Thüringen

„Schämt euch!“ – Tausende Menschen protestieren gegen FDP-Ministerpräsident

Jonas Jordan05. Februar 2020
Mehr als 1.000 Menschen protestierten am Mittwochabend vor der Berliner FDP-Zentrale.
Mehr als 1.000 Menschen protestierten am Mittwochabend vor der Berliner FDP-Zentrale.
Tausende Menschen haben sich am Mittwochabend in zahlreichen deutschen Städten spontan zu Demonstrationen versammelt. Sie protestierten gegen die Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert forderte Konsequenzen.

„Schämt euch, schämt euch!“ – die Rufe werden immer lauter. Mehr als 1.000 Menschen demonstrieren am Mittwochabend vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der FDP-Bundeszentrale in der Berliner Reinhardtstraße. Sie protestieren gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen wenige Stunden zuvor. Der Liberale war in geheimer Wahl auch durch die Stimmen der rechtsextremen AfD ins Amt gekommen. 

Während im Hintergrund die Lichter des Friedrichstadtpalastes glitzern, wehen vor der FDP-Zentrale an diesem Abend die Fahnen von SPD, Grünen und Linken. Zur spontanen Kundgebung hatten auch die Jusos aufgerufen. Deren Berliner Landesvorsitzende Annika Klose kommentiert die Geschehnisse mit den Worten: „CDU und FDP sollten sich schämen. Für einen kurzfristigen Wahlerfolg paktieren sie mit Faschist*innen wie Höcke. Wir sind entsetzt und angewidert und rufen alle Demokrat*innen zum Widerstand auf.“

„Ganz Berlin hasst die FDP!“

Widerstand bedeutet an diesem Abend gellende Pfiffe für die FDP und Rufe wie „Fünf Prozent, wer denkt ihr, wer ihr seid?“, „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“ oder „Ganz Berlin hasst die FDP!“. Eine Sprecherin ruft über ein Megaphon: „Wir sind hier, um ein Zeichen gegen den Faschismus zu setzen.“

Zuvor hatten bereits zahlreiche Menschen am späten Nachmittag vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Bundeszentrale, demonstriert. Unter ihnen war auch der stellvertetende SPD-Vorsitzende und Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. Er sagte: „Der 5. Februar 2020 wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Tag, an dem der Faschist Björn Höcke entscheiden konnte, wer ein deutsches Bundesland regiert. Ermächtigt dadurch wurde er durch die örtlichen Vertreter von FDP und CDU.“

Kühnert machte daher deutich, was er nun insbesondere von der CDU, dem Koalitionspartner der SPD im Bund, erwartet: „Was heute geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber es muss rückgängig gemacht werden. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, jetzt nicht nur die Situation zu beklagen, sondern alles dafür zu tun, dass Herr Kemmerich nicht Ministerpräsident bleibt und die Situation in Thüringen bereinigt werden kann.“ Darüber werde es „sehr zeitnach“ Gespräche im Koalitionsausschuss geben, kündigte Kühnert an. Wie es anschließend weitergehe, solle am Sonntag im SPD-Parteivorstand beraten werden.

„Bodo ans Fenster!“

Auch in Thüringen gab es am Abend spontane Demonstrationen mit insgesamt mehreren tausend Menschen. Vor der Staatskanzlei in Erfurt skandierten die Demonstrant*innen „Bodo ans Fenster“ und bildeten eine Menschenkette um das Gebäude. Auf dem Jenaer Holzmarkt kamen etwa 2.000 Demonstrant*innen zusammen. Auch in anderen Thüringer Städten wie Gera, Weimar, Gotha und Ilmenau kam es zu Spontandemonstrationen.

Darüber hinaus versammelten sich Menschen in zahlreichen weiteren deutschen Städten, etwa in Köln, Düsseldorf, Leipzig, Magdeburg, München, Hamburg oder Kiel, wo etwa 100 Personen demonstrierten, darunter die stellvertetende SPD-Bundesvorsitzende und schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Serpil Midyatli. Sie schrieb auf Facebook: „Auf Schleswig-Holstein ist Verlass. Nachdem FDP und CDU gemeinsam mit der AfD in Thüringen den Ministerpräsidenten gewählt haben, gab es sofort eine spontane Demonstration mit 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Gemeinsam stehen wir gegen Rechts!“

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Kommentare

"Schämt euch"

