Neues System für Deutschland gefordert

Viva la Revolución!

Thomas Köcher17. September 2009

Die Finanzindustrie ist mit ihrer Ideologie gescheitert. Aber nicht nur in diesem Bereich gibt es Probleme. Wie wir wirtschaften und leben ist ebenfalls nicht nachhaltig. Unsere Rohstoffe
werden immer knapper und gehen irgendwann zur Neige. "Man muss die Zukunft ins Heute rücken, aber die Politik betreibt nur Krisenmanagement. Ein nachhaltiges Wirtschaften ist notwendig,"
bekräftigte Kai Niebert. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Naturwissenschaftsdidaktik an der Leibniz Universität Hannover und Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings. Mit dem
SPD-Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller, arbeitete er am zukunftsweisenden Buch "Epochenwechsel". Es wurde am 16. September in
Berlin vorgestellt.

Klimawandel kein Thema?

Die Lage ist ernst. In 100 000 Jahren erwärmte sich die Erde im Schnitt um zehn bis 16,5 Grad Celsius. In einigen hundert Jahren hat allein die Menschheit schon einen Drittel dieses Wertes
verursacht. Der Moderator dieser Veranstaltung, Peter Unfried (taz- Chefreporter), fragte Müller, weshalb die Klimadebatte beim so genannten Kanzlerduell nicht thematisiert wurde. Müller
bedauerte dies, kritisierte aber auch, dass die Journalisten nicht danach gefragt hatten. Der Deutschland-Plan gehe aber in die Richtung und biete Perspektiven für ein ökologischeres und
nachhaltigeres Land. Niebert attestierte ebenfalls, dass diese Debatte wieder stärker ins öffentliche Licht gerückt und bei den Menschen ankommen müsse. Um dafür einen Beitrag zu leisten, habe er
viele Laien befragt, wie diese über den Klimawandel und dessen Folgen denken. So könne man besser auf sie eingehen. "Wir müssen die Menschen abholen, wo sie sind und nicht erwarten, dass sie sich
von selbst zu uns bewegen," erklärte Niebert.

Früher oder später wird diese Diskussion die Bundesrepublik erneut erreichen. Wir leben in keinem abgekapselten Raum. Unser Land ist von Rohstoffimporten abhängig. Müller warnte vor der
"Wasserfrage", die eine wirklich evidente sei. Wassermangel und Überschwemmungen würden weiter zunehmen. Dies führe zu verstärkten Migrationsbewegungen. Er erwarte schon jetzt einen Wahlkampf
gegen "Öko"-Flüchtlinge, die wegen unserer Wirtschaftsweise und deren Folgen fliehen mussten. Er erinnerte unter anderem an Roland Koch, der immer wieder Ausländerthemen instrumentalisierte.



Chancen für eine neue Ordnung?

Das "window of opportunity", also das Gestaltungsfenster, sei noch offen. Allerdings beginne es sich zu schließen. Man müsse man schnell handeln, erklärte Müller. "Die Geburtsschmerzen
einer neuen Ordnung werden von ökologischen Themen begleitet." In der Industriegeschichte sei es immer so gewesen, dass eine Volkswirtschaft dann stark oder gar die Stärkste wurde, wenn sie auf
neue Entwicklungen schnell reagiert hatte. Die Nation, welche als erste die kommenden Rohstoffknappheiten kompensieren könne, werde am besten dastehen. Deutschland brauche Strategien für den
Klimawandel und eine nachhaltige Wirtschaft, forderte Müller.

Wie sieht die neue Ordnung aus?

"Der Finanzsektor muss wieder den Menschen dienen. Die Konferenz von Bretton Woods wurde mit den Worten eröffnet, dass es eine Welt ohne Krisen nur ohne die Wucherer der Finanztempel geben
könne," führte Müller aus. Er forderte eine Spekulationssteuer, Tobin-Steuer und eine Börsenumsatzsteuer. Über all diese Dinge wurde schon seit der besagten Konferenz debattiert. Sie müssten
endlich umgesetzt werden. Entscheidend sei allerdings, ob die Europäer sich einigen könnten, erklärte Müller.

Innerhalb des ökologischen Systems gebe es große Entwicklungspotentiale. Gerade im Bereich Effizienz könne viel erreicht werden. Der Ausbau dezentraler Energieversorgung und regenerativer
Energien sei notwendig, so Müller. Dies reiche aber nicht aus, konterte Niebert. Auch der Mensch müsse sein Verhalten ändern. Ziel müsse sein, dass jeder Mensch bis 2050 pro Jahr nur zwei
Millionen Tonnen CO2 ausstößt. Bisher seien es in Deutschland im Schnitt zehn Millionen Tonnen. Reiche Menschen produzieren mehr CO2 als ärmere, weil erstere mehr konsumieren können und somit
indirekt zu einem höheren Ausstoß beitrügen. Dies könne man allerdings besteuern und damit eine Lenkungswirkung erzielen. "Ökologie und soziale Gerechtigkeit gehen Hand in Hand," fasste Niebert
seine Position zusammen.

"Der Kapitalismus war schädlich. Auf Dauer kann es nicht weitergehen wie bisher. Das Naturbewusstsein muss sich in den Menschen verankern. So kann eine Dynamik freigesetzt werden, wodurch
eine sich selbst tragende Entwicklung entsteht," erklärte Niebert.

"Die Menschheit agiert erst, wenn eine Krise ausgebrochen ist. Wir müssen lernen, uns selbst Grenzen zu setzen, bevor es zu spät ist. Ansonsten wird uns die Natur die Grenzen diktieren,"
warnte Müller. Diese Warnung sollten wir nicht nur ernst nehmen. Wir müssen es.

Das im Oekom-Verlag Buch "Epochenwechsel" ist höchst interessant und zeigt den Weg in eine nachhaltig gesicherte Zukunft. Für "New Green Deal"-Interessierte absolut empfehlenswert.

Weitere Informationen:

www.oekom.de

"Epochenwechsel-Plädoyer für einen grünen New Deal". Von Michael Müller und Kai Niebert.

Oekom Verlag. Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH - München.

Preis: 19,90 Euro.

ISBN: 978-3-86581-175-2

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