen ein weites Feld von Erfahrungen in
vielen Bereichen der Politik, selbst der Militärpolitik. Und sie hatte in ihren Reihen bedeutende und international bekannte Juristen wie Hugo Sinzheimer, den Vater des modernen Arbeitsrechtes,
und Gustav Radbruch, der später mehrfach Reichsjustizminister wurde. Vermissen muss man allerdings einen wesentlichen Faktor für politischen Erfolg: das politische Machtbewusstsein fehlte den
Sozialdemokraten damals zwar nicht ganz, galt aber eher als notweniges Übel.
Beginn des modernen Sozialstaats
Darüber sollte man nicht vergessen, dass das, was damals, ausgehend von den revolutionären Ereignissen im November 1918 von den Sozialdemokraten, vor allem von ihnen, geschaffen wurde, mit Fug
und Recht als Begründung des modernen Sozialstaats bezeichnet werden kann. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass in der frischen Luft der freien Republik ein Aufblühen der demokratischen
Arbeiterbewegung erfolgen konnte und eine Entwicklung in gang gesetzt wurde, die zu einer Demokratisierung der Gesellschaft wesentlich beitrug. Die Sozialdemokratie galten nun nicht mehr als eine
Ansammlung von verfemten Vaterlandsverrätern in einer Klassengesellschaft, sondern waren die Träger einer Demokratisierung hin zu einer offenen Gesellschaft.
Dass die aus der Revolution 1918/19 hervorgegangene erste deutsche Republik mit der Übergabe der politischen Macht an diejenigen endete, die dann eine nationalsozialistische terroristische
Diktatur errichteten, darf selbstverständlich nicht verschwiegen werden; aber zwischen der Geburt der Republik und diesem Ende geschah so manches, an das wir nach 1945 wieder anknüpfen konnten:
an die Tradition des sozialen Rechtsstaates sozialdemokratischer Prägung. Und ohne die revolutionären Akte der demokratischen Arbeiterbewegung am 9. November 1918 und in den folgenden Wochen und
Monaten hätte es den epochalen Wechsel von der autoritären Monarchie zur demokratischen Republik nicht gegeben und die Anfänge des modernen sozialen Rechtsstaatesauch nicht.
Helga Grebing (* 27. Februar 1930 in Berlin-Pankow, † 25. September 2017 in Berlin) war eine deutsche Historikerin und Professorin mit den Schwerpunkten in der Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeiterbewegung.