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Rassismus bei Polizeikontrolle: Wenn die Hautfarbe verdächtig ist

Benedikt Dittrich12. November 2020
„Racial Profiling“ ist verboten, trotzdem kritisieren Menschen mit anderer Hautfarbe als weiß, dass sie häufiger und rabiater von der Polizei kontrolliert werden. Forscher*innen haben diesen Verdacht nun bestärkt – stehen aber noch am Anfang der Untersuchungen.

Professor Tobias Singelnstein muss am Mittwoch bei einigen Fragen passen: „Dazu können wir nichts sagen“ oder „das wissen wir nicht“ muss er an einigen Stellen sagen. Es gibt nur wenige Daten dazu, ob, warum oder wie sich diskriminierendes, rassistisches Verhalten von Polizist*innen äußert. Insofern sind seine Antworten ein Hinweis auf das, was er sowie Jurist Blaise Francis El Mourabit und Soziologin Astrid Jacobsen immer wieder beanstanden: Es muss weitere Studien geben, die Verhalten, Strukturen und Denkmuster innerhalb der Polizei untersuchen, um bessere Antworten geben zu können.

Der Kriminologe Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum hat mit einem Forscherteam Menschen befragt, die von Polizeigewalt betroffen waren. Erfasst hatte das Team die Daten schon seit Ende 2018, nun wurden die Daten danach ausgewertet, ob „People of Color“ (PoC), also Menschen mit einer anderen Hautfarbe als weiß, anders von Polizeigewalt betroffen sind. Gleichzeitig wurden Berater*innen von Betroffenen interviewt, wie diese Gewalt beurteilt wird und inwiefern das Verhalten der Polizei auf rassistisches Verhalten zurückgeführt werden kann. Es geht also überwiegend um die Perspektive der Opfer.

Ethnische Merkmale als Grund für Kontrollen

Dabei kommt das Team um Singelnstein zu der Erkenntnis, dass PoC häufiger von verdachtsunabhängigen Kontrollen betroffen sind als „typisch“ deutschaussehende Deutsche. Außerdem nehmen sie die Polizei anders wahr und haben das Gefühl, dass bei diesen anlasslosen Kontrollen ihre äußeren Merkmale eine größere Rolle spielen. Ein Hinweis auf „racial Profiling“, also der Unterscheidung bei Kontrollen nach ethnischen Unterschieden. Dies ist offiziell verboten, weil es als rassistisch gilt.

Solche verdachtsunabhängigen Kontrollen, so formuliert es Singelnstein, seien „anfälliger für racial Profiling“, da die Auswahl nicht nach klaren Verdachtsmomenten erfolgt. Doch Betroffene haben das Gefühl, dass das dazu führt, dass sie häufiger und intensiver kontrolliert werden. Das sollte Anlass genug sein, dieses Verhalten genauer zu untersuchen, appelliert der Jurist Blaise Francis El Mourabit. Er ist nach eigenen Angaben aufgrund seiner Hautfarbe ebenso betroffen. „Wenn ich am Bahnhof in Düsseldorf nicht meine Berufskleidung trage“, so der in Deutschland geborene Anwalt mit schwarzer Hautfarbe, dann werde er eindeutig regelmäßiger kontrolliert.

Das fange schon bei der Art und Weise an, wie Polizist*innen ihn kontrollieren würden. Er werde regelmäßig geduzt. „Ich kann aber erwarten, dass ich von Beamt*innen gesiezt werde, das ist auch eine Form von Respekt“, meint er. Schließlich sei er auch bereits Mitte 30. Hinzu kämen pampige Antworten auf Nachfrage, warum man kontrolliert werde sowie autoritäres Auftreten der Polizei bis hin zu Unterstellungen, dass man als Schwarzer grundsätzlich Betäubungsmittel dabeihabe. Wäre die Kommunikation höflicher, würden manche Situationen gar nicht erst eskalieren, also in Gewalt ausarten, ist sich El Mourabit sicher. Er vertritt und berät als Jurist Betroffene von Polizeigewalt.

