Der NSU-Prozess geht in seine Endphase
Die Verbrechen der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sind ungeheuerlich: Neun Morde an Migranten, ein Mord an einer Polizistin, zwei Bombenanschläge, 15 Banküberfälle, Brandstiftung. Die beiden Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben sich 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall umgebracht. Einzige mutmaßliche Überlebende des NSU-Trios ist Beate Zschäpe.
Über 600 Zeugen und Sachverständige vernommen
In einem der wohl wichtigsten Prozesse der Nachkriegsgeschichte wird seit dem 6. Mai 2013 gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des NSU verhandelt. Den fünf Angeklagten stehen 15 Verteidiger zur Seite, 93 Nebenkläger werden von rund 60 Rechtsanwälten vertreten.
In dem Mamut-Prozess versucht das Oberlandesgericht München unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl, diese beispiellose Verbrechenserie aufzuklären. In den fünf Jahren wurden über 600 Zeugen und Sachverständige vernommen. Ihre Aussagen und Gutachten umfassen Tausende Seiten. Sie kommen zu den über 280.000 Seiten Ermittlungsakten in mehr als 600 Aktenordnern hinzu, die zu Beginn des Prozesses vorlagen.
Gericht kann NSU-Hintergründe nicht aufklären
Trotz dieses gigantischen Aufwands sind die gesamten Hintergründe des NSU, der seine Verbrechen zwischen 2000 und 2011 verübte, nach wie vor nicht aufgeklärt. Untersuchungsausschüsse im Bundestag und Landtagen konnten dies ebenfalls nicht leisten.
So ist nach wie vor unklar, wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zehn Jahre im Untergrund leben und ihre Taten vorbereiten konnten, ohne von einem großen rechten Netzwerk an Helfern unterstützt zu werden.
Kritik an Polizei und Verfassungsschutz
Auch das Versagen der Polizei, die jahrelang keinen rechten Hintergrund bei der Mordserie erkennen konnte, ist nur unzureichend aufgearbeitet. Das gleiche gilt für die Verwicklungen des Verfassungsschutzes. Der hatte weitreichende Informationen, gab sie aber nicht an die Polizei weiter – angeblich, um seine V-Leute, die die braune Szene infiltriert hatten, zu schützen. Doch diese Aufklärungsarbeit kann ein Gericht nicht leisten. Denn Pannen bei den Ermittlungen sind nicht Gegenstand des Prozesses, sondern nur die angeklagten Taten des NSU.
Diese sind für die Bundesanwaltschaft sicher nachgewiesen. In ihrem Plädoyer forderte sie für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld sowie Sicherungsverwahrung. Sie sei unter anderem mitverantwortlich für alle zehn Morde des NSU und 39 Mordversuche durch Sprengstoffanschläge. Hinzu kommen Bildung einer terroristischen Vereinigung, die Beteiligung an den 15 Banküberfällen sowie besonders schwere Brandstiftung mit Explosion.
Lebenslang oder nur zehn Jahre für Zschäpe?
Zschäpes Verteidiger, Mathias Grasel und Hermann Borchert, forderten hingegen nur zehn Jahre für ihre Mandantin. Sie sei lediglich wegen Beihilfe für die 15 Banküberfälle von Böhnhardt und Mundlos sowie schwerer Brandstiftung zu bestrafen. Zudem habe sie sich vom Rechtsextremismus losgesagt.
Für den Mitangeklagten Ralf Wohlleben fordert die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Der ehemalige NPD-Funktionär soll der Strippenzieher im Hintergrund des NSU gewesen sein, der alle Fäden in der Hand hatte. Er soll dem NSU die Waffe geliefert haben, mit denen die Morde verübt wurden. Seine Anwälte fordern hingegen Freispruch.
Auch Mitangeklagte sollen hinter Gittern
Für Carsten S. fordert die Bundesanwaltschaft wegen des gleichen Delikts hingegen nur drei Jahre Jugendstrafe. Als junger Mann hatte er von Wohlleben den Auftrag erhalten, die Mordwaffe zu erwerben und das Geld dafür bekommen. Er überbrachte dem NSU die Ceska 83. Allerdings sagte er vor Gericht in vollem Umfang aus, zeigte sich reuig und stieg schon vor Jahren aus der rechten Szene aus.
Der dritte Mitangeklagte von Zschäpe, Holger G., soll nach dem Willen der Bundesanwaltschaft für fünf Jahre hinter Gittern. Er war ebenfalls geständig. Seine Verteidiger plädierten hingegen für eine Haftstrafe von unter zwei Jahren.
Pflichtverteidiger können Mandat nicht niederlegen
André E., der zu den engsten Freunden von Zschäpe und ihren Kumpanen gehörte, soll ebenfalls wegen Beihilfe zum versuchten Mord, zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, zum Raub und zur schweren Körperverletzung für zwölf Jahre in Haft. Seine Verteidiger forderten dagegen Freispruch.
Nun folgen ab 5. Juni die Plädoyers der Alt-Verteidiger von Beate Zschäpe Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer. Ihnen hatte die Angeklagte bereits 2014 das Vertrauen entzogen. Als Pflichtverteidiger können sie ihr Mandat jedoch nicht einfach niederlegen.
Das letzte Wort haben die Angeklagten
Anschließend können die Angeklagten das Wort ergreifen. Dann muss das Gericht sorgfältig abwägen, ob die Beweise tatsächlich für Verurteilungen ausreichen.