Wie weit darf der Iran mit seinem Atomprogramm gehen? Darüber wird seit Januar verhandelt. Eigentlich sollte an diesem Sonntag ein Abkommen geschlossen werden, doch das droht zu platzen. Warum, erklärt unser Autor Andreas Zumach.
Wie viele Zentrifugen zur Anreicherung von Uran mit welcher Leistungsfähigkeit darf Iran künftig noch betreiben im Rahmen eines zivilen, ausschließlich auf Energiegewinnung und medizinische Forschung ausgerichteten Nuklearprogramms? Das ist seit Monaten der zentrale Streitpunkt bei den Verhandlungen zwischen Teheran und der 5+1-Staatengruppe, zu der die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sowie Deutschland gehören.
Wegen dieser Streitfrage wird die ursprünglich angestrebte Einigung auf ein umfassendes Abkommen bis zum kommenden Sonntag nicht gelingen. Inzwischen gehen alle beteiligten Regierungen von einer wahrscheinlich mehrmonatigen Verlängerung der Verhandlungen aus.
Die Anzahl und Leistungsfähigkeit der installierten Zentrifugen sind wesentlich für die „Ausbruchsfähigkeit“ Irans. Damit gemeint ist der Zeitraum, den Teheran nach einer Kündigung oder unter Verletzung eines künftigen Abkommen benötigen würde, um Uran nicht nur auf den zur Energiegewinnung ausreichenden Grad von fünf Prozent anzureichern, sondern auf den zur Entwicklung von Atomwaffen erforderlichen Grad von 90 Prozent.
Die USA wollen das Atom-Programm beschränken
Die Obama-Administration will sicherstellen, dass Teheran dafür mindestens ein Jahr benötigt. Daher will sie die Zahl der installierten und betriebsbereiten Zentrifugen auf maximal 3000 bis 5000 beschränken. Das würde die Chance erhöhen, dass etwaige Atomwaffenentwicklungen des Irans rechtzeitig entdeckt würden.
Doch Teheran lehnt eine Obergrenze für die Zahl der Zentrifugen bislang strikt ab. Mit der Kontrolle der Urananreicherungsanlagen durch die „Internationale Atomenergiebehörde" (IAEO) sei sichergestellt, dass die auf fünf Prozent angereicherten Uranvorräte sofort zum Einsatz in Atomkraftwerken verbraucht werden. Sie könnten also nicht gehortet werden, um sie später auf 90 Prozent anzureichern. Derzeit hat Iran knapp 20 000 Zentrifugen installiert, darunter rund 8000 moderne mit erhöhter Leistungsfähigkeit. Sie können Uran zwölfmal so schnell anreichern wie die älteren Modelle. Darüber hinaus gibt es Pläne, bis zu 50 000 Zentrifugen zu installieren.
Weiterhin umstritten ist auch der Schwerwasserreaktor im iranischen Arak. Teheran ist bislang noch nicht bereit, die Anlage so komplett umzubauen, dass dort überhaupt kein atomwaffenfähiges Plutonium mehr anfällt.
Verhandlungen über Raketen lehnt der Iran ab
Selbst wenn in dieser Frage und bei der Urananreicherung eine Einigung erzielt werden sollte, bleibt noch ein bilateraler Streitpunkt zwischen den USA und Iran, bei dem sich die beiden Außenminister John Kerry und Ali Akbar Salehin in ihren Wiener Gesprächen der letzten Tage keinen Schritt näher gekommen sind. Wahington will in einem künftigen Nuklearabkommen mit Teheran auch Obergrenzen für die Zahl und die Reichweite iranischer Raketen festlegen, die potentiell Atomsprengköpfe tragen könnten. Doch eine solche „Vermischung“ lehnt die iranische Regierung strikt ab. Sie wäre aber bereit zu einem regionalen Abkommen im Nahen und Mittleren Osten, das auch die Raketenprogramme Israels, Saudi Arabiens und anderer Länder begrenzt.
Mit der Verlängerung der Verhandlungen besteht die Gefahr, dass die Obama-Admistration im Wahlkampf zu den Kongress-Zwischenwahlen Anfang November zunehmend unter Druck der republikanischen Oppositon gerät, die ein Abkommen mit dem Iran grundsätzlich ablehnt oder dem demokratischen Präsidenten schlicht keinen außenpolitischen Erfolg gönnt. Und auch in Teheran verschärfen die Hardliner in den letzten Wochen ihre Angriffe auf Präsident Hassan Ruhani und seine Nuklearunterhändler, weil diese bei den bisherigen Verhandlungen angeblich schon viel zu viele Konzessionen gemacht hätten.
Der Optimismus, den alle Seiten noch zu Beginn der Verhandlungen am 20. Januar demonstriert hatten, ist jedenfalls längst verflogen. Die Gefahr wächst, dass die Verlängerung der Verhandlungen über den kommenden Sonntag nur eine Vorstufe für ihr endgültiges Scheitern sein wird.