Präsidentschaftswahlen

Ukraine: Trotz Selenskijs Erfolg könnte am Ende Poroschenko siegen

Dmitri Stratievski01. April 2019
Der Komiker Wolodymyr Selenskij hat den 1. Wahlgang der ukrainischen Präsidentenwahlen klar gewonnen. Doch in der Stichwahl hat Präsident Petro Poroschenko die besseren Karten, die Anhänger der ausgeschiedenen Kandidaten auf seine Seite zu ziehen.

Die erste Runde der ukrainischen Präsidentenwahlen am 31. März hat einen überraschend klaren Sieger gebracht: Laut mehreren Exit-Pools kommt der Fernsehmoderator und Komiker Wolodymyr Selenskij mit etwa 30 Prozent auf den ersten Platz. Damit ist er sicher in der Stichwahl am 21. April.  Der Zweitplatzierte ist der amtierende Präsident Petro Poroschenko, der 16 bis 18 Prozent der Stimmen erreichte.

Hohe Wahlbeteiligung

Die wohl bekannteste ukrainische Politikerin Julija Timoschenko verfehlt dagegen die nächste Runde. Die Wahlbeteiligung hat mit über 65 Prozent die Erwartungen übertroffen. Auch in Deutschland bildeten sich Schlangen vor den ukrainischen Auslandsvertretungen. Gerade die große politische Mobilisierung der Ukrainer hat Selenskij erkennbar geholfen.

Vor dem Wahlsonntag erwarteten die meisten Experten, dass die Unterstützer Selenskijs in den Umfragen, meistens politikferne Ukrainer unter 35 Jahren, zum großen Anteil Nicht-Wähler bleiben würden. Doch sie fanden den Weg zum Wahllokal. Offenbar haben die Strategen von Poroschenko und Timoschenko das Protestpotential der Ukrainer unterschätzt.

Stimme der Enttäuschten

Im Land der korrupten Elite, der galoppierenden Lebenshaltungskosten und der großen politischen Enttäuschungen hat Selenskij mit seiner Vision einer gerechten Welt („Schullehrer, der genauso gut lebt, wie ein Präsident“, so ein Zitat aus seiner TV-Serie) den richtigen Nerv getroffen. Selenskijs Programm ist eine Mischung aus populistischen Parolen, Wiederholungen und Plagiaten. Er fordert mehr direkte Demokratie, hohe Gehälter und Renten, harte Strafen für Korrupte, die Heimkehr der Krim und der besetzten Gebiete im Donbass durch den Beistand des Westens, den EU- und NATO-Beitritt der Ukraine nach einem Volksentscheid. Diese Versprechungen wirkten ausgerechnet bei dem politisch unerfahrenen Selenskij authentisch, überzeugend und im Endeffekt in den Augen vieler politikverdrossenener Ukrainer mobilisierend für den Urnengang.

Trotz dieses beachtlichen Erfolges ist Selenskij immer noch weit von seinem Traum entfernt, in den  Präsidentenpalast einzuziehen. Das politische Schwergewicht Poroschenko wird im kommenden Monat versuchen, neue Bündnisse zu schmieden und unterlegene Kandidaten auf seine Seite zu ziehen. Hier hat er als Staatschef und Netzwerker bessere Karten. Deshalb wird ihm von vielen Beobachtern zugetraut, sich in der Stichwohl gegen den Newcomer durchzusetzen.

Timoschenko spielt auf Zeit

Auf das drittgrößte Stimmenkontingent kann sich Poroschenko allerdings wenig Hoffnung machen. Timoschenko sieht sich selbst als Teilnehmerin der Stichwahl und wirft der Regierung massive Manipulationen zugunsten Poroschenkos vor. Am Wahlabend kündigte sie Straßenproteste an und kritisierte alle Exit-Pools. Diese Äußerungen werden aber weitgehend folgenlos bleiben. Die Politikerin hat wenig Ressourcen, um den Wahlausgang erfolgreich anzufechten und Poroschenko aus der Stichwahl zu verdrängen.

Im Kampf um ihr politisches Überleben geht sie einen anderen Weg. Laut ukrainischen Journalistenkreisen gebe es bereits erste Sondierungsgespräche zwischen den Wahlkampfleitungen Timoschenkos und Selenskijs. Timoschenkos Ziel sei die Änderung des Wahlrechts vor der Parlamentswahl im Oktober. Die „Batkiwschtschyna“-Partei der ehemaligen Ministerpräsidentin hat gute Umfragewerte. Eine Einigung beider Kandidaten würde für die Politikerin eine Rückkehr an die Spitze der Regierung bedeuten. Doch ob ihre Anhänger ihrer Empfehlung für die Stichwahl folgen ist ungewiss.

