Bericht der Wehrbeauftragten

Wehrbeauftragte: „Ukraine-Schock“ fordert Bundeswehr wie nie

Lars Haferkamp15. März 2022
Die Landes- und Bündnisverteidigung steht künftig wieder eindeutig im Mittelpunkt der Bundeswehr: Hier Soldaten mit dem Transportpanzer Fuchs auf dem Truppenübungsplatz Munster am 07.02.2022 beim Besuch von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Die Landes- und Bündnisverteidigung steht künftig wieder eindeutig im Mittelpunkt der Bundeswehr: Hier Soldaten mit dem Transportpanzer Fuchs auf dem Truppenübungsplatz Munster am 07.02.2022 beim Besuch von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Die Wehrbeauftragte des Bundestags Eva Högl sieht durch den Ukraine-Krieg große Veränderungen für die Streitkräfte. Die Bundeswehr sei einsatzbereit und auf den Ernstfall vorbereitet. Für die zusätzlichen 100 Milliarden hat sie konkrete Vorstellungen

Der Krieg in der Ukraine überschattet in diesem Jahr auch den Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestages Eva Högl. Als sie am Dienstag vor der Bundespressekonferenz in Berlin ihren Bericht für das Jahr 2021 präsentiert, stellt sie gleich zu Beginn fest: „Unsere Soldatinnen und Soldaten garantieren Frieden, Freiheit und Sicherheit. Putins völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine führt auf dramatische Weise vor Augen, wie real dieser Frieden bedroht ist.“ Schon jetzt werde klar, dass die Bundeswehr im Jahr 2022 bei ihrem Kernauftrag, „der Landes- und Bündnisverteidigung, so gefordert sein wird wie noch nie“. Eva Högl spricht von einem „Ukraine-Schock“, der bei der Bundeswehr, in der Politik und in der Bevölkerung eine nachhaltige Wirkung zeige.

Die Wehrbeauftragte hat gleich nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine mit vielen in der Truppe gesprochen. Es sei klar, dass dieser Krieg „Soldatinnen und Soldaten noch einmal ganz anders betrifft und beschäftigt“ als die normale Bevölkerung. So sei den Soldat*innen der Bundeswehr „sehr bewusst“, dass Verteidigung „keine theoretische Angelegenheit, sondern sehr real“ sei und sie im Zweifel auch „mit ihrem Leben für den Auftrag einstehen“ müssten. Wie konkret die Bedrohung sei, das sei den deutschen Streitkräften beispielsweise in Litauen sehr deutlich. „Unsere Soldatinnen und Soldaten sind vorbereitet, sie haben eine gute Moral, sie nehmen den Auftrag an und sie handeln mit den Partnern in der NATO Seit‘ an Seit‘“, so die Wehrbeauftragte. Sie seien auf den Ernstfall vorbereitet.

„Dankbar, dass wir die Bundeswehr haben“

In der deutschen Bevölkerung nimmt Eva Hoegl eine Veränderung der Einstellung zu den Streitkräften war: „Der Krieg in der Ukraine, so traurig das ist, das sagen zu müssen, führt auch dazu, dass viele feststellen, wie dankbar wir sein können, dass wir die Bundeswehr haben“, sagt die Wehrbeauftragte am Dienstag. Der Angriffskrieg Putins „schärft das Bewusstsein, wie wichtig militärische Abschreckung ist“.

Eine Folge dieses neuen Bewusstseins ist das von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung angekündigte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und die Erhöhung des Verteidigungshaushalts. „Das begrüße ich ausdrücklich“, sagt die Wehrbeauftragte. Es sei „eine gute Nachricht für die Bundeswehr“. Es habe sie „sehr gefreut“, dass nach ersten Umfragen drei Viertel der Deutschen diesen neuen Kurs unterstützten. Hoegls konkrete Forderung: „Priorität muss darauf liegen, die Ausstattung zu verbessern.“ Sie betont: „Das Geld muss zügig in der Truppe ankommen.“

