NPD-Urteil: Warum die SPD in Hessen gegen einen Richter vorgeht
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Die SPD hat im hessischen Landtag eine Richteranklage gegen einen Richter aus Gießen beantragt. Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Was bedeutet das eigentlich?
Das Instrument der Richteranklage ergibt sich aus dem Grundgesetz und aus der Verfassung des Landes Hessen. Damit soll die Verfassungstreue von Richterinnen und Richtern sowohl im Dienst als auch außerhalb sichergestellt werden. In diesem Fall wäre es so, dass die hessische Justizministerin im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuss tätig werden soll. Der Richterwahlausschuss ist ein Gremium, das die Richterinnen und Richter in Hessen ernennt. Der Antrag würde letztlich an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen, das dann mit Zwei-Drittel-Mehrheit über mögliche Sanktionen befinden muss. Da reicht das Spektrum von der Umsetzung über die Versetzung in den Ruhestand bis zur Entlassung aus dem Richterdienst.
Warum soll das passieren?
Ein Einzelrichter am Verwaltungsgericht hat 2019 ein Urteil verfasst, das starke Zweifel an seiner Treue zum Grundgesetz weckt. Es ging damals um die Frage, ob NPD-Wahlplakate mit dem Slogan „Migration tötet! – Widerstand jetzt“ volksverhetzend sind. Der Verwaltungsrichter hat das verneint und sich in der schriftlichen Urteilsbegründung zu dem Satz verstiegen, die Zuwanderung nach Deutschland habe – Zitat! – „zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen“.
Als er dann 2020 über die Ablehnung eines Asylantrags entscheiden sollte, hat der Anwalt des Klägers diesen Richter wegen seines früheren Urteils zu den NPD-Plakaten als befangen abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht ist dem Befangenheitsantrag gefolgt, denn dem Plakaturteil sei – ich zitiere auch das mal – „auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält“. Mit so einer absolut bedenklichen Geisteshaltung kann man aus unserer Sicht in Deutschland kein Recht sprechen.
Das Urteil stand im Zusammenhang mit einem NPD-Plakat zur Europawahl 2019. Warum ist die Debatte jetzt hochgekocht?
Weil das Bundesverfassungsgericht erst am 1. Juli 2021 in dieser Sache geurteilt hat. Zudem haben wir eigentlich auch erwartet, dass die hessische Justizministerin von sich aus disziplinarisch tätig wird, aber da ist nichts passiert. Deswegen haben wir uns jetzt zum Handeln entschlossen.
Wie verlief die Debatte im Hessischen Landtag dazu?
Die Haltung der CDU war besonders erschreckend, denn dort sieht man überhaupt kein Problem. Die Grünen haben rumgeeiert und wollten eine sogenannte Expertenkommission einsetzen, die sich die ganze Sache anschauen soll. Auch das ist albern, weil die letztliche Entscheidung Karlsruhe trifft. Da brauchen wir nicht über mögliche Entscheidungskriterien in einem Expertengremium zu diskutieren.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Müller hat auf Twitter den Antrag mit dem Eingreifen der polnischen PiS-Partei in die Justiz verglichen. Was entgegnen Sie dem?
Der Tweet des CDU-Abgeordneten Müller war eine Unverschämtheit. Unseren Antrag mit dem Handeln der polnischen Regierung gleichzusetzen, die gegen EU-Recht verstößt und den Rechtsstaat aushöhlt, ist pure Demagogie. Deswegen habe ich für die sozialdemokratische Fraktion eine Entschuldigung verlangt, was dieser Herr bisher abgelehnt hat. Diese Entgleisung zeigt, welch geistige Haltung dieser CDU-Abgeordnete hat.
In Sachsen gibt es zurzeit einen ähnlichen Fall, weil der rechtsextreme AfD-Mann Jens Maier als Richter in den Staatsdienst zurückkehren will. Auch dort steht eine Richteranklage zur Debatte. Sehen Sie ein zunehmendes Problem?
Der demokratische Rechtsstaat muss sich gegen Verfassungs- und Demokratiefeinde in den eigenen Reihen wehren – immer und ohne Ausnahme. Das ist das Wesen der wehrhaften Demokratie. Natürlich muss man jeden Einzelfall gesondert betrachten. Aber es kann ja nicht sein, dass der Staat unter seinen Bediensteten Leute duldet, die unter Verweis auf die richterliche Unabhängigkeit gegen die Verfassung und gegen die Demokratie arbeiten.
Innenministerin Nancy Faeser hat zuletzt auch angekündigt, stärker gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst vorgehen zu wollen. Wie stehen Sie dazu?
Es ist fast auf den Tag 50 Jahre her, dass der so genannte Radikalenerlass in Kraft trat. Dadurch durfte damals ein Postbote, der DKP-Mitglied war, kein Beamter werden. Das war natürlich ziemlich absurd und ein Beleg dafür, wie ein Staat überreagieren kann. Aber wenn sich Staatsdiener – und dazu gehören auch Richterinnen und Richter – auf bedrohliche Art und Weise radikalisieren, muss der Dienstherr handeln. Die Instrumentarien dazu gibt es ja, man muss nur den Willen haben, sie anzuwenden. Es ist egal, ob rechts- oder linksextrem – Verfassungsfeinde haben im Staatsdienst nichts verloren.
Die Debatte im Hessischen Landtag verlief hitzig. Wie geht es nun in der Sache weiter?
Der Antrag selbst ist vom Landtagsplenum zur weiteren Beratung an den zuständigen Rechtsausschuss überwiesen worden. Die FDP war zurückhaltend, hat aber immerhin klar gesagt, dass die Justizministerin in diesem Fall disziplinarrechtlich tätig werden müsse. Aber nach allem, was wir in der Debatte gehört haben, werden die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen den Antrag wohl ablehnen. Damit ist er parlamentarisch erst mal erledigt – aber nicht inhaltlich. Wir werden die Sache weiterverfolgen und nicht klein beigeben. Wir zeigen Flagge.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo