Geschichte

Als die Städte wieder selbst entscheiden konnten

von Stefan Grönebaum · 18. Mai 2010
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Mit dem "Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise der DDR" vom 17. Mai 1990 bekamen die Kommmunen in der DDR ihr Selbstverwaltungsrecht zurück", so fasste SPD-MdB Hans-Joachim Hacker die Bedeutung des Gesetzes zusammen. Auf den Tag 20 Jahre nach seiner Verkündung erinnerten AG Ost und AG Kommunalpolitik der SPD-Bundestagsfraktion mit mehreren Zeitzeugen daran, zogen Zwischenbilanz und blickten in die Zukunft. Dabei wies Hacker auf die demografische Herausforderung hin: Bis 2030 werde es 15 Prozent weniger Menschen in den ausgedünnten ostdeutschen Ländern geben, von denen jeder Dritte älter als 65 sein werde.Hacker erinnerte an eine Million leerstehende Wohnungen und versprach, die SPD werde den Stadtumbau Ost fortsetzen und die Altschuldenfrage regeln.

Iris Gleicke, Sprecherin der AG Ost, erinnerte daran, wie man 1990 keine Lust mehr hatte, "sich sagen zu lassen, was wo gebaut wird". Man habe schnell entscheiden müssen und können, weil alle sich einig waren, etwas für ihre Orte zu tun. Bernd Scheelen, Sprecher der AG Kommunalpolitik, beschrieb die Kommunen als "das Fundament, nicht das Kellergeschoss unserer Demokratie". Die Verfassung von 1990 habe die Bürgerbeteiligung festgeschrieben, viele Westländer seien nachgezogen. Inzwischen bedrohe die kommunale Finanznot die Selbstverwaltung. Wer da an Steuersenkungen denke, runiere die Kommunen, die bereits durch schwarz-gelbe Gesetze überproportional betroffen seien. Stattdessen sei ein Rettungsschirm für die Kommunen erforderlich.

Erlahmte Euphorie

Rosemarie Wilcken, seit 1990 Bürgermeisterin in Wismar, erinnerte daran, dass man Satzungen u.a. von den westdeutschen Partnerstädten abgeschrieben habe. Die Verfassung, so Wilcken dankbar, sei kurz gewesen und habe mit ihrer "geringen Regelungstiefe" den Kommunen viele Handlungsfreiheit gegeben. "Mein kommunales Rüstzeug war ein SGK-Seminar", so Wilcken weiter. Die Euphorie von damals sei leider erlahmt, aber Demokratie sei eben ein Prozess. Sie wünschte sich jedoch einen höheren Stellenwert der Kommunen im föderalen Gefüge.


Das wünscht auch Karl-Ludwig Böttcher, 1990 Bürgermeister von Zeuthen, und seit Geschäftsführer im Städte- und Gemeindebund Brandenburg. Die heutige Verfassung sei länger, nicht besser. So würden die Paragrafen zur wirtschaftlichen Betätigung von einem 50-Seitenrundschreiben ausgelegt. Damals sei der Zugang zu Volkskammer leichter gewesen als heute zum Bundestag, mahnte Bötcher, der sich freute, dass man Grundlagen wie das kommunale Vermögensgesetz zur Bildung von Stadtwerken genutzt habe.

Wahlkampf im geborgten Auto

Überhaupt war der Konsens 1990 größer: Gottfried Timm, Ex-Volkskammerabgeordneter erinnerte sich, wie man in sieben Tagen zwei Entwürfe beraten und sich dann für den des Ministerrats entschieden habe, weil der viel übernommen habe. "Wir wurden ins kalte Wasser geworfen - und was wir gemacht haben, war so übel nicht", bilanzierte er stolz. Das fand auch Johannes Kwaschik, von 1990 bis 2007 Schwerins OB, der das eigentlich nicht werden wollte: "Aber es wollte kein anderer machen." So hatte er kandidiert, machte mit einem Mitarbeiter und einem aus NRW geborgten Auto Wahlkampf und wurde mit einen Prozent vor der CDU im Mai 1990 OB. Immerhin habe man ohne Unruhen die Zahl der Mitarbeiter in Schwerin von 5 600 1990 bis 2002 auf 1900 abgebaut.

Siegfried Friese, seit 1994 bis 2004 Bürgermeister in Bad Kleinen und 1990 bis 2006 MdL in Schwerin, forderte ein Konnexitätsprinzip auf Bundesebene, um die Selbstverwaltung zu retten. Zudem sei eine qualitative Betrchtung von Finanzzuweisungen erforderlich. Alle Zeitzeugen bedauerten, dass heute oft mehr negative Aspekte in den Blick geraten und räumten ein, dass angesichts drückender Soziallasten und geringer Einnahmen es immer schwerer werde, kommunale Selbstverwaltung zu leben (Rosemarie Wilcken). Den demograpfischen Wandel, erklärte Timm, könne man nicht verhindern, aber gestalten. Mecklenburg-Vorpommern sei 1990 das jüngste Bundesland gewesen und sei heute das Älteste. Er bedauerte, dass die Kreisgebietsreform 2006 am Landesverfassungsgericht gescheitert sei, aber man arbeite an neuen Entwürfen, zudem böte e-Government Chancen zu neuen Beteiligungsformen der Bürger.

Herausforderungen der Gegenwart

Für Rosemarie Wilcken ist die Kluft zwischen Bürgern und Regierenden immer noch am ehesten auf lokaler Ebene zu überwinden. Ihre Erfolge in Wismar erklärte sie damit, sie sei ständig in Kontakt mit dem gesellschaftlichen Vorfeld, Gruppen und Vereinen. Sorge bereitet ihr, dass das Durchschnittseinkommen in ihrer Stadt ganze 14 000 Euro per anno betrage: "Die wandern alle in die Grundsicherung im Alter."

Den positiven Schluss setzte Iris Gleicke, derzufolge die Ostdeutschen (wieder) die Chance haben, Avantgarde zu sein: Die Bürger fühlten sich beengt und es sei Aufgabe der Politik, ihnen etwa mit Hilfe von Bürgerbeteiligung oder Bürokratieabbau wieder mehr Freiheit zu geben wie am 17. Mai 1990. Jeder müsse sich ernst genommen fühlen, war sie sich mit Wilcken einig. Dazu gehörten klare Finanz- und Kompetenzzuordnungen, damit die Menschen sich zu Recht finden könnten - und das bitte besser als bei der Föderalismuskommission, wie Kommunalsprecher Bernd Scheelen selbstkritisch anmerkte.

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Stefan Grönebaum

war von 1994 bis 1998 Büroleiter und Persönlicher Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Fikentscher.

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