Eva Högl: Sondervermögen „Riesenchance“ für die Bundeswehr

Wo und wie das genau geschehen soll, was sinnvoll ist und was nicht, dazu hat Eva Högl bereits klare Vorstellungen. Es gehe um Kälte- und Nässeschutz für die Soldat*innen, um Helme, Schutzwesten, Nachsicht- und Funkgeräte. Es gehe aber auch um „großes Gerät“: Boote und Schiffe für die Marine, schwere Transporthubschrauber, eine Nachfolge für das Tornado-Kampfflugzeug zur Sicherung der nuklearen Teilhabe. Hier hatte die Bundesregierung vor kurzem entschieden, F-35-Kampfflugzeuge zu beschaffen. So komme die Summe von 100 Milliarden Euro zustande. „Wenn das jetzt in die Truppe investiert wird, dann ist das definitiv sinnvoll“, so Högl. Sie spricht von einer „Riesenchance“ für die Bundeswehr.

Damit das allerdings gelinge, müssten die Strukturen bei der Planung und Beschaffung dringend modernisiert werden. Das hochkomplexe Vergaberecht für militärische Beschaffungen müsse vereinfacht werden. Viele Ausrüstungsgegenstände ließen sich schneller auf dem freien Markt kaufen.

Wehrbeauftragte entsetzt über Ausstatung

Die aktuellen materiellen Defizite bei den Auslands-Einsätzen der Bundeswehr sind für die Wehrbeauftragte alarmierend. Bei ihren Besuchen in Mali und Niger sei sie „entsetzt“ gewesen, dass die Einsatzbereitschaft einzelner Großgeräte nur knapp 50 Prozent betragen. Dass man nun 77 Prozent erreicht habe, reiche noch nicht aus. Auch hätten alltägliche Ausrüstungsgegenstände wie Schutzwesten gefehlt. Das sei völlig inakzeptabel, denn im Ernstfall riskierten die Soldat*innen im Einsatz ihr Leben.

Die Einschätzung des Heeresinspekteurs – „Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da“ – teilt die Wehrbeauftragte dagegen ausdrücklich nicht. Dies sei „ein sehr emotionaler Beitrag“ des Inspekteurs gewesen. „Aber die Bundeswehr ist einsatzbereit“, bekräftigt Högl. Das zeigten auch die „sehr zügigen“ Verlegungen deutscher Soldat*innen nach Litauen und Rumänien als Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Eine weitere Verlegung sei in die Slowakei geplant. Dennoch sei klar: „Die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr muss deutlich besser werden.“

Högl gegen Wiedereinführung der Wehrpflicht

Die Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt die Wehrbeauftragte nicht. „Eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ist für mich eine theoretische Debatte, die jetzt in dieser Situation nicht weiterhilft.“ Stattdessen wünscht sich Eva Högl „eine künftige Debatte darüber, wie die Bundeswehr mehr gutes Personal bekommen kann und wie auch jungen Leuten gute Angebote gemacht werden können, sich in unserer Gesellschaft zu engagieren“.

Zum aktuellen Verlauf des Krieges in der Ukraine stellt Högl klar: Sämtliche Verantwortliche im Westen „setzen alles daran, dass die NATO nicht involviert wird in diesen Krieg“. Das sei „ganz ganz wichtig“. Niemand könne sich vermutlich vorstellen, „was das heißen würde, wenn die NATO involviert würde“. Gleichwohl sei es auch wichtig, „dass die NATO vorbereitet ist und sich gut schützt und auch abschreckt – aber nicht in diesen Krieg hinein gezogen wird“.

