Seenotrettung

Rechtsfall Carola Rackete: Warum die Kapitänin mit einer Haftstrafe rechnen muss

Christian Rath02. Juli 2019
Ihr droht eine Haftstrafe: Carola Rackete, Kapitänin des privaten Seenotrettungsschiffs "Sea Watch 3".
Italien behandelt Seenotretter wie die Kapitänin Carola Rackete vom Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ wie Kriminelle. Darüber sprach Christian Rath mit der Kieler Professorin für Völkerrecht Nele Matz-Lück.

Gibt es eine rechtliche Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten?

Ja. Wenn jemand auf See in Lebensgefahr gerät, dann muss geholfen werden. Das ist schon lange völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, es steht aber auch ausdrücklich im UN-Seerechts-Übereinkommen, das 1994 in Kraft trat.

Gilt diese Hilfspflicht auch gegenüber Personen, die sehenden Auges die Schiffbrüchigkeit herbeiführen – etwa indem sie in Libyen in ein untaugliches Boot steigen und dann auf Rettung hoffen?

Natürlich gilt auch dann die Rettungspflicht. In einer Notlage muss geholfen werden, unabhängig davon, wie die Notlage entstanden ist. Polizei und Rotes Kreuz helfen bei einer Notlage an Land ja auch auf jeden Fall und prüfen nicht erst die Vorgeschichte.

Welche Pflicht hat eine Kapitänin, die Schiffbrüchige aufgenommen hat?

Sie muss diese an einen sicheren Ort bringen. Das kann ein Hafen oder ein Schiff sein.

Muss Italien gerettete Migranten aufnehmen, wenn Lampedusa der nächste sichere Hafen ist?

Nein. Es gibt zwar eine Rettungspflicht auf See, aber es gibt keine Aufnahmepflicht der Küstenstaaten. Dies wird zurecht als Konstruktionsfehler des Seerechts kritisiert. Derzeit ist es so, dass sich nach jeder Seenotrettung Staaten freiwillig melden müssen, um die geretteten schiffbrüchigen Migranten aufzunehmen.

Es gibt doch aber das Recht auf einen Nothafen?

Ja, aber dieses Recht ist eng begrenzt. Es gilt nur, wenn das rettende Schiff nun selbst in Seenot ist, zum Beispiel weil es so überladen ist, dass es beim aufkommenden Sturm zu kentern droht.

Italien verstößt also nicht gegen das Völkerrecht, wenn es sich grundsätzlich weigert, Migranten an Land zu lassen, die von privaten Schiffen im Mittelmeer gerettet wurden?

Nein, solange Italien in konkreten Notfällen hilft, kann es frei entscheiden, welche Personen es an Land lässt und welche Schiffe es in seine Häfen einlaufen lässt.

Die Kapitänin der Sea Watch 3, die Deutsche Carola Rackete, argumentierte, dass sich die Lage an Bord zugespitzt hat. Sie befürchtete, dass Verzweifelte sich etwas antun könnten. Ist das keine Notlage?

Das dürfte eine Notlage sein. Die Kapitänin hat hier einen Beurteilungsspielraum, denn sie ist vor Ort und für die Situation an Bord verantwortlich. Daraus folgt aber nicht, dass sie einfach in den Hafen einfahren kann. Italien könnte ja auch eine psychologische Betreuung an Bord organisieren. Die Kapitänin muss also mit einer Sanktion für die eigenmächtige Einfahrt in den Hafen rechnen.

Italien spricht zudem von einer Bestrafung wegen Begünstigung der illegalen Einreise von Migranten.

Nach italienischem Recht muss Rackete wohl auch damit rechnen, obwohl sie keine kommerzielle Schlepperin ist, sondern humanitäre Hilfe leistete.

Verstößt die Bestrafung humanitärer Helfer nicht gegen höherrangiges Recht?

Wohl nicht. Das Völkerrecht verpflichtet die Staaten zwar, Schlepperei zu bestrafen, aber es gibt keine Staatenpflicht, humanitär motivierte Hilfe bei der illegalen Einreise straffrei zu lassen.

Gilt das auch, wenn jemand Flüchtlingen hilft, die anschließend Asyl erhalten?

Ja. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht zwar Straffreiheit für die illegale Einreise der Flüchtlinge selbst vor, aber keine Straffreiheit für ihre Helfer.

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Kommentare

Europäisches Konzept !?

