Am Dienstag sind die Minister der großen Koalition vereidigt worden. Die SPD hat wichtige Schlüsselministerien besetzt. Wir hoffen, um auch das zu verwirklichen, was im Wahlkampf keine Rolle gespielt hat: ein nachhaltiges Deutschland in einem nachhaltigen Europa zu gestalten.
Als Lehrer hat Sigmar Gabriel gelernt, dass es nicht nur in der Schule neben dem offiziellen Curriculum immer einen geheimen, weitergehenden Lehrplan gibt. Hier ein paar Vorschläge für einen nachhaltigen Regierungsplan für die kommende Legislatur:
Vom Ende her denken
„Wir wollen die Energiewende zu einer Erfolgsgeschichte machen“, haben die Sozialdemokraten mit CDU und CSU für die kommenden Jahre vereinbart. Um diesem Ziel gerecht zu werden, muss Sigmar Gabriel weit über den Koalitionsvertrag hinausgehen: Nach Wunsch der Kanzlerin soll der Ausbau Erneuerbarer Energien von heute 2 Prozent auf bis zu 1,25 Prozent pro Jahr gebremst werden. Das kann kein Ziel eines sozial-ökologischen Umbaus sein, den unser Land so dringend braucht.
Fakt ist: 2050 müssen wir CO2-frei wirtschaften, um den Klimawandel zu bändigen. Denken wir also die Energiewende einfach vom Ende her. Dann wird schnell deutlich: Was wir brauchen, ist eine deutliche Beschleunigung des Umbaus unserer Energieversorgung. Und das heißt: Mindestziele statt Obergrenzen. Bis 2020 müssen 40 Prozent der Stromproduktion erneuerbar sein.
Gesunde Energie heißt: Das fossile Zeitalter schnell beenden
In Deutschland stehen sechs der zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerke der EU. Das ist nicht zu akzeptieren. Unter der Kohle leidet nicht nur das Klima: Die Verbrennung fossilen Kohlenstoffs ist eine der Hauptquellen von Feinstäuben. Dabei sind es häufig Geringverdiener, die an Standorten mit schlechter Umweltqualität leben müssen. Wenn wir schon keine Bürgerversicherung durchsetzen konnten, um ein gerechteres Gesundheitssystem zu schaffen, so sollten wir aus dem Umwelt- Sozial- und Wirtschaftsministerium heraus ein Programm für Lebenschancen, Gesundheit und Lebensqualität entwickeln. Eine gesunde Umwelt bedeuten gesunde Arbeitsplätze und gesunde Lebensbedingungen. Das ist das, was wir auch unseren Kindern schuldig sind.
Nachhaltige Sozialpolitik statt billiger Energie
Eine gerechte, zukunftsfähige Versorgung mit Energie zu ermöglichen, ist ein zutiefst sozialdemokratisches Projekt. Wir sehen: Energie wird teurer werden, denn den Umbau des Energiesystems gibt es nicht Nulltarif. Noch teurer wird die Verlängerung des heutigen Systems der Energieverschwendung und der Umlage der sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Folgekosten fossiler Energiegewinnung auf den Verbraucher. Aber Energie muss auch bezahlbar sein. Doch ob sie das ist, ist keine Frage der Kosten pro Kilowattstunde. Denn diese orientieren sich nicht an den Entstehungskosten, sondern werden durch Spekulationen an der Leipziger Strombörse (EEX) und durch eine Vielzahl nicht gerechtfertigter Sonderregelungen zu Lasten der Verbraucher gemacht. Wofür brauchen wir eine Börse, die nur die Preise in die Höhe treibt?
Hinzu kommt: Das Einspar- und Effizienzpotential, das die Kosten senken könnte, wird bei weitem nicht ausgenutzt. Die Belastung einkommensschwacher Haushalte durch steigende Strompreise ist weniger eine Folge der Energiewende, sondern in erster Linie eine Folge politischer Fehler und der sozialer Ungleichgewichte in Deutschland. Hier muss der beschlossene Mindestlohn die Finanzsituation für einkommensschwache Haushalte verbessern. Zusätzlich müssen aber gezielte Energiespar- und Effizienzprogramme den Anstieg der monatlichen Energierechnung durch den Einsatz sparsamer Geräte und Beleuchtung abpuffern. Das aber heißt: Die Energiewende ist nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine soziale und ökonomische Herausforderung.
Wenn die Sozialtransfers (Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, BaföG, Grundsicherung im Alter) um die steigenden Energiekosten pauschaliert aufgestockt werden und die Stromsteuer progressiv gestaltet wird, so dass Geringverbraucher zulasten von Großverbrauchern entlastet werden, ist eine sozial gerechte Energiewende machbar.