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Kommentare

Schock

Ja wir alle sind schockiert von diesem Krieg. Wären wir es doch bei allen Kriegen so.
Ein Waffenstillstand muss her, dann ein Frieden der niemanden demütigt (als Lehre aus Versailles) und dann müssen wir endlich zu der um 1990 versprochenen Sicherheitspartnerschaft aller europäischen Staaten in Europa kommen.
Aufrüstung der Bundeswehr halte ich nicht für sinnvoll, denn das Geld wird bei Bildung, Renten, Wohnung, Sozialem schon seit Jahrend dringend gebraucht - das wäre auch Sicherheitspolitik die Allen zugute kommt.

wer sind wir? es ist ja nicht so, dass die Erkenntnis allgemein

gerade in den Staaten östlich von uns ist es ja so, das antirussische reflexe wie in der Genetik angelegt immer wieder durchgreifen, ebenso wie antiwestliche Reflexe in Russland auch aus den geschichtlichen Erfahrungen vieler Jahrhunderte entsprechende Wirkung entfaltet haben. Solange es nicht gelingt, die zu überwinden, und wie sollte dies angesichts der permanenten Propaganda zB in Polen- ist eine Russland einbeziehende Regelung, mit entsprechender Reduzierung des Einflusses der USA nicht möglich. Dabei ist doch klar, angesichts der Geographie- gegen Russland geht nicht, mit Russland ginge vieles. gerade Polen spielt gerne die agressivere Karte, jetzt wieder mit der Forderung nach der NATO als Friedenstruppe in der UA.
Und dass die Rüstungsspirale hier hilft, ich glaube dies nicht. Es wäre ausreichend, den Kernwaffensperrvertrag zu kündigen, sich atomar zu bewaffnen und den Einsatz dieser Waffen in Aussicht zu stellen- so wie Russland dies derzeit tut um die NATO in Schach zu halten. Wirkt doch. warum also Mrd für Panzer, Autos Gewehre, Schuhe und Bekleidung.....

Wehrbeauftragte entsetzt über Ausstattung

Angesichts der von Eva Högl beklagten mangelhaften Ausstattung der Bundeswehr frage ich, was in den letzten Jahren trotz steter Aufstockung des Kriegsetats, in 2021 waren fast 50 Mrd. Euro eingeplant, mit diesen Geldern geschehen ist.

Wurde das Ministerium personell so stark aufgestockt? Haben die Soldat:innen entsprechend so viel mehr Sold erhalten? Wurde soviel Geld von den letzten Minister:innen für Beraterverträge ausgegeben?

Was meint der Bundesrechnungshof?

Einige Beispiele von vielen: Bericht vom 30.11.2021 "Keine eingeschränkt einsetzbaren Lenkflugkörper für das betagte Kampfflugzeug Tornado beschaffen"
Bericht vom 08.12.2020: "Ausbildungsmodell für Hubschrauberbesatzungen: Nutzen von 60 neuen Mehrzweckhubschraubern für 2 Mrd. Euro zweifelhaft"
Bericht vom 30.11.2021: "Bundeswehr verschleppt den Kauf wichtiger Geräte für die Pioniere – überflüssige Modernisierung veralteter Geräte kostet 1,7 Mio. Euro"
Bericht vom 30.11.2021: "Bundeswehr muss die Verwertung von außer Dienst gestellten Schiffen und Booten be­schleunigen"

„Ukraine-Schock“ – „Nukleare Teilhabe“

Wer für die Bundeswehr Verantwortung trägt, muss sie nicht abschaffen wollen. Sollte er sich aber nicht einen Blick auf sie diesseits/jenseits des Primats des Militärischen erhalten? Unsere neue Verteidigungsministerin hat alle Stereotype drauf, die jeder/e von sich gibt, der/die im politischen Teil des militärischen Komplexes mitsprechen will, z. B. „Abschreckung“ und „Nukleare Teilhabe“. Natürlich fehlen die auch bei der Wehrbeauftragten nicht.
Ich frage mich, woran Frau Lambrecht und Frau Högl wohl denken, wenn sie „Nukleare Teilhabe“ fordern. Ist das für sie nur ein Wort wie „Helme“, „großes Gerät“ oder Kletterhindernis? „Nukleare Teilhabe“ bedeutet im Ernstfalle die Teilhabe an der irreversiblen Verwüstung von Landstrichen in der Größe Westeuropas – und da spreche ich nur von einem Krieg mit taktischen Atomwaffen wie dem Tarnkappenbomber F-35, bestückt mit B-61 Atombomben.
Ob „drei Viertel der Deutschen, die diesen neuen Kurs unterstützten“, auf die Frau Högel so freudig verweist, Vorstellungen von „Nukleare Teilhabe“ haben, die unsere Wehrbeauftragte und unsere Verteidigungsministerin wohl als „Abschreckung“ verstehen?

