Debatte über Halbzeitbilanz

„Wollen nicht Hals über Kopf aus der Großen Koalition raus“

Benedikt Dittrich03. Dezember 2019
Die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Ein Ausstieg aus der großen Koalition sei kein Selbstzweck, erklären Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken im Gespräch. Die angehenden SPD-Parteivorsitzenden signalisieren Verhandlungsbereitschaft in Richtung Union.

Die angehenden Parteivorsitzenden der SPD haben am Dienstag ihre Verhandlungslinien für die große Koalition konkretisiert. Ein Ausstieg aus der Koalition solle kein Selbstzweck sein, betonten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit dem „vorwärts“.

„Wir haben heute konstruktiv den richtigen Weg in die neue Zeit diskutiert“, erklärte der designierte Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans nach den Gesprächen im erweiterten Parteipräsidium am Dienstag. „Klar ist: Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der großen Koalition raus.“ Ein Ausstieg sei kein Selbstzweck.

Leitantrag zum Bundesparteitag

Am Freitag beginnt der Bundesparteitag der SPD. Auf der Tagesordnung steht dann auch die Halbzeitbilanz der großen Koalition. Die angehenden Parteivorsitzenden, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, hatten in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder ihre Skepsis gegenüber der Regierungskoalition bekräftigt.

Mit dem Leitantrag, der auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten am Freitag diskutiert werden soll, sei eine klare Haltung verbunden: „Wir wollen, dass die Themen, die durch die veränderte Lage seit dem Koalitionsvertrag hinzugekommen sind, wirklich angegangen werden“, so die designierte Co-Vorsitzende Saskia Esken. Esken und Walter-Borjans nannten als Beispiele das Klimaschutzpaket, die Digitalisierung und Investitionen in die Infrastruktur.

Neue Spitze signalisiert Verhandlungsbereitschaft

Die beiden angehenden SPD-Parteivorsitzenden zeigten damit Verhandlungsbereitschaft im Sinne der Revisionsklausel, die Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen vereinbart hatten.

Esken und „Nowabo", wie Walter-Borjans in der Partei auch genannt wird, hatten in den vergangenen Wochen für Milliardeninvestitionen in Bildung und Infrastruktur geworben. Saskia Esken forderte außerdem Gelder für die Digitalisierung der Bundesrepublik.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hatten bei der Mitgliederbefragung um den SPD-Vorsitz mehr Stimmen als Klara Geywitz und Olaf Scholz. Offiziell gewählt wird das Vorsitzenden-Duo auf dem Bundesparteitag, die Abstimmung gilt als sicher.

Auch die Stellvertreter und der Parteivorstand der Sozialdemokraten werden neu gewählt. Neben Klara Geywitz hat auch bereits Hubertus Heil angekündigt für einen der Stellvertreter-Posten kandidieren zu wollen. Auch Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert will für den Parteivorstand kandidieren, möglicherweise auch als Parteivize.

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Kommentare

Strohfeuer?

Wetten, dass nun etliche SPD-Mitglieder bitter enttäuscht mit geballter Fäusten auf Tischplatten schlagen? Während Seeheimer verschmitzt lächeln? Man darf sehr gespannt sein, welche Resultat der Bundesparteitag bringen wird. Eines aber sollten beide Lager bedenken: Die SPD hat seit 2005 fast nur Wahlniederlagen einstecken müssen. Und das lag nicht am Votum der SPD-Mitglieder, sondern daran, dass sich Millionen früherer Wählerinnen und Wähler mit dem jeweiligen Führungspersonal immer weniger identifizieren konnten und wollten. Wie sich zeigt, sind die Unterschiede zwischen den Paaren Esken/Borjans und Geywitz/Scholz weniger groß, als gedacht. Wenn sich das im Verlaufe des Bundesparteitages bestätigen sollte, wüsste ich nicht, warum Wählerinnen und Wähler plötzlich in Scharen zur SPD zurückkehren sollten. Ohnehin scheint mir das Dilemma der SPD zu groß zu sein, als es sich durch die Wahl eines neuen Führungsduos ratzfatz lösen ließe. Ich wünsche mir SPD-Politikerinnen und Politiker, die mal einen neuen, zeitgemäßen Ansatz präsentieren, der sich frei macht von Seeheimern und den "Wir wollen wieder die Arbeiterpartei von anno Knax". Wenn die kämen, hätte die SPD wieder Aufwind.

Paradigmenwechsel will organisiert sein !

Es ist nicht zwingend notwendig die Koalition zu verlassen, wenn es gelingen sollte, den Paradigmenwechsel weg von Konzernlobbyinteressen hin zu den feiner strukturierten Lebenswelten der Menschen, durch entscheidende Nachbesserungen im Koalitionsvertrag fest zu zurren und Ämter und Funktionen zumindest auf SPD-Ministerseite mit Personal zu versehen die diesen Paradigmenwechsel glaubhaft vertreten können !
Was aber grob falsch wäre, wäre jetzt im Vorfeld der Halbzeitverhandlungen die Drohkulisse gegenüber dem ungeliebten Koalitionspartner abzubauen um dann eingestehen zu müssen dass die SPD allenfalls zu Rohrkrepierern fähig ist. Der durchaus denkbare Ausstieg aus der Groko mit dem Ziel neuer Bündnisse, sollte in jedem Falle schleunigst als Alternative organisiert werden. Wenn dies nicht passiert, verliert unsere SPD jeden Rest hoffentlich noch vorhandener Restglaubwürdigkeit !!!