Investitionen in die Zukunft statt in umweltschädliche Subventionen
In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 51 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen (z.B. steuervergünstigtes Kerosin, kostenlose Verteilung von CO2-Zertifikaten usw.) ausgegeben. Parallel werden nur vier Milliarden Euro über das BaföG in die Zukunft junger Menschen investiert.
Wenn die umwelt- und zukunftsschädlichen Subventionen abgebaut werden, eröffnet dies Handlungsspielräume – nicht nur für die Energiewende, sondern auch die Entschuldung öffentlicher Haushalte.
Wir plädieren dafür, die wachsende Vielzahl an unübersichtlichen Vergünstigungen der Industrie durch einen Grenzsteuerausgleich zu ersetzen, der Umweltdumping verteuern und dadurch auch beseitigen würde. So müssen nicht die Verbraucher, sondern die Verursacher die Kosten zahlen.
Wir brauchen dringend einheitliche Indikatoren, die die Energieintensität der Unternehmen abbilden. Auch müssen hier Subventionen an die ambitionierte Umsetzung von Energieeinspar- und Effizienzmaßnahmen gekoppelt werden.
Sicherheit durch Ressourcenschutz
Deutschlands Sicherheit wird künftig nicht mehr durch die Bundeswehr, sondern durch Ingenieure und engagierte Bürgerinnen und Bürger verteidigt. Denn sie sind es, die unsere Anhängigkeit von Rohstoff- und Energie-Importen beenden können. Allein die Kosten für fossile Energie-Einfuhren belaufen sich auf mehr als 86 Milliarden Euro pro Jahr. Bis 2040 können die Markteinführungsinvestitionen der Erneuerbaren Energien in Deutschland vollständig ausgeglichen sein.
Bis zur Jahrhundertmitte wird ein erneuerbares Energiesystem volkswirtschaftlich erheblich günstiger sein als ein fossil-nuklearer Kraftwerkspark. In den kommenden 25 Jahren werden wir erleben, wie ein steigender Anteil von immer günstigeren Erneuerbaren Energien die immer teurer werdenden Energieimporte verdrängt.
Zudem sehen wir mit großer Sorge, dass nach Angaben der Internationalen Energieagentur der Höhepunkt der Ölförderung bereits 2008 erreicht ist. Damit stehen wir neben dem Klimawandel und der Zerstörung der Artenvielfalt vor der dritten großen ökologischen Herausforderung, die eng mit den sozialen Chancen auf ein gutes Leben verbunden sind. Währen wir erkennen müssen, das das Maximun der Ölförderung überschritten ist, machen wir uns und unsere Industrie weiter vom zähflüssigen Unglück anhängig. Die Zulassungen der Vorstadtpanzer, genannt SUVs, nehmen weiter zu – und zwar vor allem deshalb, weil sie über Dienstwagen-Steuerermäßigungen subventioniert werden.
Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist sie zu gestalten
Als Umweltminister hat Sigmar Gabriel aufgezeigt, dass in der Gestaltung einer Effizienzrevolution und Energiewende enorme Chancen liegen: in der Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze, in der Einsparung von Milliardenbeträgen, die für Rohstoffe- und Energieimporte ausgegeben werden und auch in der Reduzierung von globalen und lokalen Umweltproblemen, die bei der Förderung und ineffizienten Verwendung von Rohstoffen entstehen. Er nannte das „ökologische Industriepolitik“. Wer sie nicht nutzt, wird dem Wohlstand der Zukunft hinterher rennen und ihn nicht gewinnen.
Mit ihren Ministern und Mandatsträgern wird die SPD nun zeigen müssen, dass sie verstanden hat, dass ein gutes Leben nur mit sozialer und ökologischer Gerechtigkeit möglich ist. Wenn wir in 35 Jahren unseren CO2-Ausstoß um 90 Prozent reduziert und unseren Rohstoffverbrauch auf ein Zehntel reduziert haben, um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird das immense Veränderungen bedeuten. Die Schritte dahin müssen mal klein und mal groß sein, vor allem aber geplant und mit einem klaren Ziel im Blick.
Heute jährt sich Willy Brandts Geburtstag zum hundertsten Mal. Er hat es geschafft, den Menschen die Vision eines besseren Lebens greifbar zu machen. Wir laden die Regierungsvertreter ein, seine Mahnung ernst zu nehmen: Wir dürfen nicht länger Entwicklung mit Wachstum verwechseln. Wenn wir es gemeinsam schaffen, in der Regierung die Zukunft auf Klimaschutz statt auf fossile Energieträger, auf Effizienz statt auf unkontrolliertes Wachstum, auf soziale und ökologische Gerechtigkeit statt auf Ausbeutung der Mitwelt zu bauen, kann die SPD im Sinne Willy Brandts eine SPD sein, die auf der Höhe der Zeit ist: Die Partei der Zukunft.