Wo bleibt die Stimme der Vernunft?

„´Ukraine-Schock´ fordert Bundeswehr“

„Die Landes- und Bündnisverteidigung steht künftig wieder eindeutig im Mittelpunkt der Bundeswehr“ – ein bemerkenswerter Satz: Offensichtlich haben nach Einschätzung der Wehrbeauftragten die für die Bundeswehr Verantwortlichen die Landes- und Bündnisverteidigung bisher mindestens vernachlässigt (ohne Konsequenzen und auch nicht ganz Grundgesetz konform), stattdessen, ja was?, die Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt, wo sie z. B. 20 Jahre lang in einem desaströsen Krieg „die Freiheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch verteidigt“ hat (SPD-Struck). Gut, dass das aufhört! (So soll der Satz doch hoffentlich verstanden werden!)
Landesverteidigung deckt sich, wenn Masala (Bundeswehr-Uni München) Recht hat, mangels „direkter territorialer Bedrohung“ mit Bündnisverteidigung. Die europäischen Nato-Staaten/EU haben eine gemeinsame Grenze mit der Russischen Föderation, die sich seit dem Putin-Krieg mit der Ukraine als der Gegner erwiesen hat, der sie immer schon gewesen ist, bisher nur nicht erkannt, weil sie noch kein Nato-Land angegriffen hat.

„´Ukraine-Schock´ fordert Bundeswehr“_2

Landes-/Bundesverteidigung kostet viel Geld. Nun geben die EU-Länder etwa viermal soviel für Verteidigung aus wie Russland (Draghi). Das reicht aber offensichtlich nicht, meint die Wehrbeauftragte. Unser Bundeskanzler fragte in seiner berühmten Rede zur Zeitenwende angesichts der „militärischen Gewalt ... in der Ukraine: Welche Fähigkeiten besitzt Putins Russland? Und welche Fähigkeiten brauchen wir, um dieser Bedrohung zu begegnen - heute und in der Zukunft?“. Eine Antwort wusste er so wenig wie die Wehrbeauftragte, aber sie würde 100 Milliarden kosten. (Die Rede wurde überwiegend so gedeutet: mindestens 70 Mrd. jährlich plus 100 Mrd. Sondervermögen; inzwischen hört man aus des SPD „aus“ statt „plus“). Eine Ahnung von den Fähigkeiten der russischen Armee hat der Putin-Krieg schon gegeben: Etwa 200.000 Soldaten der nach den USA besten Armee der Welt, konnten die „hoffnungslos unterlegene“ ukrainische Armee kaum zurückdrängen, schon gar nicht besiegen. Und die EU-Armeen sollten diese Armee fürchten (, wenn sie die sinnlose Landesverteidigung aufgäben und stattdessen die Bündnisgrenze verteidigten)? Wir kämen dann mit weniger Geld für Rüstung aus, als wir zurzeit ausgeben (Junker).

„´Ukraine-Schock´ fordert Bundeswehr“_3

Der Nato-Generalsekretär trommelt indes schon wieder für eine neue Aufrüstung, obwohl auch er keine Antwort darauf weiß, wie Abschreckung gegenüber einer atomaren Weltmacht funktionieren kann – wenn nicht durch Einsicht in Koexistenz!

Abschreckung funktioniert auch gegenüber konventionellen Armeen nicht – der beste Beweis dafür ist der Putin-Krieg oder Afghanistan, oder Iran. Abschreckung bewirkt aber zwingend ein Hochschaukeln der Aufrüstung, denn die Idee der Abschreckungsstrategie ist, immer so viel stärker zu sein, dass der Angegriffene den Angreifer danach noch massiv schaden kann.

Der „Ukraine-Schock“ hat sich in die Köpfe unserer Politiker gebrannt.
Wo bleibt die Stimme der Vernunft?