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Sichere Herkunftsstaaten: Dämpfer für Meloni, Auswirkungen auf Deutschland

Der Europäische Gerichtshof hat ein Manöver der italienischen Regierung gestoppt, bei der Festlegung „sicherer Herkunftsstaaten“ die Kontrollrechte der Gerichte auszuhebeln. Das Urteil hat auch Auswirkungen auf die deutsche Praxis.

von Christian Rath · 1. August 2025
Rotes Schild mit weißer Aufschrift "Sichere Herkunftsländer", im Hintergrund ein Flugzeug

Werden Abschiebungen schwieriger? Der EuGH hält die Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz für möglich, aber nicht für zwingend.

Die italienische Regierung kann „sichere Herkunftsstaaten“ per Gesetzesdekret festlegen. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Allerdings können nationale Gerichte diese Einstufung auch dann kontrollieren, wenn sie per Gesetz erfolgte. Das hat auch Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage.

Meloni-Regierung wollte Kontrolle der Gerichte ausschalten

Konkret ging es um den Fall von zwei Männern aus Bangladesch. Diese wurden im Oktober 2024 von der italienischen Küstenwache im Mittelmeer gerettet und anschließend nach Albanien gebracht. Dort will die italienische Regierung die Asylverfahren aller Geflüchteten aus so eingestuften „sicheren Herkunftsstaaten“ abwickeln.

Ein Gericht in Rom ordnete jedoch die Überstellung der beiden Männer nach Italien an, weil die Einstufung von Bangladesch als sicherer Herkunftsstaat zweifelhaft sei. Die italienische Regierungskoalition hatte die Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ per Gesetz eigentlich eingeführt, um die Kontrolle der Gerichte auszuschalten. Da auch andere italienische Gerichte ähnlich entschieden, war das ambitionierte Albanien-Modell der konservativen Regierungschefin Giorgia Meloni vorerst gescheitert. Sie hatte in Abstimmung mit der linken Regierung Albaniens dort zwei große Lager errichten lassen, die faktisch aber nur an insgesamt fünf Tagen in Betrieb waren.

EuGH klärt mit Blick auf „sichere Herkunftsstaaten“ mehrere Grundsatzfragen

Auf Vorlage des römischen Gerichts entschied jetzt der Europäische Gerichtshof über grundlegende Fragen im Fall der beiden Bangladescher. Dabei ging es nur um die Einstufung von sicheren Herkunftsstaaten, nicht um die Zulässigkeit von EU-Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten wie Albanien.

Eine EU-Asyl-Richtlinie sieht schon seit 2013 vor, dass EU-Staaten bestimmte Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ einstufen können. Es gibt dabei keine einheitliche EU-Liste. Anträge von Personen aus diesen Staaten dürfen beschleunigt erledigt werden. Die Asylbehörden können dann vermuten, dass der Asylantrag unbegründet ist. Allerdings kann ein*e Antragsteller*in aus einem sicheren Herkunftsstaat die Vermutung für seinen konkreten Fall widerlegen.

Der EuGH hat nun zur Einstufung von Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ mehrere Grundsatzfragen geklärt. So kann die Einstufung per Gesetz erfolgen (wie es in Deutschland schon lange üblich ist, in Italien aber erst jüngst eingeführt wurde). Dennoch können Gerichte bei der Prüfung von konkreten Asylanträgen auch die Einstufung des Herkunftsstaats überprüfen. Das ist in Italien relevant für die Verfahrensfrage, ob das Asylverfahren in Albanien durchgeführt werden darf.

Gesamtes Staatsgebiet muss als „sicher“ gelten

Dabei muss die Regierung schon bei der Einstufung eines Staates alle Quellen nennen, auf die sie die Einstufung als „sicher“ stüzt. Prüfende Gerichte können aber auch andere Quellen, etwa Informationen von NGOs, hinzuziehen, so der EuGH.

Wenn ein Herkunftsstaat als „sicher“ eingestuft wird, muss dies für das gesamte Staatsgebiet und alle Gruppen der Bevölkerung gelten, also zum Beispiel auch für ethnische Minderheiten oder Homosexuelle. Diese Anforderung gilt allerdings nur noch zeitlich begrenzt. In der Reform des Gemeinsamen EU-Asylsystems (GEAS) haben die EU-Staaten nämlich bestimmt, dass ab Juni 2026 auch Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden können, wenn bestimmte Gebiete und bestimmte Gruppen nicht sicher sind. Die EU-Kommission will diesen Punkt der neuen EU-Verfahrensverordnung sogar noch zeitlich vorziehen, die EU-Staaten und das EU-Parlament haben dies aber noch nicht beschlossen. Der EuGH zeigte hierzu aber keine Bedenken.

Urteil hat auch Auswirkungen auf deutsche Praxis

Bezüglich des Staates Bangladesch hatten italienische Gerichte Zweifel, ob das gesamte Staatsgebiet sicher ist. Hierzu äußerte sich der EuGH nicht, sondern überließ die Prüfung den italienischen Gerichten. Das Manöver der italienischen Regierung, die sicheren Herkunftsstaaten per Gesetz festzulegen, um die italienischen Gerichte auszuschalten, ist damit gescheitert.

Das EuGH-Urteil hat auch Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage. Dort können schon seit einer Grundgesetzänderung 1992 „sichere Herkunftsstaaten“ per Gesetz bestimmt werden. Die deutsche Regelung war quasi das Vorbild für die EU-Richtlinie von 2013. Derzeit sind in Deutschland zehn Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgestellt: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Moldau, Senegal, Serbien.

Nach dem EuGH-Urteil können nun auch deutsche Verwaltungsgerichte bei der Prüfung einer Asyl-Klage die Einstufung eines Staates als „sicherer Herkunftsstaat“ prüfen. Bisher konnte diese Prüfung nur das Bundesverfassungsgericht vornehmen, da die Einstufung per Gesetz erfolgte.

Asylrecht beruht in Deutschland fast nur noch auf EU-Recht

Die Bundesregierung will die Einstufung künftig aber ohnehin per Rechtsverordnung vornehmen. Dann müsste der Bundesrat nicht mehr zustimmen, indem bisher die Grünen oft blockierten. Das EuGH-Urteil steht dieser Reform nicht entgegen. Der EuGH hält die Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz für möglich, aber nicht für zwingend.

Die Einstufung als „sicherer Herkunftsstaat“ hat in Deutschland vor allem symbolische (abschreckende) Bedeutung, weil die Vermutung ja widerlegbar ist. Die Beschleunigung des Asylverfahren wurde von der Bundesregierung einmal auf zehn Minuten beziffert. Dagegen hat die weitere Grundgesetzänderung von 1992, wonach die Einreise über einen „sicheren Drittstaat“ das Asylrecht unwiderleglich ausschließt, das deutsche Asylgrundrecht 1992 faktisch abgeschafft. Das Asylrecht beruht in Deutschland seitdem fast nur noch auf EU-Recht.

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