Abschied im Hamburger Michel

Staatsakt für Helmut Schmidt: Verneigung vor einem Giganten

Susanne Dohrn23. November 2015
In einer bewegenden Trauerfeier nahmen Familie, Freunde, Weggefährten und Politiker aus aller Welt Abschied von Helmut Schmidt. Der ehemalige Bundeskanzler war am 10. November im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben.

Blauer Winterhimmel und Sonnenschein täuschen nicht darüber hinweg, dass nach den Anschlägen in Paris an diesem Tag besondere Sicherheitsvorkehrungen gelten. Überlegungen, den Staatsakt zu verschieben, hatte der Hamburger Senat jedoch frühzeitig eine Absage erteilt. „Schmidt käme nicht auf den Gedanken, sich von Terroristen vorschreiben zu lassen, wie wir um ihn trauern“, so SPD-Innensenator Michael Neumann vergangene Woche.

Gäste, Journalisten, Fotografen, alle fahren mit Polizeibussen und Motorradeskorte vom Dammtorbahnhof zum „Michel“, wie Hamburgs größte Hauptkirche zärtlich genannt wird. Langsam füllt sich die Kirche. Vorn links in der ersten Reihe nimmt Martin Schulz Platz, etwas dahinter Valéry Giscard d’Estaing, ehemaliger französischer Staatspräsident und politischer Weggefährte von Helmut Schmidt bei der Gestaltung eines gemeinsamen Europas. Das Bundeskabinett ist da, Ministerpräsidenten, Ex-Bundespräsidenten, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Doris Schröder Köpf an seiner Seite. Einige verneigen sich vor dem Sarg. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gehört dazu, Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, später auch Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Als wäre ein guter Freund gegangen

Kurz vor 10:30 Uhr treffen Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Joachim Gauck mit Lebensgefährtin Andrea Schadt ein. Olaf Scholz und seine Frau Britta Ernst, Ministerin in Schleswig-Holstein, halten sich an den Händen. Zum Schluss betreten Tochter Susanne Schmidt-Kennedy sowie Ruth Loah die Kirche, Schmidts Lebensgefährtin nach Lokis Tod.

Hauptpastor Alexander Röder hält die Predigt. Er erzählt von den Kerzen, Blumen, Bildern und Briefen, die vor dem Wohnhaus Helmut Schmidts niedergelegt worden sind. Er erzählt von den viele Bürgern, die zum Teil Stunden gewartet haben, um ihren persönlichen Gruß in die ausliegenden Kondolenzbücher zu schreiben. „Als wäre ein guter Freund  gegangen“, sagt Hauptpastor Röder.

Helmut Schmidt habe sich für seine Trauerfeier ein Wort aus den Psalmen gewählt, das von Mühe spricht, sogar von vergeblicher Mühe: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe.“ In diesen Worten sei nicht nur die Einsicht in die Begrenztheit und Endlichkeit des menschlichen Lebens ausgedrückt, sondern zugleich die Erkenntnis, bei allem Bemühen am Ende mit dem eigenen Tun nicht wirklich viel bewegen zu können.

Röder weiter: „Helmut Schmidt wusste, dass zur Stärke einer so großen Persönlichkeit, wie er es war, auch das Wissen um die Schwächen eines Menschen gehören: die Einsicht, Fehler zu machen, und niemals allen Menschen gerecht werden zu können, darum auch Schuld auf sich zu laden; vor allem aber: Nicht alles zu können und nicht Herr der Geschichte zu sein.“ Der Staatsmann, der Macher, war auch ein Mann, der sich der Grenzen menschlichen Tuns immer zutiefst bewusst war.

Europa war ein großes Thema

Übrigens auch einer, der die Musik für diesen Staatsakt selbst ausgesucht hat: Johann Sebastian Bach, Johann Pachelbel und ein plattdeutsches Lied. „Mien Jehann“ heißt es und handelt von der wehmütigen Rückschau eines alten Mannes auf seine Kindheit.

„Wir alle verlieren einen wichtigen Wegbegleiter. Gemeinsam mit Helmut Schmidt haben wir erlebt, wie aus lebensklugem politischem Pragmatismus scheinbar unbegrenzte moralische Autorität erwachsen kann“, so der Erste Bürgermeister Hamburgs Olaf Scholz. Er sei noch vor wenigen Wochen mit Helmut Schmidt im Hafen unterwegs gewesen und Schmidt habe interessiert und informiert wie immer viel darüber wissen wollen, wie das moderne Hamburg als fester Teil Europas aussehen wird und welche Verantwortung die Stadt zu übernehmen bereit sei.

Europa, das war Helmut Schmidts großes Thema, daran erinnert Olaf Scholz. Schmidt habe vielfach auf die Wege verwiesen, die wir beschreiten müssen, um Europa zu sichern und seiner SPD habe er auf dem Parteitag im Jahr 2011 aufgegeben, dass sie sich um das in der Menschheitsgeschichte einzigartige Projekt der Europäischen Union kümmern müsse.

