Mehr arbeiten? Warum die Forderung von Kanzler Merz haltlos ist
Die Deutschen „müssen wieder mehr arbeiten“. Das hat Bundeskanzler Friedrich Merz nun erneut gefordert. Ansonsten sei der Wohlstand des Landes in Gefahr. Einem Faktencheck hält diese Aussage nicht stand.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur
CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz hat etwas gegen Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance. Er sieht dadurch den Wohlstand Deutschlands gefährdet
Es ist nicht das erste Mal, dass Friedrich Merz seine Unkenntnis vom Arbeitsleben in Deutschland preisgibt. „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, so der amtierende Bundeskanzler am Dienstag beim CDU-Wirtschaftstag. Dem nicht genug, fügte er hinzu: „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Ein paar Zahlen zeigen, wie er irrt.
638 Millionen Stunden Mehrarbeit in 2024 unbezahlt
1,2 Milliarden Überstunden wurden im Jahr 2024 laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) geleistet, das entspricht einem Umfang von mehr als 750.000 Vollzeitstellen. 638 Millionen Überstunden (53,6 Prozent) wurden unbezahlt geleistet. Mehr als die Hälfte dieser Überstunden (53,6 Prozent) wurden nicht bezahlt.
Eine Beschäftigtenbefragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für die Jahre 2020 bis 2024 ergab, dass 44 Prozent der Beschäftigten länger arbeiten als vertraglich vereinbart und 15 Prozent sehr häufig oder oft außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit.
In den vergangenen 20 Jahren wurden deutlich mehr unbezahlte als bezahlte Überstunden geleistet.
Zehn Prozent der Vollzeitbeschäftigten arbeitet aufgrund von Überstunden mehr als 48 Stunden pro Woche, ein Umfang, der mit einer Vielzahl von gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden ist.
30 Stunden Care-Arbeit pro Woche
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Faktoren, die Menschen davon abhalten, mehr zu arbeiten, selbst wenn sie dazu bereit wären. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwkoeln) fehlten im Frühjahr 2024 bundesweit 306.000 Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren. Die Bertelsmann-Stiftung ging in ihrem „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme" 2023 von rund 430.000 Kita-Plätzen aus, für alle Altersgruppen.
Etwa 4,9 Millionen Menschen oder 86 Prozent aller Pflegebedürftigen werden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt zu Hause gepflegt. Davon 3,9 Millionen von ihren Angehörigen.
Frauen wenden rund 30 Stunden pro Woche für unbezahlte Care-Arbeit auf, (von Küche über Pflege und Kinderbetreuung bis Wegezeiten), Männer rund 21 Prozent. Das geht aus einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2022 hervor.
Rund 16,4 Millionen Menschen haben sich 2024 ehrenamtlich in Deutschland engagiert. Laut Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes bringen sowohl Frauen als auch Männder im Schnitt mit rund zwei Stunden die Woche für freiwilliges Engagement auf.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.