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ich hatte bereits gestern (03.12.) kommentiert.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

haben in der extrem tendenziösen Medienlandschaft hierzulande einen sehr schweren Job. Sie verdienen jede Form der Unterstützung aus der SPD und allen ihren Aspekten. Die Redaktion des Vorwärts zeichnet sich regelmäßig dadurch aus, dass z.B. Regierungsaktivitäten von Genossen ohne Distanz gutgeheißen werden. Warum aber gerade jetzt dieser distanzierte und neutrale Stil gegenüber den Gewinnern der Mitgliederbefragung?

Ich erwarte Unterstützung vom Vorwärts für die beiden designierten Vorsitzenden und zwar ohne Aufgabe des eigenen Standpunkts und mit der für innerparteiliche Debatten angemessenen Breite und Kritik. Ich würde es bedauern, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass Maas für die Anerkennung von rechten Putschisten und faschistischen Präsidenten in Südamerika Rückendeckung bekommt, Walter-Borjans und Esken für glasklare sozialdemokratische Politik aber nicht.

es geht , so scheint es jedenfalls,

einmal mehr um die Auseinandersetzung zwischen dem Parteiestabishment und der Parteibasis oder, anders ausgedrückt, zwischen der Partei als Arbeitgeber für Berufspolitiker (siehe aktuelle Arbeitsplatzgewinnung Frau Geywitz) und der Partei als Sammlungsbewegeung politinteressierter, die ihren Lebensunterhalt außerhalb des Parteibetriebs sicherstellen können

Kopflos aus der neoliberalen Pampa?

68,5% der SPD-Anhänger sehen das neue Duo sehr positiv (47,1%) oder positiv (21,4), nur 19,1 % sehen es negativ oder sehr negativ (Spiegel online, 2.12.2019). Saskia und Norbert haben ebenso große Hoffnungen geweckt wie sie ihrer Partei Chancen eröffnet haben.
Die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen sind klar. Ende des Niedriglohnsektors, parteiliche Politik für die Arbeitenden, konsequente Umwelt- und Gleichheitspolitik; Frieden und Abrüstung, kurz: die Abkehr vom Irrweg der Marktsozialdemokratie, der Ausbruch aus der neoliberalen Pampa. Dabei kommt es denen, die gern wieder zu uns möchten, nicht auf die Größe der Schritte an, aber umso mehr auf die Erkennbarkeit der Richtung. Um es mit Erhard Eppler zu sagen.
Beim Richtungswechsel kann es aber keinen Kompromiss geben! Wird dieser also beim Parteitag nicht überzeugend inhaltlich und personell unterlegt, verpuffen die Erwartungen, der Schulzeffekt greift, der Abstieg setzt sich fort.
Aufgeregtes Kommentieren jeder Presseente ist jedenfalls nicht zielführend, der Zeitpunkt des Groko-Ausstiegs zweitrangig.
Richtungswechsel setzt nur, dass aber zwingend, die "Entmachtung" derjenigen voraus, die ihn verhindern wollen.

Strohfeuer?

Schröder (skeptisch) und Müntefering (Wir haben kein Zentralkomitee /
Abgeordnete, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind).
Die Prediger der Agenda 2010/Hartz IV und von sonstigen sozialen Groß-Verwerfungen fürchten um "ihre Felle" - ihr "Lebenswerk"!

Fraktionszwang war bisher für diese Prediger kein Unwort! Im Gegenteil!
Auf einmal - mit der Wahl von Esken und Walter-Borjans - entdecken SIE den 'nur seinem Gewissen verpflichteten SPD-Abgeordneten'. Das ist einfach nur noch lächerlich!

Die Herren Schröder und Müntefering meinen den Abgeordneten, der IHREM Gewissen verpflichtet ist!

Gewissen verpflichtet?

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Gehirnwäsche

Herr Frey, haben Sie die neoliberale "Gehirnwäsche" von Schröder und Co. seit dem 'Schröder-Blair-Papier' wirklich
nicht mitbekommen?

Dass Schröder der 'Genosse der Bosse' war - ist unstreitig! Schröder und Fischer-Joschka haben die
durch und durch neoliberale Agenda 2010/Hartz IV durchgesetzt. CDU/CSU und FDP hat es super gefreut!
CDU/CSU und FDP hätten dieses Unrechtsregime niemals s o durchsetzen können!

Am 03.04.2004 war ich Teilnehmer der Demo in Köln gegen Sozialabbau - gegen Schröder und Co.
Da waren 100.000 Leute auf der Straße. In Berlin 250.000 Leute. In Stuttgart 140.000 Leute. Alles vergessen?!
Hatten diese Demo-Teilnehmer alle eine "leninistische Brille" auf?