Eine Lücke, die bleibt

Olaf Scholz spricht den Hamburgerinnen und Hamburgern aus dem Herzen, wenn er sagt: „Heute sind wir gleichermaßen traurig und dankbar. Traurig, weil wir uns von einem einzigartigen und unsere Stadt prägenden Ehrenbürger verabschieden müssen. Und dankbar, weil wir zumindest einen Teil dieser Wegstrecke gemeinsam mit ihm gehen durften.“ Olaf Scholz ist ein Mann, dem das Pathetische nicht liegt. An diesem Tag jedoch macht er eine Ausnahme, als er sagt: „Wir haben einen Giganten verloren. Politisch. Menschlich. Diese Lücke wird bleiben. Wir werden sie spüren.“

So empfindet es wohl auch Henry Kissinger. Der amerikanische Ex-Außenminister war mit Helmut Schmidt sechs Jahrzehnte befreundet. „Unsere lange Freundschaft ist ein Pfeiler in meinem Leben“, sagt er und beschreibt Schmidt als einen Politiker für den die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Gewissen die oberste Instanz gewesen sei. Kissinger: „Politik ohne Gewissen tendiert zum Kriminellen.“

Das Richtige tun

Was sagt eine Bundeskanzlerin, wenn eigentlich fast alles gesagt ist? Angela Merkel ist in der DDR aufgewachsen, aber in Hamburg geboren. Dort wohnte 1962 während der Flutkatastrophe ein Teil ihrer Familie. Sie erinnert daran, wie auch ihre Familie ohnmächtig und voller Sorge auf Nachrichten aus Hamburg wartete. Der Name Helmut Schmidt habe sich seit dieser Zeit in ihr Gedächtnis eingegraben. „Wir haben ihm vertraut“, sagt die Kanzlerin.

Denn wenn Helmut Schmidt überzeugt war, das Richtige zu tun, dann tat er es, auch auf die Gefahr des Scheiterns hin. Damit ist Angela Merkel in der Gegenwart angekommen, nicht nur ihrer Flüchtlingspolitik sondern auch der Bedrohung durch den islamischen Terror. Die Freiheit sei stärker als Terror und Hass und die Menschlichkeit stärker als die Unmenschlichkeit, so die Kanzlerin. Helmut Schmidts Tod sei eine Zäsur. Merkel: „Ich verneige mich vor ihm in tiefem Respekt.“

 

 

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Kommentare

Staatsakt für Helmut Schmidt: Verneigung vor einem Giganten

Mich hat die Trauerfeier für Helmut Schmidt sehr bewegt, und ich habe in den letzten Tagen, als die Terrornachrichten das Gedenken an Schmidt überdeckten, sehr viel an verschiedene Situationen aus seiner Zeit denken müssen.

Vor allem muss ich mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen, dass nach dem Ableben von Egon Bahr und Helmut Schmidt nur noch Hans-Jochen Vogel, Erhard Eppler und Horst Ehmke von unseren alten Vordenkern übrig geblieben sind, deren Worte uns fehlen werden. Leider finden die Worte von Dieter Spöri zu wenig Gehör und werden auch in den Parteimedien tot geschwiegen, so dass überwiegend nur noch regierungs-un-kritische Verlautbarungen der aktuellen Parteiführung veröffentlicht werden

Es wäre begrüßenswert, wenn der Vorwärts in seiner nächsten Ausgabe die Predigt des Hauptpastors sowie die drei Reden abdrucken würde.

Der Verlust einer Ikone

Woher dieser „H.S.-Hype“ der außer mir (Jahrgang 1964) scheinbar auch viele, offenbar Millionen Menschen in diesem Land mitreißt ?
Natürlich sind da die Erinnerungen an den „Macher“ Helmut Schmidt, der Herausforderungen wie die Hamburger Sturmflut 1962 oder den RAF-Terror 1977 annahm und das aus seiner Sicht notwendige entgegensetzte, ohne vor jedem seiner Schritte erst mal ein juristisches Gutachten abzuwarten.
Sein Verhalten in Krisensituationen resultierte sicher auch und gerade aus seinen Kriegserfahrungen. Die, wie er es einmal nannte, „Große Scheiße des Krieges“ hat bei dem Oberleutnant a.D. Schmidt sicher den Blick für das Wesentliche und das in der jeweils aktuellen Situation Notwendige geschärft.
Kein, wie Schmidt es zu sagen pflegte, „langes Gesabbel“ sondern eine ergebnisoffene Diskussion – aber dann auch in angemessener Zeit zu einer Entscheidung kommen ….. und das auch noch in einem verständlichen Deutsch.
Rückblickend ein wohltuender Kontrast unser sich in verquastem Geschwurbel wie „…regen an zeitnah zu bemauten…..“ verlierenden heutigen windschnittigen Politikerkaste.
Ob die SPD unter H.S. in der Wählergunst auch bei aktuell knapp 24 % dahinsiechen würde ?