Inland

BDK-Chef Fiedler: Schaden für Polizei durch Rechtsextreme ist „riesig“

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Sebastian Fiedler ist alarmiert: Der Rechtsextremismus bei der Polizei habe das Vertrauen der Bürger*innen erschüttert. Deshalb hätten die Beamt*innen „selbst das größte Interesse daran“, die Missstände aufzuklären und zu beseitigen.
von Lars Haferkamp · 5. Oktober 2020
Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), fordert Aufklärung über den Rechtsextremismus in der Polizei
Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), fordert Aufklärung über den Rechtsextremismus in der Polizei

Herr Fiedler, in den vergangenen Tagen und Wochen sind immer mehr rassistische und rechtsextreme Äußerungen von Mitarbeiter*innen der Polizei und des Verfassungsschutzes bekannt geworden. Wird es nun nicht höchste Zeit für eine wissenschaftliche Untersuchung dieses Problems?

Ja. Wir fordern bereits seit über einem Jahr eine bundesweite anonymisierte Studie in allen Sicherheitsbehörden. Wenn man die gegenwärtige Debatte an unserer damaligen Forderung misst, erkennt man, unsere Forderung ist brandaktuell.

Sie fürchten nicht, dass die Polizei mit einer solchen Studie unter einen Generalverdacht gestellt wird?

Im Gegenteil. Ich wüsste nicht, warum eine wissenschaftliche Studie einen Generalverdacht befördern sollte. Es sei denn, man würde schon ein bestimmtes Ergebnis erwarten. Das ist Unsinn. Bei der Kritik kommt häufig eine gewisse Wissenschaftsfeindlichkeit zum Ausdruck. Es gibt für die Sicherheitsbehörden keinen Grund, sich zu verstecken. Es geht um anonyme Fragebogen, etwa zu den Einstellungsmustern der Mitarbeiter. Für mich ist hier viel zu viel Aufregung um eine ganz normale wissenschaftliche Untersuchung.

Wie bewerten denn die Polizist*innen selbst eine solche Untersuchung, was ist Ihr Eindruck?

Bei uns im Verband hatten wir dazu bereits eine breite Debatte. Wir haben uns intensiv mit Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Rechtspopulismus auseinandergesetzt. Wir haben mit Wissenschaftlern darüber diskutiert und anschließend mit breiter Mehrheit für eine solche Studie votiert. Darüber hinaus habe ich besonders in den letzten Wochen immer wieder Gespräche geführt, in denen mir Kolleginnen und Kollegen gesagt haben, sie seien am Anfang skeptisch gewesen, aber inzwischen seien sie von der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung überzeugt. Die Zustimmung dazu wächst von Tag zu Tag.

Immer wieder ist zu hören, in der Polizei gebe es einen Corpsgeist, der Probleme unter den Teppich kehre statt sie offen zu benennen. Braucht es hier einen Kulturwandel?

Die Psychologie weiß, dass es in jeder sozialen Gruppe oder Organisation Gruppendruck gibt. Der Wunsch nach Konformität spielt hier eine große Rolle. Das ist bei der Polizei nicht anders. Hier ist er in vielen Bereichen sogar noch stärker ausgeprägt, weil sich die Beamten in bestimmten Einsatzsituation gegenseitig ihr Leben anvertrauen und sich aufeinander verlassen müssen. Eine andere Frage ist, wie kann ich erreichen, dass Missstände bei der Polizei ans Tageslicht kommen und wie kann ich diejenigen stärken, die dazu beitragen wollen. Das ist eigentlich ein altes Thema. Wir haben schon seit zwei Jahrzehnten Telefon-Hotlines für Hinweisgeber bei Landeskriminalämtern zum Thema Korruption. Vergleichbare Systeme brauchen wir auch für organisationsinterne Missstände, wie z. B. Rechtsextremismus.

Wie groß ist der Schaden, der durch das Problem Rassismus und Rechtsextremismus für das Ansehen der Polizisten und damit auch für ihre tägliche konkrete Arbeit entsteht?

Der Schaden ist denkbar riesig. Das merke ich an unzähligen Gesprächen, die ich zu diesem Thema in den letzten Wochen führe. Wir müssen jeden Tag neu um das Vertrauen in der Bevölkerung kämpfen und oft auch darum, es wieder zurückzugewinnen. Deshalb haben wir selbst das größte Interesse daran, die zu Tage getretenen Missstände zu beseitigen. Ohne Vertrauen der Bevölkerung können die Sicherheitsbehörden nicht arbeiten. Auch viele Polizistinnen und Polizisten sind gegenwärtig sehr verunsichert. Sie haben ungerechtfertigte Verallgemeinerungen und Vorverurteilungen nicht verdient. Auch deshalb brauchen wir Klarheit.

Es gibt den Vorwurf, die Polizei kontrolliere grundlos Menschen mit dunklerer Hautfarbe und betreibe damit so genanntes „Racial Profiling“? Was ist an diesem Vorwurf dran?

Ausnahmslos nur aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale polizeiliche Maßnahmen zu ergreifen ist ganz klar rechtswidrig. Es ist zulässig, das äußere Erscheinungsbild eines Menschen in die Entscheidung über Maßnahmen einzubeziehen, es darf eben nur nicht das alleinige Kriterium sein. Wir kennen nur die Fälle, die zu Beschwerden, Disziplinarverfahren oder Strafanzeigen führen. Wenn ich diese Zahlen zugrunde lege, dann gäbe es kein überragendes Problem. Auf der anderen Seite kenne ich auch die Schilderungen von Migrantenorganisationen. Zu Studien habe ich mich schon geäußert. Ich würde hier zudem zu unmittelbaren Dialogen von z. B. bestimmten Migrantenverbänden mit Strafverfolgern raten.

Die Polizei macht in ihrem Dienst vor allem Erfahrungen mit Menschen, die sich falsch oder kriminell verhalten. Verstärken diese oft negativen Erfahrungen Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen?

Sie bergen ein höheres Risiko. Wer sich etwa mit Wirtschaftskriminalität beschäftigt, hat in der Regel ein geringeres Risiko, als jemand, der in bestimmten Stadtquartieren häufig mit Straftätern zu tun hat, die vielleicht keinen deutschen Ausweis haben. Das Ganze wird dadurch noch verschärft, dass in den letzten Jahren rechtextremistische und rechtspopulistische Narrative und Strategien immer stärker werden. Das gilt im digitalen Raum, aber auch in unseren Parlamenten, vertreten durch den parlamentarischen Arm von Rechtsextremen. Dagegen müssen wir die betroffenen Polizistinnen und Polizisten stark machen.

Wie soll das konkret geschehen?

Wir müssen uns intensiv um diejenigen kümmern, die dieses höhere Risiko haben. Das tun wir anderen Bereichen auch. Wenn jemand Fälle von so genannter Kinderpornografie bearbeitet, dann bekommt er aus guten Gründen psychologische Betreuung, Polizeiseelsorge, der Arbeitsplatz ist besonders ausgestaltet, niemand wird verpflichtet in diesem Bereich zu arbeiten. Im Bereich der Mordkommission werden Supervisionen angeboten, damit die Mitarbeiter das Erlebte verarbeiten können. Wir kümmern uns aber um diejenigen gar nicht, die in Problemvierteln viel zu tun haben mit Kriminalität von Migranten. Das muss sich ändern und zwar schnell und nachhaltig. Das kostet Geld, aber das muss jetzt eben investiert werden.

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