Radikalismus nicht gefragt

Eine überwiegende Mehrheit von 39 Präsidentschaftskandidaten hat den Wählern eher gemäßigte Programme angeboten und bei ihren Auftritten auf radikale Parolen verzichtet. Nationalisten haben sich mit dieser Wahl schwergetan: Der Rechtspopulist Oleg Ljaschko hat nur 4 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereint, der Rechtsradikale Roman Koschulinskij 2 Prozent.

Auch Politiker, die sich als Sprachrohr der Ostukraine präsentierten und für eine Versöhnung mit Russland plädierten, haben wenig Zustimmung bei den Wählern gefunden. Der moderate ehemalige Energieminister Jurij Bojko hat den aggressiven Oleksandr Wilkul, stellvertretender Premierminister in der Janukowytsch-Zeit, deutlich überholt. Diese Tatsache spricht gegen die These einer starken Polarisierung der Ukraine als Folge des Krieges.

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Kommentare

Solang der Richtige gewinnt...

wird man in unseren Breiten kein schlechtes Wort über diese Wahl hören. Und das, obwohl die Kritikpunkte seit dem Umsturz nicht weniger geworden sind.
Millionen Ukrainern wird ihr Wahlrecht verweigert, weil sie im Kriegsgebiet oder in Russland leben, Oligarchie und Staatsmacht kontrollieren die großen Medien und die Mehrheit der Wahlkommissionsmitglieder sind von Poroschenko abhängig. Last but not least ist die Leiterin der Kommission eine gute Freundin Poroschenkos, der im übrigen sein Vermögen fast verdoppelt hat, seit er Präsident ist.
Es ist einfach eine Schande, wie dieses reiche Land seit Jahrzehnten von Oligarchen ausgeplündert, vom Westen in einen Bürgerkrieg getrieben und nun zum Mündel des IWF gemacht wurde.
Seine Bürger sind millionenfach gezwungen im Ausland zu arbeiten um zu überleben.
Eine politische Bewegung, die eine zukunftsfähige Lösung für diese Probleme hat ist m.A.n. nicht in Sicht.

der Feind meines Feindes

ist mein Freund-

also: Solange Front gegen Russland gemacht wird, ist Poroschenko der Favorit der NATO , da kann er im Inneren machen, was er will- im Zweifel hilft der WWF

Berichtigung

IWF, versteht sich,

der WWF kann da nichts ausrichten

Freud

War das ein freud'sche Verschreiber ? Poroschenko, Oligarch hin, Oligarch her, steht doch bei der "Wertegemeinschaft" unter Naturschutz. Und für Naturschutz ist doch der WWF zuständig ?

ja, so

betrachtet, hätte es der Korrektur bzw. Ergänzung gar nicht bedurft.

da hat wohl das Unterbewusstsein die Feder geführt

Das Ergebnis im ersten Wahlgang

...steht im Widerspruch zu Ihrer Behauptung. Selenskij, nicht Poroschenko, führt. Nicht wahr?

das stimmt

aber im 2 Wahlgang ist dann Schluss mit lustig- da habe ich keine Zweifel

Administrative Ressourcen

Ich habe die angeführten Informationen zur Wahl zuerst bei Infosperber (https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Ukraine-Prasidentschaftswahle...) gefunden. Der Artikel geht auf die Vielzahl der Kandidaten, die Startgebühr, den doppelten Tymoschenko u.v.m. ein.
Eine im juristischen Sinne strafwürdige Manipulation durch Poroschenko wird nicht behauptet. Man wird sehen, wie das ganze ausgeht.
Mir ging es mehr um die erwartbare Ignoranz in Deutschland ggü. der Korruption, der Gewalt gegen Andersdenkende, den ermordeten Journalisten, den rechten Schlägerbanden und der Ausgrenzung von Mio. Wählern. Wäre ein im Westen ungewünschter Kandidat hier Frontrunner, unsere Politiker und Medien überschlügen sich mit Berichten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen.
Sarkastisch könnte man zusammenfassen, dass eine Wahl, egal wo und wie, immer dann frei und fair ist, wenn der Pro-EU/ Nato/ Westen- Kandidat gewinnt. Eigentlich ganz einfach.

Beide Kanidaten sind prowestlich

Selenskij plädiert für einen raschen EU- und NATO-Beitritt der Ukraine und will Russland zwingen, nicht nur annektierte Gebiete zurückzugeben, sondern auch eine Entschädigung zu zahlen. In punkto Westbindung stimmt sein Programm mit Poroschenko exakt überein.

Ja, die IWF, das weltweit

Ja, die IWF, das weltweit größte Inkassobüro von westlichem Gnaden hat schon viel zur Verelendung ganzer Länder beigetragen, nicht nur in der Ukraine.