Warum die AfD-Demonstration unfreiwillig komisch wirkte
Guido Reil putscht das Publikum auf. „Mit so einer überwältigenden Resonanz habe ich nicht gerechnet!“, ruft er von der Bühne am Brandenburger Tor seinem Publikum zu. Das jubelt erwartungsgemäß. „Wir rechnen heute mit 10.000 Teilnehmern!“, setzt Reil wieder an und erntet erneut Beifall. Dabei hat weder das eine noch das andere etwas mit der Realität zu tun. Nicht 10.000, sondern nur etwa halb so viele AfD-Anhänger kamen trotz monatelanger Werbung am Sonntag zur „Großdemonstration“ im Regierungsviertel. Und was die „überwältigende Resonanz“ anbelangt: Angesichts der schleppend laufenden Mobilisierung hatte sich die AfD selbst ein paar Tage vorher von der Vorstellung verabschiedet, man werde in fünfstelliger Zahl in Berlin auflaufen können.
Abstand nehmen mussten Reil und sein Bundesvorstandskollege Steffen Königer, denen die AfD-Spitze die Demo-Vorbereitungen aufgetragen hatte, auch von ihrem anfänglichen Konzept für die Veranstaltung. Mehr „normale Menschen“, wie Reil sagt, und weniger Parteifunktionäre hatten sie in Berlin sprechen lassen wollen. Doch sie handelten sich manche Absage ein. Am Ende standen als Vertreter der „Bürgerbewegungen“ lediglich Christoph Berndt vom Cottbuser Verein „Zukunft Heimat“ und Marie-Thérèse Kaiser, eine der Organisatorinen von „Merkel muss weg!“-Demos in Hamburg, bei der Auftaktkundgebung am Mikro.
Strömungsausgleich
Ansonsten sprach nur Parteiprominenz aus dem Vorstand. Die beiden Bundessprecher Jörg Meuthen und Alexander Gauland ließen sich ihre Auftritte nicht nehmen. Mit Albrecht Glaser und Georg Pazderski durften auch zwei der drei stellvertretenden Sprecher ran. Der dritte Parteivize, Kay Gottschalk, hätte auch gedurft, war aber krank. Dazu gab's einen AfD-spezifischen Strömungsausgleich: Die Anhänger der „Alternativen Mitte“ freuten sich besonders über den Auftritt von Beatrix von Storch, die es im internen Machtgerangel mit dem sich (nach AfD-Maßstäben) „gemäßigt“ gebenden Lager hält. Jene, die sich der Rechtsaußengruppe „Der Flügel“ zugehörig fühlen, wurden mit Andreas Kalbitz bedient. Björn Höcke hatte ihn unlängst als „meine rechte Hand im ,Flügel'“ bezeichnet.
Stärke wollte die AfD in Berlin demonstrieren, aber auch Einigkeit. In einer Partei, in der Misstrauen und Missgunst im Übermaß grassieren, ist das nicht unwichtig. Erst recht, weil vor der Veranstaltung wieder einmal Verdächtigungen laut geworden waren. An der Parteibasis warfen sich Anhänger der verschiedenen Lager gegenseitig vor, es mit der Mobilisierung für die Demo gar nicht so ernst zu meinen.
Weidel fehlte
So ganz gelang es aber auch in Berlin nicht, ein Bild der Eintracht zu zeichnen. Ein Parteipromi fehlte. Fraktionschefin Alice Weidel hatte mitteilen lassen, dass sie nicht dabei sein werde. Warum, war in der vorigen Woche auch bei einer Pressekonferenz der Organisatoren nicht in Erfahrung zu bringen. In der Partei wird sie derzeit wegen ihrer Bundestagsreden gefeiert. Doch nach wie vor gibt es auch die Weidel-Skeptiker und -Gegner. Dass die Fraktionschefin bei der seit Monaten vorbereiteten, ersten großen Demonstration der AfD seit dem November 2015 fehlte, verbessert ihr Standing in der AfD nicht.
Nur rund 5000 Menschen kamen trotz bundesweiter Werbung zur AfD nach Berlin. So viele waren es auch schon vor zweieinhalb Jahren gewesen. Mag die Partei auch an den Wahlurnen ein Achtel der Stimmen einheimsen – eine Partei des Straßenprotests ist sie nicht. In der Hauptstadt standen ihr bei einem Dutzend Gegenveranstaltungen nach Angaben der Polizei etwa 25.000 Berliner gegenüber. Die „Wir sind das Volk“-Rufe der AfD-Anhänger wirkten auf Beobachter des Geschehens zuweilen etwas trotzig, zuweilen unfreiwillig komisch.
ist freier Autor, beschäftigt sich intensiv mit der „Alternative für Deutschland“ und schreibt unter anderem für den „Blick nach Rechts“.