Debatte

Gleichstellung in der EU: Was droht Frauen bei einem Rechtsruck

Das Europa-Parlament droht nach den kommenden Wahlen nach rechts zu rücken. Was bedeutet das für die Gleichstellung in der EU?

von Lea Hensen · 23. Mai 2024
v.l.: Europaabgeordnete Hanna Neumann (Grüne), SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley, Moderatorin Helene Banner und Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung

v.l.: Europaabgeordnete Hanna Neumann (Grüne), SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley, Moderatorin Helene Banner und Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung

Zwei Meilensteine, so könnte man sagen, hat die EU in den vergangenen fünf Jahren erreicht: Am 6. Juni 2023 trat die Lohntransparenz-Richtlinie in Kraft. Sie soll durch transparente Gehaltsstrukturen dem Gender Pay Gap entgegenwirken, der Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen. Denn EU-weit bekommen Frauen für jeden Euro, den ein Mann verdient, nur 87 Cent. Einen weiteren Meilenstein erreichten die Mitgliedsstaaten im Sommer vor zwei Jahren, als sie sich darauf einigten, eine Geschlechterquote für Spitzenpositionen in börsennotierten Unternehmen einzuführen.

Nun steht die nächste Europawahl bevor und es ist wahrscheinlich, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Brüssel dazugewinnen. Was bedeutet das für die Gleichstellung in der EU? 

Judith Rahner leitet bei der Amadeu-Antonio-Stiftung die Fachstelle „Gender, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“. Auf einer Veranstaltung der Bundesstiftung Gleichstellung für ein „geschlechtergerechtes Europa“ warnte sie vor den antifeministischen Narrativen in rechten Ideologien. Rechte Parteien würden eine Art Kulturkampf mit dem Feindbild Feminismus führen, sagte sie. Typische antifeministische Ziele rechter Ideologien seien die Einschränkung reproduktiver Rechte, wie das Recht auf Abtreibung, oder das Recht auf Ehe für alle.  Auch würden Rechte gerne eine Angst davor fördern, dass die eigene Kultur durch fremde Völker ersetzt werden könnte. 

Rechte führen Kulturkampf gegen Feminismus

„Wir brauchen, um dagegen anzukommen, mehr Daten“, forderte Rahmer. Ein transnationales Monitoring könnte Aufschluss darüber geben, wie rechte Ideologien Einfluss ausüben. Sie appellierte daran, sich nicht auf Scheindiskussionen einzulassen, wie über gendergerechte Sprache – ein Thema, das sich ohnehin nicht ausdiskutieren lässt. „Haltet euch an folgende Prämisse: Sie führen einen Kulturkampf, und ihr geht nicht hin!“, sagte sie. 

Die EU sei in den Bereichen der Wirtschaft sehr eng zusammengewachsen, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann, aber im sozialen Bereich eben nicht. „Dort müssen wir jetzt die Mindeststandards steigern.“ Sie forderte ein gender-sensitives Budgeting ein, also eine Finanzhaltung nach der Frage: Wo genau landet denn das Geld der EU? Neumann brachte auch ein Beispiel an: 86 Prozent der im EU-Haushalt vorgesehenen Gelder für die Agrarpolitik, sagte sie, gingen an Männer.

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, warnte vor dem sogenannten Roll-Back. „Ich habe früher immer gedacht, Gleichstellung geht nur in eine Richtung. Aber das stimmt nicht“, sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl. Rechtsextreme Parteien wollten den Fortschritt in Sachen Gleichstellung zurückdrehen. Deshalb forderte sie eine EU-Charta der Frauenrechte, „um Frauen in ganz Europa einheitlich zu schützen.“ Barley stimmte auch für eine Resolution, mit der das EU-Parlament das Recht auf Abtreibung als Grundrecht einführen will.

Deutschland hinkt in Sachen Gleichstellung hinterher

Die ehemalige Bundesjustizministerin erinnerte daran, dass das Europaparlament der Bundesregierung in einigen Bereichen auch ein Stück voraus ist. Jüngstes Beispiel dafür ist die EU-Richtlinie gegen Gewalt gegen Frauen. Anfang des Jahres hatten sich die EU-Staaten und das Europaparlament erstmals auf Mindeststandards für die Strafbarkeit von zum Beispiel Cybergewalt oder häuslicher Gewalt geeinigt. Leider sei der Straftatbestand der Vergewaltigung dabei ausgeklammert worden. Länder wie Frankreich, Ungarn und auch Deutschland stellten sich quer. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begründete seine Haltung damit, die EU könne keine Vorgaben im Strafrecht machen, wenn der Tatbestand keine grenzüberschreitende Dimension habe, wie im Fall von Terrorismus. Vergeblich hatten mehr als hundert Frauen Buschmann in einem Brief aufgefordert, die Blockade aufzugeben.

Die Mitgliedsstaaten haben nun drei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Die Chance einer EU-weiten Definition von Vergewaltigung als sexuellen Akt ohne ausdrückliche Zustimmung ist aber erst mal vertan. Nach deutschem Recht liegt eine Vergewaltigung vor, wenn es zum sexuellen Akt trotz Ablehnung kam. Das ist problematisch, denn in vielen Fällen ist es schwierig, nachzuweisen, was überhaupt als Ablehnung gilt. In 14 EU-Ländern müssen Vergewaltigte sogar beweisen, dass der Täter Gewalt angewendet hat. War dies nicht der Fall – weil sich die Frau zum Beispiel nicht wehrte – kann das als Einvernehmen ausgelegt werden. Zu diesen Ländern gehören Italien und Frankreich. 

Auch, was den Gender Pay Gap angeht, steht Deutschland mit 18 Prozent weit oben in der Liste der Länder mit der höchsten Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen. Nur in Estland, Österreich und Tschechien ist der Gehaltsunterschied noch größer.

Barley betonte, das Europaparlament sei die einzige Organisation, auf deren Zusammensetzung die Wähler*innen Einfluss haben. Im Rat der Europäischen Union sind bereits mehrere rechte Regierungen vertreten. Die Spitzenkandidatin der SPD forderte die Frauen auf, zusammenzuhalten. „In der öffentlichen Debatte lassen sich Frauen gegeneinander ausspielen. Ich könnte da heulen. Wir haben dieselben Gegner, die warten doch nur darauf, dass wir gegeneinander gehen“, so Barley.

Autor*in
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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