
Das Besondere an diesem Wahlergebnis sei, „dass wir jetzt eine Regierung bilden und all die Herausforderungen angehen können“, sagt Olaf Scholz am Dienstagabend. Eine Stunde lang diskutieren der SPD-Kanzlerkandidat und die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in einer Online-Konferenz mit circa 1.000 Parteimitgliedern aus ganz Deutschland über das mit Grünen und FDP ausgehandelte Sondierungspapier. Dieses wurde am Freitag von den Parteispitzen der drei beteiligten Parteien vorgestellt. Es enthält viele zentrale Forderungen, mit denen die SPD im Wahlkampf angetreten war, wie die Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro, die Einführung einer Kindergrundsicherung oder die Abschaffung von Hartz IV durch ein Bürgergeld.
Inzwischen haben die Gremien aller drei Parteien zugestimmt, in Koalitionsverhandlungen einzutreten. Am Montag soll es in 22 Arbeitsgruppen losgehen, wie Norbert Walter-Borjans am Dienstagabend den Mitgliedern berichtete. Rund 100 Personen nehmen laut dem SPD-Vorsitzenden je Partei an den Verhandlungen teil. Bereits am Donnerstagnachmittag kommen die jeweiligen Hauptverhandlungsgruppen sowie die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen der drei Parteien zusammen. Der gemeinsame Nenner der beteiligten Parteien sei der Fortschritt, betonte Scholz während der Online-Mitgliederkonferenz. Zwar seien die Vorstellungen nicht identisch, doch es gäbe Schnittmengen, die nun im Papier festgehalten worden seien.
Esken: In Modernisierungsfragen von der Bremse
Beispielhaft nannte Scholz ein besseres Bafög, moderne Mobilität, ein stabiles Rentensystem und die technologische Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Der SPD-Kanzlerkandidat richtete seinen Blick allerdings nicht nur auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen, sondern bereits einen Schritt weiter in die Zukunft: „Was wir erreichen wollen, ist nicht nur eine Regierung zu bilden, sondern dass die Leute, die uns gewählt haben, finden, wir haben das gut gemacht und wir dann in vier Jahren zu dritt gemeinsam wiedergewählt werden können.“
Saskia Esken wies darauf hin, dass das Sondierungspapier noch nicht der Koalitionsvertrag sei. „Es gibt viele Themen, über die wir da nichts geschrieben haben, bei denen wir uns aber durchaus einig sind, dass wir sie angehen müssen“, sagte die SPD-Vorsitzende. Grundsätzlich sei bereits von den Sondierungsgesprächen ein „Aufbruchgefühl“ ausgegangen, dass jetzt etwas losgehen könne. „Wir haben die letzten Jahre mit Partnern regiert, die bei vielen Modernisierungsfragen immer wieder auf der Bremse standen“, sagte Esken.
Walter-Borjans: Ein Bündnis für Aufbruch
Ihr Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans sprach von einer respektvollen Atmosphäre, die Vertrauen geschaffen habe. „Wir wollen ein Bündnis hinkriegen, das einen Aufbruch in die Zukunft bewerkstelligen kann“, sagte er. Auf die Nachfrage eines Mitglieds räumte er ein, dass fiskalpolitische Umverteilung mit einem Partner wie der FDP natürlich deutlich schwieriger sei. Deswegen sei auch die von der SPD im Wahlkampf geforderte Wiedererhebung der Vermögenssteuer nicht umsetzbar. Es gelte, die gesetzten Ziele innerhalb der künftigen Koalition mit Respekt und auf Augenhöhe anzugehen.
Die Fragen der Teilnehmer*innen waren inhaltlich vielfältig. Max Pohlmann aus Hamburg fragte beispielsweise, wie es auf dem Weg zu einer europäischen Armee weitergehen könne. Monika Seidenspinner wollte wissen, was die drei Parteien zur Verbesserung des Tierschutzes im Bereich der Ernährungswende anstrebten. Manuel Jung interessierte sich insbesondere für die Besserstellung von Patchworkfamilien, während Nicole Limberg aus Recklinghausen nach der genauen Ausgestaltung des Bürgergeldes fragte. Dies werde sich, wie bei vielen Themen auch, im Laufe der Koalitionsverhandlungen zeigen, sagte Scholz. „Die Konzepte der drei Parteien sind unterschiedlich, aber es gibt ähnliche Aspekte, weswegen ich glaube, wir kriegen eine wirkliche Reform hin.“
Scholz: Nicht nur eine Regierung bilden, sondern eine größere Sache daraus machen
Zum Schluss versprach der Kanzlerkandidat: „Wir wollen nicht nur eine Regierung bilden, sondern daraus eine größere Sache machen und die Dinge umdrehen, die in letzter Zeit in die falsche Richtung gelaufen sind, in Europa, aber auch in Deutschland. Vielen Dank für die Teilnahme und die Unterstützung! Wir werden sie brauchen.“