Der Einsatz von Bundesaußenminister Maas gegen die Inhaftierung, Verurteilung der Kapitänin und gegen die Kriminalisierung ihres Einsatzes zur Seenotrettung ist gut und dringend notwendig !
Was aber noch fehlt ist der Druck für eine europäische Lösung in Sachen gesteuerter Aufnahme von Geflüchteten und gemeinsam europäisch organisierter Seenotrettung mit solidarischen Verteilung bei der Aufnahme.
Außer politischem Druck, baucht es auch Angebote insbes. an die strukturschwächeren europäischen Länder. Auch Deutschland ist hier als Hauptprofiteur des europäischen Binnenmarktes in der Pflicht, auch gerade deshalb, weil Länder wie Italien und Griechenland in der Vergangenheit mit der Flüchtlingsaufnahme-Problematik allein gelassen wurden ! Auch in Sachen Bekämpfung der Fluchtursachen wird viel,viel zuwenig unternommen. Das Budget dafür ist aberwitzig gering und mit einseitigen, kaum nachhaltigen Handels- und Wirtschaftsabkommen werden regionale Märkte zerstört ! Die gnadenlosen Auswirkungen des insbesondere von den sog. "entwickelten" Ländern vorangetriebenen Klimanotstandes und durch Waffenexporte angeheizte Kriege tragen ihr Übriges zu den wachsenden Fluchtursachen bei !!!

Seenotrettung ist Ehrensache,

Seenotrettung ist Ehrensache, gesetzlich vorgeschrieben und auch von jedem Seefahrer verinnerlicht.

Das aufnehmende Schiff hat sich im Falle einer geglückten Rettung streng an die Vorgaben der für die Seezone zuständige Landstation zu halten. Dort werden die Entscheidungen getroffen, was weiterhin geschieht (ggfs. Verletzte) und welcher Hafen anzulaufen ist.Von dort wird auch die Rückführung der Geretteten in die Heimatländer koordiniert.

Normal ist es ja auch so, dass jeder Gerettete wieder nach Hause in sein Herkunftsland will. Bei den Geretteten der privaten NGO-Schiffe sieht das anders aus. Die wollen europäisches Festland erreichen. Eine klassische Seenotrettung liegt hier nicht vor, sondern das Erreichen der EU gegen Bezahlung.

Fragt sich nur, was DE/die EU gegen diese Schlepperei via Libyin (die wenigsten sind Libyer) und die unhaltbaren Zustände in den Lagern in Libyen, dem Niger und anderen Lagern/Sammelpunkten unternehmen will.
Was wird mit denen in den Herkunftsländern, die sich die teuren Schlepper nicht leisten können, den Armen, Kranken, Schwachen? Bedürfen die nicht am dringendsten Hilfe? Wo bleibt diese Hilfe? Von unserer Regierung/SPD höre ich da nichts

Mehrere Ebenen der Betrachtung

In Fragen Seenotrettung gibt es gerade was die aktuelle Misere anbelangt sicher mindestens zwei Ebenen auf denen zu argumentieren ist. Die eine ist die juristische Ebene und die andere ist die moralische Ebene, wobei es sicher auch Überschneidungen gibt, gerade in Fragen der Menschenrechte.
Die Sache alleine von der juristischen Seite zu betrachten, wird,weder den tatsächlichen Missständen noch unseren europäischen Werten gerecht. Abschottung vor den Schwächsten der Welt, wird sicher in keinem Fall unserem Wertefundament gerecht. Wenn sich Menschen auf den Weg machen, ihr eigenes Leben dabei in hohen Maße riskieren und hart erarbeitetes Hab und Gut opfern um sich und ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen, so tun sie das nicht leichtfertig ohne Grund, sondern aus einem Gefühl der Bedrohung. Jetzt die Retter auf dem offenen Meer zu kriminalisieren, wo die hochgelobte europäische Solidarität total versagt, ist mehr als hanebüchen, es ist die Sprache derer die unsere Demokratie durch gelebte Empathielosigkeit und einem Streben nach maximalen Eigennutz bedrohen !
Es macht die Sache auch nicht besser dabei die Flüchtenden moralisierend gegeneinander auszuspielen.