Wer braucht in der SPD politische Gegner?

Liebe Diskutanten, so wird das nix! Dieses ewige Kreisen um die eigene Befindlichkeiten in der SPD wirkt zunehmend verstörend. Hin und wieder geht man andere Parteien als politische Gegner an, doch ein Großteil der Zeit wird dem parteiinternen Zwist gewidmet.

neoliberale "Gehirnwäsche" von Schröder und Co

Nein, eine "neoliberale Gehirnwäsche von Schröder und Co" habe ich, der sich mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet sieht und seine Informationen aus vielen unterschiedlichen Quellen bezieht, nicht mitbekommen. Das ist auch eine üble Verleumdung der SPD und ihres Bundeskanzlers Schröder, die Ihnen leider im "Vorwärts" erlaubt wird. Bei aller angebrachten Kritik an Gerhard Schröder sind es solche auch von Ihnen verbreiteten Verleumdungen, die viele Wähler dazu veranlaßten sich von der SPD abzuwenden. Wenn Sie Recht hätten, wäre es nach dem Ende von Kanzler Schröder mit der SPD bergauf gegangen, stattdessen beobachten wir seit 14 Jahren (!!!!) einen kontinuierlichen Niedergang. Und es sieht gar nicht danach aus, als dieser Niedergang bald beendet ist.

"Gehirnwäsche"

Herr Frey,
Sie müssen seit 1999 in einem anderen Land gelebt haben.

Zensur ?

Herr Frey wollen sie das wirkllich? Sind sie so ein Demokrat ? So ein Parteiinternes Regime gab es 1914-1918/19 ? Wer hat da die bestehenden Chancen verspielt ?
Gesunder Menschen Verstand ? Eins und noch eins zusammenzählen ? Nach dem polterigen Abgang von Schröder bieb ja seine Entorage und hat weiterhin die Abwärtspolitik der SPD bestimmt, mit ihm im Hintergrund wie jetzt gerade. Die SPD hat jetzt die Chance wieder die Partei des sozialen Ausgleichs, der ökologischen Anforderungen und des friedlichen Umgangs der Völker zu werden.
Demokratie brauchen wir hier im Lande und nicht daß die Lobbyisten die Politik bestimmen. Das ewige Kuschen vor der "Wirtschaft" muss ein Ende haben und die arbeitenden Menschen müssen sehen, daß die SPD eine der Parteien ist die sich um ihr Wohlergehen müht.

Aufbruch nicht verwässern lassen !!!

Was unserer verzwergten SPD ganz und gar nicht bekommt, ist,wenn die Protagonisten des unambitionierten "Weiterso ", an der Spitze aktuell Hubertus Heil und Franziska Giffey, unterstützt von Netzwerken des alten Establishment, den auch aus der Wissenschaft längst geforderten Paradigmenwchsel hin zur Postwachstumsgesellschaft und größerer gesellschaftlicher Teilhabe konterkarieren. Wer mehr Zeit verlangt für gesellschaftliche Teilhabe und Familie, sowie mehr Sicherheit bei beruflicher Neuorientierung oder niederschwelliger Existenzgründung, hat keineswegs ein Problem mit dem Arbeitsbegriff, wie es Hubertus Heil allzuoft denjenigen aus unserer Partei unterzuschieben versucht, die laut über neue Lösungswege nachdenken und ein mehr an Rendite aus den erwirtschafteten Gewinnen von Digitalisierung und Automatisierung einfordern, auch in Form von zeitlicher Entlastung bei besserer Absicherung ! Franziska Giffey muss gesagt werden, dass es zwar richtig ist, vieles an sozialpolitischen Notwendigkeiten als Rechtsanspruch festzuschreiben, es gleichzeitig aber oberpeinlich wird, wenn wegen Personalmangels und Schwarze-Null-Dogmatik diese Rechtsansprüche nicht realisiert werden können !

Noch ein Geleitwort an R. Frey

Wenn die SPD niht schleunigst umsteuert und die notwendigen sozialen, ökologischen und friedenspolitischen Schritte tut und die Gesellschaft auf ein neues solidarisches Miteinander vorbereitet, dann sehe ich duster. Denn die Quartalsbilanzen der Konzerne interessiert es nicht ob wir, unsere Kinder und Enkel, in wenig Jahren oder Jahrzehnten, noch auf einer bewohnbaren Erde leben. Die interessiert nur das Shareholder-Value wie ihr Freund G. Schröder + Co.. Das Ozonloch wurde auch nicht mit freiwilligen Selbstverpflichtungen und FCKW-Zertifikaten minimiert. Konsequente Reformen sind das Gebot der Stunde ! Ansonsten kommt allerbestenfals eine sozialökologische Revolution, die sie fürchten wie der Teufel das Weihwasser, aber viel wahrscheinlicher kommt mit dem ewigen Weiterso eine dystopische Gesellschaft, wie sie uns in etlichen Hollywoodbeiträgen schon vorgeführt wird.