Ich kann mir diesen Rufen nur anschließen, würde sie aber auch in Richtung unserer Partei richten, die an dieser Situation eine gehörige Mitschuld trägt. KK ("Nikolaus ist GroKo aus") pries noch vor zwei Monaten eine Minderheitsregierung als großartige Alternative zur GroKo. Jetzt ist gleich der erste Versuch gründlich in die Hose gegangen und KK fällt nichts anderes ein als vor Empörung zu schäumen. DIE LINKE und die AfD sind bei der LTW in Thüringen in einer demokratischen Wahl als Sieger hervorgegangen und können mit zusammen 53 % eine stabile Regierung nach griechischem Vorbild bilden. Beide Parteien haben viele Gemeinsamkeiten, wollen den Systemwechsel weg von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einem autoritären Staat und haben einen gemeinsamen Freund: Putin. Wenn unsere Partei sich einem Gesprächsangebot des mit den Stimmen der AfD demokratisch gewählten neuen thüringischen Ministerpräsidenten grundsätzlich verweigert obwohl sich dieser von der AfD distanziert, so sollte sie wenigstens einen Plan haben, wie diese Situation ohne weiteren Schaden für die Demokratie und unsere immer kleiner werdende hilflos wirkende Partei gelöst werden kann.

Gemeinsamkeiten

Herr Frey, dass Sie der Die Linke und der AfD viele Gemeinsamkeiten unterstellen, wundert mich nicht.
Nur - Sie bringen dafür keine objektiven und differenzierenden Belege bei! Es ist eher so, dass Sie es einfach nicht
ertragen, dass die SPD ab dem 11.03.1999 selbst erheblichst mit dafür gesorgt hat, dass sich eine politische Bewegung links von der Schröder-SPD / der Schröder-Blair-Papier-Philosophie bilden wollte und gebildet hat.
Man kann zu der Die Linke stehen wie man will. Ich sehe Rot / Rot / Grün realpolitsch als einzige derzeitige Alternative an, um die dringend erforderliche Sozial-ökologische Transformation -am besten mindestens in einer Wirtschaftsdemokratie- zu bewerkstelligen. Das sind ganz, ganz dicke Bretter, die da noch gebohrt werden müssen.
Aber Sie glauben doch wohl nicht, dass diese Bretter von der CDU/CSU / der FDP und von DENEN, die ich hier nicht nennen will, gebohrt werden!?

Gemeinsamkeiten

Herr Gelhardt, lesen Sie einfach mal die Wahlkampfaussagen bei der LTW 2019 z. B. von den Herren Ramelow und Höcke zum Thema Treuhand. Da können Sie nicht erkennen, von wem welche Aussagen stammen. Beide schöpfen aus dem gleichen Wählerpotential und sind gewiefte Populisten. Zuletzt wurde das für mich bei Ramelow deutlich, als er die Teilnehmer eines Kirchtages mit "liebe Brüder und Schwestern" begrüßte und fassungsloses, lautes Staunen auslöste. Da wurde der Wolf unter dem Schafspelz erkannt. DIE LINKE hat trotz mehrfachem Namenswechsel als Linkspartei, PDS, SED und KPD keinerlei demokratische Tradition. Demokratie und Sozialismus waren immer nur Fassade und Mittel zum Zweck um leichtgläubige, unbedarfte Menschen einzufangen. Zuletzt wurde 1933 in Deutschland leichtfertig geglaubt, man könnte eine Partei ohne jede demokratische Tradition und Referenz in ein demokratisches System integrieren, sie domestizieren und ihr Demokratie beibringen. Der Ausgang dieses Experiments ist bekannt.

Treuhand

Herr Frey, was die Treuhand und deren Abrissbirnenpolitik und Ausverkaufspolitik betrifft, brauche ich weder die Lektüre
von Herrn Ramelow, der inhaltlich-politisch ein seriöser Sozialdemokrat ist, noch von sonst jemandem! Auch und gerade die
Treuhand hat die deutsche Wiedervereinigung als zu sehr großen Teilen 'unfreundliche Übernahme' gestaltet! Das kann
jeder in seriösen Publikationen (auch "bürgerlichen" !) nachlesen. Den Rest Ihrer Argumentation erachte ich als nicht kommentierungsrelevant.

Schämen Sie sich

Herr Frey. Sie sind ein Relikt der Adenauerzeit mit der ganzen Extremismustheorie. Diese haben ja der Herr Möhring und der Herr Kemmerich auch zur Begründung ihres Verhaltens bemüht. Nach dem Motto: Es ging doch um die Abwahl des "bösen, Gottseibeiuns, bolschewistischen" Ramelow. Die wussten genau wer dabei ihre Helfer sind, und ihnen sollte das auch mal klar werden.