Buchrezension

Wie perfide Europas Rechtspopulisten die Geschichte instrumentalisieren

Renate Faerber-Husemann28. Juli 2020
Protest gegen Geschichtslügen der AfD: Demonstrantin am 8. Mai 2020 in Potsdam
Protest gegen Geschichtslügen von Alexander Gauland, Chef der AfD-Bundestagsfraktion: Demonstrantin am 8. Mai 2020 in Potsdam, dem Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, den die AfD als Tag der Niederlage versteht.
Egal ob Deutschland, Italien oder Ungarn: Europas Rechtspopulisten verklären die Vergangenheit als goldenes Gestern, um gegen die Gegenwart zu hetzen. Das belegt das neue Buch „Schleichend an die Macht“ eindrucksvoll.

Es ist nur ein kleines Taschenbuch, 140 Seiten, aber die haben es in sich. „Schleichend an die Macht“ haben die Herausgeber Andreas Audretsch und Claudia C. Gatzka  ihren genauen Blick auf einige europäische Länder und die Neue Rechte genannt. Die Autoren haben  besonders auf Deutschland, Italien und Ungarn geschaut. Der Trick der Rechten ähnelt sich in diesen (und anderen) Ländern: „Für die Attraktivität und damit den Erfolg der rechtspopulistischen Zukunftsvision ist es entscheidend, die Vergangenheit als goldenes Gestern zu präsentieren.“

Gauland: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“

Die Rechten nicht nur in Europa haben stets mit schöner Offenheit über ihre Ziele gesprochen. So drohte  Alexander Gauland von der AfD nach der Bundestagswahl 2017: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Buchrenzension: Schleichend an die Macht
Buchrenzension: Schleichend an die Macht

Die neue Deistigkeit der Parteien am rechten Rand ist kein deutsches Phänomen, daran erinnern die Autoren Paul Jürgensen und Hedwig Richter: „Ähnlich wie die Parolen 'Make America Great Again' in den USA oder 'Take Back Control!' in den USA und in Großbritannien zeichnet Gaulands Aussage eine Zukunftsvision, in der sich eine romantisch verklärte Vergangenheit erfüllen soll.“

Das ständige Trommeln der Rechten hat Wirkung

Typisch für Rechtspopulisten – nicht nur in Deutschland – ist das Schüren von Ängsten gegenüber jeder Form von multikulturellen Einstellungen. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn ein Frauenbild von vorgestern beschworen wird. Die französische Rechte  Marine Le Pen etwa erklärte nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016, „dass die Flüchtlingskrise den Anfang vom Ende der Frauenrechte bedeutet.“

Man könnte mit einem Achselzucken darüber hinweggehen, nach dem Motto: Spinner gibt es immer und überall. Doch das ständige Trommeln der Rechten – und die mediale Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird – hat Folgen. All jene, die sich schwer tun mit einer komplizierten Gegenwart, mit all den Umbrüchen und Unsicherheiten, finden bei den Rechten eine Stimme, die sie in ihrem Unbehagen bestärkt. Sie glauben ihren Verführern, dass früher alles besser war und dass sich dieses „früher“ zurückholen lässt.  Die Autoren schreiben: „In Deutschland beschwört die AfD über 1000 Jahre glorreichen Deutschtums. In Italien inszeniert sich Matteo Salvini in der Tradition itelienischer Freiheitskämpfer. In Ungarn will Viktor Orban sein Land zu 'historischer Größe' zurückführen.“

Auch in der Corona-Krise soll Nationalismus die Lösung sein

Selbst die weltweite Corona-Krise wird genutzt, ein neuer oder vielmehr alter Nationalismus soll wieder eimal die Lösung sein. Welches Unglück genau dieser Nationalismus über Europa gebracht hat, wird natürlich ignoriert. Für Alexander Gauland und seine Gesinnungsgenossen waren die Nazis beispielsweise „nur  ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“

Die Autoren zitieren den Historiker Fritz Stern, der über diese Revolutionäre von rechts geschrieben hat: „Ihre Anhänger wollten die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginierten Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden.“

Man ahnt nach der Lektüre dieses Buches, wie groß die Sehnsucht nach vermeintlich einfacheren Zeiten mit klaren Regeln noch werden könnte, wenn die Zeiten einmal schwieriger werden. Das ist ja stets das Rezept der Rechten gewesen: Die Vergangenheit wird verklärt, in der Gegenwart schürt man den Unmut all der Menschen, die sich vor Veränderungen ängstigen. Ein durch und durch lesenswertes Buch, das ganz ohne marktschreierische Töne auskommt!

„Schleichend an die Macht“, herausgegeben von Andreas Audretsch und Claudia Gatzke, Verlag J.H.W. Dietz, 140 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8012-0582-9

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Kommentare

OPA

als Schimpfwort plakatiert? Das liegt ja wohl im Trend, aber beider Altersstruktur unserer Partei ist so ein Bild im VORWÄRTS - jedenfalls außerhalb der Redaktion- pures Gift. Als ob es nicht andere Möglichkeiten gäbe, Gauland verächtlich zu machen. Euch ist nicht zu helfen, es hat alles keinen Zweck mehr mit der guten alten SPD. Dann müssen wir halt zu den Linken wechseln, gut dass es eine Alternative gibt.

Opa ist kein Schimpfwort

Es ist auch nicht als solches gemeint gewesen. Es ging vielmehr darum, den Protest gegen Gauland und die AfD zu illustrieren, vor dem Hintergrund des rechtspopulistischen Geschichtsrevisionismus. Gauland nimmt hier eine besonders prominente Rolle ein. Der Begriff Opa wird hier nicht verstanden als Aussage über einen Senior oder einen Großvater, sondern als Kritik an einem Ewiggestrigen. Keinesfalls war eine Altersdiskriminierung beabsichtigt. Die Redaktion

ja, das sah ich

kommen, solche Erklärungen sind wohlfeil, und liegen mir noch aus anderen Gelegenheiten in den Ohren. Die Frage ist doch, warum nicht vorher irgendjemand zu finden ist, der sich über die Interpretationsfähigkeit einer Veröffentlichung Gedanken macht. Oder gibt es jemanden, und nur die Umstände lassen es nicht zu, in der Redaktion kontroverse Dinge vorzutragen und zu vertreten? Das Eine wäre so schlimm wie das Andere

VORWÄRTS geht offensichtlich

VORWÄRTS geht offensichtlich RÜCKWÄRTS. Sollte sich schämen!