
Eine ausgebremste globale Wirtschaft, Angst vor der zweiten Corona-Welle und mit dem Klimawandel die nächste Krise am Horizont: Es sind Zeiten, in denen Unsicherheit um sich greift. Menschen fürchten um ihre Arbeit, Unternehmen um ihre Bilanzen, Politiker*innen sorgen sich um wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Bleibt alles anders?“, fragte deswegen am Mittwochabend Moderator Daniel Finger beim dritten Zukunftsdialog der SPD. Im Willy-Brandt-Haus geht es um die Wirtschaft nach Corona.
Klar war allen in der Runde – neben SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Parteichef Norbert Walter-Borjans waren auch der Wirtschaftsweise Achim Truger sowie die Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel und Ökonomin Dorothea Voss zu Gast – , dass es keine Rückkehr zum alten Wirtschaftssystem vor der Krise geben kann.
Maja Göpel: Keine Rückkehr zur alten „Normalität“
Das fängt für Maja Göpel schon mit Erkenntnissen während der Pandemie an. Welche Wertschöpfungsketten in Deutschland wichtig sind, wie wichtig Nahrungsmittelversorgung und Gesundheitsversorgung sind – all das geriet in der Corona-Krise ins Bewusstsein der Menschen. „Das macht mir Hoffnung“, so die Wissenschaftlerin, die auch die Bundesregierung berät. Sie warnt eindringlich vor einer Rückkehr zur „Normalität“ vor Corona. „Das war nicht normal, was da stattgefunden hat“, kritisiert sie, „das war eine Risikogesellschaft und dahin sollten wir nicht zurückkehren.“
Stattdessen plädiert sie vehement dafür, dass Unternehmen nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln und jetzt die Zeit für Weiterbildungsprogramme genutzt wird. Politik sollte diese Entwicklungen unterstützten und nicht bremsen, indem sie veraltete Wirtschaftssektoren am Leben erhält. Dafür müsse Politik der Wirtschaft langfristige Ziele kommunizieren und an diesen auch festhalten – es gehe um Verlässlichkeit, Vertrauen und Planungssicherheit. Ganz praktisch betrachtet bringt Göpel auch Zulagen für diejenigen ins Spiel, die sich beispielsweise einem höheren Infektionsrisiko bei der Arbeit aussetzen – analog der Zulagen für Arbeiter, die unter großer Hitze oder Kälte arbeiten müssen. Außerdem solle Wachstum künftig auch nicht ausschließlich an Kennziffern wie dem Bruttoinlandsprodukt oder anderen monetären Werten festgemacht werden.
Achim Truger: „Erholung ist auf dem Weg“
Dass über solche Ideen schon nachgedacht werden kann, liegt auch daran, dass Deutschland offensichtlich gut durch die Corona-Krise gekommen ist, wie der Wirtschaftsweise Achim Truger bilanziert: „Die Erholung ist auf dem Weg“, sagt er, „es gibt sogar Indikatoren, die darauf hinweisen, dass es noch stärker aufwärts gehen könnte, als wir erwartet haben.“ Einen Hinweis kann auch Vizekanzler Scholz dazu geben: Die Milliarden, die zu Beginn der Krise als Hilfen bereitgestellt wurden, sind noch nicht aufgebraucht. „Wir haben immernoch was“, meint der Vizekanzler und leitet daraus ab: Bis jetzt werden nicht alle Hilfen benötigt. „Am Ende war es viel Geld und das hat dafür gesorgt, dass viele Arbeitsplätze erhalten werden konnten“, bilanziert Scholz. Trotz Kritik ergänzt auch Ökonom Truger: Reaktion und Richtung der Maßnahmen haben aus Sicht der Wissenschaft gestimmt.
Doch es gibt Risiken: Sollte es eine zweite Welle der Pandemie geben, so Truger, „dann hätten wir ein großes Problem“. Unabhängig davon dürfte Deutschland erst 2022 wieder das Konjunkturniveau vor der Krise erreichen. Eine zweite Gefahr sieht Truger in der Schuldenbremse: „Die sitzt uns im Rücken.“ Sollte der Staat deswegen irgendwann auf die Bremse treten müssen, könnte das die Konjunktur wieder abwürgen.
Olaf Scholz: Brauchen leistungsfähigen Staat
Scholz, als Finanzminister verantwortlich für den Haushalt und die Schuldenaufnahme des Bundes, gibt sich da ganz staatsmännisch: „Das hat nichts damit zu tun, welche Mittel wir unmittelbar mobilisieren“, sagt er, „Es geht um eine solide Haushaltsfinanzierung.“ Und künftig gehe es darum, ob ein Staat mit einem gerechten Steuersystem die Investitionen in Bildung, Infrastruktur und vieles mehr stemmen könne oder ob dann gekürzt werden müsse – was aus seiner Sicht bitter wäre: „Wenn uns etwas durch diese Krise trägt, dann ist es ein leistungsfähiger Staat.“ Angesprochen auf eine mögliche Pleitewelle im Herbst gibt sich Olaf Scholz zuversichtlich: „Wir müssen die Kraft haben, die ganze Zeit mitzuhalten“, sagt er mit Blick auf staatliche Hilfen „und dazu sind wir bereit“. Vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen dürfe jetzt nicht die Puste ausgehen. „Aber was wir nicht ändern können, ist ein Geschäftsmodell, das nicht funktioniert.“
Es ist auch eine klare Absage an neoliberale Vorstellungen, auf die Truger später eingeht: Deregulieren, privatisieren, Steuern senken, den Sozialstaat abbauen. „Wären wir dem gefolgt, hätten wir hier keine vernünftige gesundheitspolitische Reaktion hinbekommen“, sagt er. Man solle den Mut haben, so Truger an die Politik, gestaltend tätig zu sein – das sei schon eine Lehre aus der Finanzkrise 2010 und jetzt erneut aus der Coronakrise gewesen.
Norbert Walter-Borjans: Gerechteres Steuersystem
Da keine Mehrheiten für eine Abschaffung der Schuldenbremse in Sicht sind, verweist SPD-Chef Norbert Walter-Borjans auf die Einnahmenseite des Staates: „Die Finanzierung muss gerecht auf allen Schultern verteilt werden.“ Was für den SPD-Chef bedeutet: Besonders Wohlhabende in der Bevölkerung mehr zur Kasse zu bitten. „Die, die sich bislang aus dem Staub machen“, so Walter-Borjans, müssten sich anständig beteiligen.
Die deutsche Wirtschaft, darüber waren sich alle in der Runde einig, steht indes unabhängig von den Investitionen des Staates vor gewaltigen Veränderungen. Veränderungen, die aber nicht unbedingt Angst machen müssen, meint Dorothea Voss abschließend – wenn die Voraussetzungen stimmten. „Wenn wir die Transformation beschleunigen wollen, sind Beteiligung auf der Basis eines Sicherheitsnetzes eine absolute Voraussetzung dafür.“ Mit anderen Worten: Menschen müssen am Wandel beteiligt werden und brauchen Sicherheiten, dass dadurch nicht soziale oder arbeitsrechtliche Standards verloren gehen.
Dass der Wandel gelingen kann, da ist Olaf Scholz nicht bange, allerdings: „Es wird darum gehen, dass es konkret wird.“ Schicke Broschüren, abstrakte Forderungen – damit sei nichts gewonnen, so Scholz.
Im Zukunftsdialog haben sich Politiker der SPD und Gäste bereits über Bildung und Solidarität in der Krise debattiert – live im Netz und inklusive Fragen aus dem Publikum.