Wenn die Moral die Welt

Wenn die Moral die Welt regieren will, jeder hat da bekanntlich andere Vorstellungen, dann bricht aber das totale Chaos aus. Um ein Zusammenleben auf dieser Erde möglich zu machen, müssen schon die Gesetze und Verordnungen der einzelnen Staaten bzw. Übereinkünfte geachtet, beachtet und respektiert werden.
Was die Schlepperei im Mittelmeer anbelangt, ist doch nicht zu verheimlichen, dass ohne deren zutun die s.g. Rettungsschiffe keine Menschen aufnehmen könnten. Nach meiner Überzeugung ist es aufgrund des damit zusammen hängenden Elends und der Toten zwingend erforderlich, dass dieser ganzen Schlepperei ein Ende bereitet wird und Migration, sofern sinnvoll (was erwartet denn die Migranten, die in den Herkunftsländern womöglich dringend gebraucht werden, in unserem Lande???) in geordnete sichere Bahnen gelenkt wird. Es ist keine Ruhmesblatt, zuzulassen, dass Menschen in Nussschalen auf dem offenen Meer ausgesetzt werden, wenn sie Glück haben aufgefischt werden und wenn sie Pech haben, ertrinken. Insofern sind die NGO's als auch die, die diesen Menschenhandel forcieren (Asylindustrie) am Elend und am Tod vieler Menschen nicht unschuldig.

NGO´s und Gerichte machen den Job !!!

NGO´s sind doch pausenlos unterwegs weil unsere gewählten Politikvertreter sich gefühlt einen "Dreck" drum scheren was sich auf dem afrikanischen Kontinent und im Mittelmeer abspielt. Fluchtursachen bekämpfen wir doch nicht dadurch, dass wir die Menschen ertrinken lassen, sehenden Auges in den übelsten Lagern der Willkür von Sadisten überlassen oder zuschauen wie sie auf ihrem Weg der Entbehrungen noch ermordet werden. In der momentanen Situation wo die EU samt ihren Werten nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, sehe ich keine bessere Lösung als dass NGO´s und Gerichte den Job machen den eigentlich eine Staatengemeinschaft machen müsste. Aber in der EU pokert man trotz bereits erfolgter Wahl lieber um nationale Machteinflüsse zum maximalen Eigennutz ! Ähnlich wie beim aktuellen Urteil bezüglich der "Deutschen Umwelthilfe (Recht auf körperliche Unversehrtheit) werden wohl verstärkt Gerichte ranmüssen um die Einhaltung der Menschenrechte zumindest auf dem europäischen Kontinent zu gewährleisten !
Ein Grund mehr die personell viel zu dünne personelle Decke der Justiz in Deutschland und Europa zu stärken !!!

Die EU/DE hat keine Moral und

Die EU/DE hat keine Moral und Werte. Das der Staat Libyen platt gemacht wurde und das Chaos dort erst möglich wurde, tragen europäischen Staaten mit die Hauptschuld. Der Flüchtlingsdeal (Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan) mit dem Despoten Erdogan , wo sich die EU/DE quasi freigekauft hat, trägt deutlich die Handschrift aus Berlin. An den Kriegen und Syrien u. Afghanistan sowie den Sanktionen gegen die Bevölkerung trägt die EU/De deutlich bei. Ebenso wurde die libysche Küstenwache (eine äußerst subspekte Einrichtung) mit Mitteln der EU installiert. Die EU-Außengrenze, was Fluchtwillige anbetrifft, wurde quasi gegen Bezahlung an die libysche Küste verlegt. Soviel zur Moral und die Werte unserer Staatsvertreter und der EU.
Wenn jetzt NGO's teilweise die Regierunggeschäfte nach eigenem Gutdünken übernehmen wollen, ist der Untergang unseres Systems nicht mehr weit.

Migrationspolitik

Keine Frage, Frau Rackete mus freikommen, samt Besatzung und samt Schiff ! ABER:Jaja, der erhobene Zeigefinger gegen Italien (ich mag den Salvini ja auch nicht) ...... aber alles nach den "Migrationsgesetzen" von Anfang Juni, denen die SPD Fraktion zugestimmt hat!???! Das "Erfolgsrezept" der dänischen SP ? Da habe ich hier im vorwärts genug gelesen. Was wird unternommen um den Menschen vor Ort zu helfen ? Da baldowert die EU ein Handelsgesetz mit Mercosur aus, zugunsten der Kapitalverwerter und Menschenrechtsverachter; woher glaubt ihr denn kommt derAnlaß zu Migration ? Agrarindustrielle Soja-, Zucker- und Rinderbarone nehmen in diesen Ländern den Menschen die Existengrundlagen weg. Und ganz nebenbei: ohne Importfuttermittel wären hier in diesem Lande die Probleme mit Massentierhaltung, Gülle und Nitrat im Trinkwasser auch geringer.

