Für Demokratie und Vielfalt: Wie Halberstadt zum „ToleranzRaum“ wird
Der Einsatz für Toleranz ist wichtig. Er lebt von Kreativität. Oft steckt dahinter mühsame Überzeugungsarbeit, die nicht immer sofort zum Erfolg führt. All das zeigt sich bei einem Besuch der Wanderausstellung „ToleranzRäume“ in Halberstadt. An einem heißen Nachmittag im Juni finden nur wenige Besucher*innen den Weg ins Herz der der Domstadt in Sachsen-Anhalt. Eine Frau mittleren Alters kommt eher zufällig vorbei. Lautstark kritisiert sie die Inklusion an Schulen. Kurz zuvor hat sie eine Infotafel über die Rechte von Menschen mit Behinderung überflogen.
Die aufklappbare Tafel gehört zu einem riesigen Wimmelbild im Ausstellungscontainer. Darauf wird die Bedeutung von Vielfalt und Toleranz für unsere Gesellschaft veranschaulicht – und auch deren Grenzen. Die Wutrede der Besucherin spiegelt den Leitgedanken hinter dem vom Deutschen Bundestag geförderten Projekt wider: Ein Gemeinwesen kann nur funktionieren, wenn die Menschen einander mit Respekt und Offenheit begegnen.
Viele fühlen sich abeghängt
Außerhalb des Containers ist unter anderem zu erfahren und interaktiv zu erproben, wie sich Toleranz im Alltag leben lässt. Dort steht Robin Stähr. Der 21-Jährige zählt zu den ehrenamtlichen Helfer*innen der Ausstellung. Er fungiert als Ansprechpartner und führt Besucher*innen durch das Bildungsangebot, das wie ein bunter Marktplatz arrangiert ist.
Mit der Resonanz ist Stähr zufrieden. Der Student der Hochschule Harz konzentriert sich auf die positiven Erfahrungen: „Viele und gerade ältere Menschen haben mir gesagt, dass es gut sei, dass es hier so eine Ausstellung gibt.“ Im durch Langzeitarbeitslosigkeit und Abwanderung gebeutelten Halberstadt seien extremistische Haltungen allgegenwärtig. Viele fühlen sich abgehängt, ist zu hören.
Die AfD stellt eine fünfköpfige Fraktion im Stadtrat und liegt nur zwei Mandate hinter der gemeinsamen Fraktion von SPD und Grünen. „Wir müssen wieder das Miteinander in den Fokus rücken“, fordert Stähr. Dazu könne diese Ausstellung einen Beitrag leisten.
Lessing und Goretzka zum Mitnehmen
Die „ToleranzRäume“ machen deutlich, welch lange Tradition das Eintreten für geistige Offenheit im kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Deutschland trotz zweier Diktaturen hat. Neben dem Wimmelbild hängen Zettel mit Zitaten von prominenten Köpfen, darunter der Dichter Gotthold Ephraim Lessing oder Fußball-Nationalspieler Leon Goretzka, die für Toleranz und Dialog stehen. Besucher*innen können sie abreißen und mitnehmen.
Auch Halberstadt hat in Sachen Toleranz und Vielfalt einiges zu bieten. 1591 gab es dort ein sowohl mit Protestanten als auch mit Katholiken besetztes Domkapitel – ein Zeichen religiöser Toleranz in der Zeit von zugespitzten Glaubenskonflikten. Die Interkulturelle Woche, die jedes Jahr stattfindet, steht für das weltoffene Gesicht der Stadt von heute. Mehrere Schulen sind Teil des deutschlandweiten Netzwerkes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. All diese Informationen spuckt ein Bildschirm über den „ToleranzRaum“ Halberstadt aus.
Aufklärung und Toleranz mit Tradition
Umgesetzt wird das Ausstellungsprojekt von dem Detmolder Verein Toleranz-Tunnel e.V. und der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e.V.) in Berlin. Wissenschaftlich begleitet wird es von der Universität Bielefeld. Dass es derzeit in Halberstadt gastiert, ist gewissermaßen auch den dortigen toleranten Traditionslinien zu verdanken.
Auf Initiative von Ute Pott, der Direktorin des Gleimhauses in Halberstadt, fand die Schau den Weg ins Harzvorland. Das Gleimhaus pflegt das Erbe des Dichters und Sammlers Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) und versteht sich als Museum der deutschen Aufklärung. „Aufklärung und Toleranz tun auch heute not“, sagt Pott. „Und zwar vor allem dann, wenn man nicht einer Meinung ist.“ Gerade jüngere Besucher*innen seien offen für das Anliegen der „ToleranzRäume“: „Was von alledem hängenbleibt, wird man sehen.“
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