Opfer-Anwalt kritisiert Polizei und Politik

Wenn in der Politik dabei weiterhin von „Einzelfällen“ gesprochen werde, fühle man sich als Betroffener im Stich gelassen, so El Mourabit, „und man hat das Gefühl, dass die Politik die Augen verschließt vor dem Problem.“ Er fordert unter anderem unabhängige Behörden, die solchen Vorfällen nachgehen, eine bundesweite Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen sowie den Einsatz von Bodycams, sobald in Grundrechte eingegriffen werde. Zu viele Vorfälle würden nicht angezeigt aus Angst vor Gegenanzeigen durch die Polizei, bei zu vielen Vorfällen würde aus Mangel an Beweisen das Verfahren eingestellt.

Wie vielschichtig das Problem ist, zeigen die Erklärungsansätze von Singelnstein: Grundlage könnten neben bewussten rassistischen Motiven auch unbewusste Handlungsweisen sein. Außerdem Erfahrungswissen aus dem Polizeialltag, das rassistische Vorurteile bekräftige sowie ein fehlendes Problembewusstsein in den Behörden, das positive Verhaltensänderungen behindere. Eine allgemeingültige Antwort haben weder Singelnstein noch die Soziologin Astrid Jacobsen, die zu dem Thema auch an der Polizeiakademie in Niedersachsen forscht. Sie betont ebenso die mangelhafte Datengrundlage für solche Schlussfolgerungen. „Aber vielleicht kann man so beantworten, was wir bräuchten“, sagt sie: In den Blick nehmen müsse man, inwiefern Strukturen innerhalb der Polizei rassistische Handlungsweisen ermöglichen oder gar befördern, welche Rolle Denkmuster der Polizist*innen spielen – und wie der Alltag der Polizist*innen ihr Handeln prägt.

Kritik an Rassismus-Studie von Seehofer

Große Hoffnungen auf die bundesweite Rassismusstudie, die Bundesinnenminister Horst Seehofer nach erheblichen Druck von SPD und Gewerkschaften angekündigt hatte, haben indes alle drei nicht: Die Studie sei noch zu unbestimmt, so Jacobsen und lenkte im selben Atemzug die Aufmerksamkeit auf geplante Studien SPD-geführter Bundesländer, die in der Vorbereitung bereits weiter seien. Auch sie selbst sei an einer solchen Studie in Niedersachsen beteiligt.

Singelnstein kritisierte deutlicher, dass bereits jetzt die Perspektive verengt werde, indem man sich auf die Alltagserfahrungen der Polizei beschränke. El Mourabit kritisierte außerdem die Vermengung mit der Untersuchung rassistischer Strukturen in der Gesellschaft. „Ein rassistischer Polizist auf der Straße ist für Betroffene wesentlich schlimmer als ein rassistischer Bürger auf der Straße“, so der Anwalt, „sie haben weitreichendere Befugnisse, üben Staatsgewalt aus.“

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Kommentare

die Hautfarbe

kann verdächtig sein?
Vielleicht, bei der Diagnostik von Hauterkrankungen, aber doch nicht in diesem Kontext.
Titelt doch mal sorgfältiger, bitte

Verhältnismäßigkeit

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Rassismus bei Polizeikontrolle

Leider hat sich dieser Verdacht, dass Farbige häufiger und intensiver kontrolliert werden, zunehmend durch viele Beispiele erhärtet.

Der Vorwärts sollte diese Problematik nicht nur intern behandeln, was natürlich positiv ist, sondern auch an die Sicherheits- und Innenpolitiker der SPD weiterleiten.

Hautfarbe

Es ist ja nicht nur so, daß "die Polizei" Menschen wegen ihrer Hautfarbe massiv kontrolliert.
Auch wenn die offizielle Politik die "Coronaleuigner" jetzt als die Schlimmsten anprangert, gibt es doch immer wieder Meldungen, daß "die Polizei" massiv gegen Gegendemonstranten (mit Maske und Abstand) vorgeht.
Es gibt bei den Sicherheitsbehörden in diesem Lande Traditionslinien, die bis zu Kaisers Zeiten zurückreichen, und gerade Sozialdemokraten konnten damals "ein Lied davon singen". Zu diesen Traditionslinen gehört auch Rassismus, aber der gesammte Komplex muss aufgearbeitet werden um endlich zu Sicherheitsbehörden zu kommen, wie sie zu einem DEMOKRATISCHEN Staat gehören.
Nebenbei: auch der Pariser PolPräs, der die Morde an Algeriern im Okt. 1961 zu verantworten hatte war Nazi-Kollaborateur und blieb bis in die 1980er Jahre in Amt und Würden.