Der erhobene Zeigefinger auf

Der erhobene Zeigefinger auf die Italiener kam aber seitens der dt. Politikersönlichkeiten aber erst, nachdem das Schiff unerlaubt in den Hafen v. Lampedusa eingefahren war. Während der mehr als zweiwöchigen Umkreisung der Insel war sowohl die dt. Regierung als auch die EU auf Tauchstation. Soweit mir bekannt ist, hat die Sea Watch 3 nur bis Anfang Aug.d.J. das Recht, die niederl. Flagge zu führen (Übergangsregelung aufgrund neuer niederl. Gesetze). Ich frage mich, ob denn auch unsere niederl. Nachbarn ins Visier deutscher Politiker genommen werden..

Ein erstaunlich sachlicher

Ein erstaunlich sachlicher Beitrag, der die Fakten gut auf den Punkt bringt. Aber daran sind die Medien heute leider nicht interessiert. Zu ergänzen wäre vielleicht noch die Frage, was Sea Watch mit seiner erneuten Provokation eigentlich erreichen will? Wahrscheinlich geht es auch um Publicity und um die Einwerbung von Spendengeldern.

die Kommentierung

juristischer Fragestellungen bei noch laufenden Ermittlungen ist /war einmal mehr unglücklich, denn nur Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikel war sie (wenn auch für die meisten überraschend) auf freiem Fuß .

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.

Besser also, den Ausgang des Verfahrens abwarten, und dann daraus die Schlüsse ziehen- alle Spekulationen gehören an den Stammtisch
es

es fehlt eine europäische Lösung für Verfolgte und Migranten

Politisch Verfolgte genießen gem. GG Art. 16a Asylrecht. Menschen, die aufgrund schwieriger Lebensverhältnisse ihr Land verlassen um in Europa ein menschenwürdiges Leben zu leben, fallen nicht unter diese Recht und müssen in der Regel abgewiesen werden. Es ist schlicht nicht möglich, alle Menschen dieser Welt, die in miserablen Verhältnissen leben, in Europa aufzunehmen, ihnen die Sprache beizubringen, sie auszubilden, ihnen Arbeit und Wohnung zu verschaffen. Die Unterscheidung von Asylberechtigten und Migranten haben die politisch Verantwortlichen in Europa bisher nicht gelöst weil der politische Wille und der Mut zu notwendigen Regelungen fehlt. Flankiert werden müssen klare Regelungen durch ein verstärktes Engagement - in letzter Instanz auch mit militärischen Mitteln - durch wirksamen Druck auf Staaten mit korrupten und unfähigen Regierungen, die Auslöser von Migration sind. Frau Rackete ist eine mutige Frau, ihr Einsatz verstärkt aber leider eher das Problem und hält es bestenfalls in den Nachrichten.

Werteverlust ! Entsolidarisierung ! Armes reiches Europa !!!

Genausowenig wie es möglich ist alle sogenannten "Armutsflüchtlinge" in Europa aufzunehmen,wird es möglich sein durch sogenannte "sichere Grenzen" diese v. Wohlstandseuropa abzuhalten, es sei denn wir werfen uns. Rest an gelebten Werten über Bord und bombardieren die Geflüchteten so wie es gerade von anderer Seite in Lybien passiert !
Zur Wahrheit gehört auch, dass Europa derzeit nur einen winzigen Bruchteil d. weltweiten Flüchtlingsströmungen zu bewältigen hat und dass dies, anges. der verhältnissmässig niedrigen Zahlen eigentlich gar kein Problem für dieses Wohlstandseuropa darstellen sollte, wenn diese Frage solidarisch und gerecht innerhalb Europas bewätigt werden würde. Da aber angefangen von Deutschland (Bsp. Exportüberschuss, Investitionsdefizit etc) bis zu den rechtslastigen Süd- u. Osteuropäern nationale Egoismen bevorzugt werden, sterben nicht nur weiterhin tausende Menschen vor und im MIttelmeer, sondern wird diese Haltung auch zur größten Fluchtursache, weil ein entsolidarisiertes Europa weder wirksam für Frieden noch für sozial gerechten und ökologisch nachhaltige Wirtschaft eintreten kann. A. die Frage zunehm. Klimaflucht wird ein entsol Europa nicht bewältigen !