Kultur

Filmtipp „What You Gonna Do…?“: Wie Afroamerikaner Rassismus in den USA erleben

Die aktuelle Welle der Gewalt in den USA macht das Thema umso dringlicher: Der Dokumentarfilm „What You Gonna Do When The World's On Fire?“ zeigt den schwierigen Alltag von Persons Of Color in den USA. Ein verstörender Weckruf.
von ohne Autor · 24. Juli 2020
Kämpferisch und gezeichnet: Barbetreiberin Judy
Kämpferisch und gezeichnet: Barbetreiberin Judy

Die Initialen des Ku-Klux-Klans, die jemand auf das Auto einer afroamerikanischen Familie irgendwo in Louisiana gesprüht hat, sind gut zu erkennen. Krystal Muhammad, eine führende Aktivistin der Selbstverteidigungsorganisation „The New Black Panther Party“, versucht, die schockierten Eltern zu trösten und die Hintergründe aufzuklären. Muhammads Großmutter wurde einst von dem rassistischen Geheimbund umgebracht.

Als würde man sich noch in den 60ern befinden

Wer sich „What You Gonna Do When The World's On Fire“ anschaut, hat den Eindruck, als befänden wir uns noch immer in den aufgewühlten 1960er-Jahren, als der Ku-Klux-Klan mordend und brandschatzend gegen die Emanzipation der schwarzen Amerikaner im Zeichen des Civil Rights Act vorging. So gegenwärtig sind Gewalt und Benachteiligung in den Erzählungen der Menschen, die sie tagtäglich erfahren.

Doch Roberto Minervini hat seinen Dokumentarfilm tatsächlich im Jahr 2017 fertiggestellt. Seinerzeit erschütterte eine Reihe besonders brutaler Morde an Persons Of Color (POC) die südlichen US-Gefilde. Dem aus Italien stammenden und seit vielen Jahren in den USA lebenden Regisseur ging es darum, den Alltag der POC jenseits der Schlagzeilen einzufangen. Was erwarten sie von ihrem Leben und was sind sie bereit, dafür zu tun? Wo sehen sie ihren Platz in einem Land, in dem weiße und nicht-weiße Menschen qua Verfassung gleichberechtigt sind, im Alltag hingegen noch lange nicht?

Ein Vorspiel für Minneapolis und Trumps Furor

Gleichwohl schwingen die Meldungen über Morde und andere Gewaltakte stets mit. Viele der im Film eingefangenen Eindrücke aus dem ersten Amtsjahr von US-Präsident Donald Trump wirken wie ein Vorspiel der aktuellen Ereignisse in Minneapolis und anderswo, die nicht nur eine Debatte über rassistische Polizeigewalt, sondern über die Ausgrenzung von Afroamerikanern überhaupt nach sich gezogen und zu einem Erstarken der Black-Lives-Matter-Bewegung geführt haben. So gesehen kommt Minervinis Film, der bei den Filmfestspielen von Venedig gezeigt wurde, zur rechten Zeit in die Kinos.

Und doch schöpft dieser seine Eindringlichkeit aus einem im Grunde genommen zeitlosen Kontext aus Diskriminierung und Gewalt. Dieser zieht sich wie ein roter Faden durch den Alltag der Menschen vor der Kamera. Im Mittelpunkt steht unter anderem die besagte Krystal Muhammad. Mit ihren MitstreiterInnen der New Black Panthers zieht sie durch Louisianas Hauptstadt Baton Rouge und fordert Gerechtigkeit. Gegenüber den Black Panthers der frühen 70er-Jahre wirkt die uniformierte Truppe, die Mühe hat, ihre Zielgruppe für Protestaktionen zu gewinnen, etwas verloren. Umso lauter verschafft sie sich Gehör.

Verbrechen und Tod sind allgegenwärtig

Ronaldo und Titus leben in einer Vorstadt, in der Verbrechen und Tod auf den Straßen allgegenwärtig sind. Ihre Mutter wiederum tut alles, um ihnen einen besseren Weg aufzuzeigen, zum Beispiel, indem sie sich in der Schule anstrengen. Die Kamera begleitet die beiden Jungs dabei, wie sie allein auf sich gestellt ihre verfallene Umgebung erkunden. Ebenso abgeklärt wie naiv erklärt der große Bruder dem kleinen, was es heißt, sich in der von Weißen dominierten Welt zu behaupten.

Um letztere Frage geht es auch, wenn Judy ihre Freunde in ihrer Kneipe versammelt und heftig diskutiert wird. Immer zeigt die 50-Jährige, die als Jugendliche eine Hölle aus Drogen und Gewalt erlebte, vollen Einsatz, um den Menschen aus der schwarzen Community Mut zu machen. An Judys Beispiel zeigt sich aber auch ein soziales Problem, das viele Afroamerikaner durchmachen: Viele werden aus ihren Vierteln verdrängt. Auch Judys Kneipe bleibt nicht verschont.

Ohne Verklärung und falsches Mitleid

Der besondere Reiz dieses Dokumentarfilms liegt darin, dass Minervini zwar Menschen in prekärsten Verhältnissen in den Vordergrund stellt, diese zugleich jedoch gewillt sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Insofern ist diese Produktion, die sich vor allem aus den Erfahrungsberichten der Auftretenden speist, mehr wütend als traurig.

Durch die Mischung aus reportageartigen Momentaufnahmen und Gesprächssequenzen – allesamt in hochauflösenden Schwarzweiß-Bildern – entsteht eine atmosphärisch dichte und dynamische Erzählung, die während der gut zwei Stunden nie an Wirkung verliert. Auch, weil es trotz der Subjektivität der Selbstzeugnisse gelingt, zumindest ansatzweise einen objektiven Eindruck von der schwarzen Community in Louisiana mit all ihren Schattenseiten zu gewinnen. So wird jegliche Verklärung oder Mitleidsschiene vermieden. Ein verstörendes Mosaik, das entscheidende Bruchstellen der US-Gesellschaft aufzeigt und ein Weckruf für die politisch Verantwortlichen sein sollte.

Info: „What You Gonna Do When The World's On Fire?“ (Italien, USA, Frankreich 2018), ein Film von Roberto Minervini, Kamera: Diego Romero Suarez-Llanos, 123 Minuten, englische OmU-Fassung.

Jetzt im Kino

 

 

0 Kommentare
Noch keine Kommentare