Kommunalwahlen in Italien

Was die kommunalen Erdrutschsiege der Linken für Italien bedeuten

Michael Braun05. Oktober 2021
PD-Chef Enrico Letta am 4.10.2021 vor der Presse: Die Wahlsiege der Mitte-Links-Allianz stärken den Parteivorsitzenden und erhöhen die Chancen, den befürchteten Durchmarsch der Rechtspopulisten bei der nächsten Parlamentswahl in Italien aufzuhalten.
PD-Chef Enrico Letta am 4.10.2021 vor der Presse: Die Wahlsiege der Mitte-Links-Allianz stärken den Parteivorsitzenden und erhöhen die Chancen, den befürchteten Durchmarsch der Rechtspopulisten bei der nächsten Parlamentswahl in Italien aufzuhalten.
Der Sieg der Mitte-Links-Allianz bei den Kommunalwahlen hat Folgen für die italienische Politik: Das Bündnis der Demokratischen Partei (PD) mit der 5-Sterne-Bewegung ist gestärkt. PD-Chef Enrico Letta spricht von einem historischen Sieg.

Besser hätte es für die Partito Democratico und ihren Chef Enrico Letta nicht laufen können. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag und Montag übertrafen die Resultate vorneweg in Mailand, Bologna und Neapel auch die rosigsten Erwartungen der Mitte-Links-Allianz unter Führung der PD.

Zur Wahl aufgerufen waren gut 12 Millionen Bürger*innen in etwa 1.200 der gut 8.000 Kommunen Italiens. Hohe Bedeutung erhielt dieser erste Urnengang seit Ausbruch der Coronapandemie im Februar 2020 zusätzlich dadurch, dass mit Rom, Mailand, Neapel und Turin die vier größten Städte des Landes abstimmten, ebenso das symbolisch wichtige Bologna.

Große PD-Siege in Mailand, Neapel und Bologna

Am Montagabend war klar: Die PD darf sich über gleich mehrere Erdrutschsiege freuen. In Mailand erreichte der bisherige Bürgermeister Beppe Sala fast 58 Prozent, in Bologna kann Matteo Lepore über 62 Prozent freuen, in Neapel der frühere Universitätsrektor Gaetano Manfredi gar über 63 Prozent. Sowohl in Bologna als auch in Neapel prämiierten die Wähler*innen damit ein „erweitertes“ Mitte-Links-Bündnis, in dem sich die PD nicht nur mit ihren bisherigen kleinen Allianzpartnern, sondern erstmals auch mit dem Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Giuseppe Conte zusammengeschlossen hatte. In den drei Städten ist die Wahl schon im ersten Wahlgang entschieden.

Gut lief es auch in Rom und in Turin. In Turin erreichte der Mitte-Links-Kandidat mit fast 44 Prozent einen überraschenden Vorsprung vor seinem Gegner von der Rechten und geht nun mit besten Chancen in den zweiten Wahlgang in zwei Wochen. Und in Rom liegt Roberto Gualtieri, der frühere Finanzminister von der PD, mit 27 Prozent zwar hinter dem Rechtskandidaten, der auf 30 Prozent kam, hat aber bei der Stichwahl beste Chancen, die Wähler*innen der Fünf Sterne und eines unabhängigen Mitte-Kandidaten zum Großteil auf seine Seite zu ziehen.

Gute Chancen für 2. Runde in Rom und Turin

Rom und Turin sind nicht zuletzt deshalb interessant, weil hier die Fünf Sterne im Jahr 2016 wahre Triumphe feiern konnten. In Rom wurde damals Virginia Raggi zur Bürgermeisterin gewählt, mit 35 Prozent in der ersten Runde und 67 Prozent in der Stichwahl, und in Turin konnte sich 2016 Chiara Appendino durchsetzen. Doch in keiner der beiden Metropolen gelang es den Fünf Sternen, wirklich Wurzeln zu schlagen. Raggi trat nun zwar wieder an, landete mit 19 Prozent aber nur auf dem vierten Platz. Die Römer*innen straften sie dafür ab, dass sie weder die chronischen Müllprobleme der Stadt in den Griff bekommen hatte, noch sich in der Lage gezeigt hatte, den miserabel funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr auf Vordermann zu bringen. In Turin war das Resultat noch mieser: Appendino trat nicht wieder an, ihre Nachfolgerin als Kandidatin landete bei demütigenden 9 Prozent.

Damit ist klar: Die Fünf Sterne haben eine Zukunft nur an der Seite der PD. Auf diese Perspektive setzt auch Giuseppe Conte, der frühere Ministerpräsident, der vor wenigen Wochen die Führung des M5S übernahm. Als unabhängiger „dritter Pol“ dagegen wäre das M5S dem sicheren Untergang geweiht.

PD-Chef Enrico Letta ist gestärkt

Schon dies verbessert die Ausgangsposition von Enrico Letta und der PD. Der Parteivorsitzende ist zusätzlich dadurch gestärkt, dass er am Sonntag und Montag in einer Nachwahl für das Abgeordnetenhaus  den Sitz von Siena mit überzeugenden 50 Prozent erobern konnte.

Aber ist das Wahlergebnis damit schon „historisch“, wie Letta voller Euphorie am Montagabend verkündete? Gewiss, die Rechte ist geschwächt, und Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega, versuchte gar nicht erst, das Ergebnis zu beschönigen, sprach stattdessen von einer „schweren Niederlage“.

Bruderkampf bei den Rechtspopulisten

Gerade seine Lega, die erst er selbst von einer Partei, die bloß die Interessen des reichen Nordens vertrat, zu einer nationalpopulistischen Kraft („Italiener zuerst!“) umbaute und damit bis auf 35 Prozent bei den EP-Wahlen 2019 hochzog, musste jetzt vorneweg im Süden wieder herbe Verluste einstecken. Aber auch im Norden wird ihm die Konkurrenz der zweiten strammen populistischen Partei, der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni, immer gefährlicher: In Mailand etwa liegen beide Listen jetzt gleichauf.

Gerade die Rivalität beider Parteien hatte den Wahlkampf der Rechten belastet. Sie führte dank gegenseitiger Vetos zum Beispiel zur Auswahl schwacher Kandidaten sowohl in Rom als auch in Mailand. Es wäre jedoch voreilig, daraus Schlüsse für die nationale Politik und die spätestens im Februar 2023 anstehenden Parlamentswahlen zu ziehen. Denn die Anhänger*innen der Rechten sind diesmal vorneweg ins Lager der Nichtwähler abgewandert, wären aber auf nationaler Ebene wieder zu mobilisieren.

Rechte bleiben national stärkste Kraft

Und hier zeigt sich: Seit nunmehr gut zwei Jahren ist das Gewicht der Rechten unverändert, die harten Populisten liegen bei etwa 40 Prozent, gegenwärtig zur Hälfte bei der Lega, zur andern Hälfte bei FdI – und was die Lega seit 2019 eingebüßt hatte, kam FdI unter Meloni zugute.

FdI profitiert zur Zeit vorneweg davon, dass sie als einzige relevante Kraft in Opposition zur Fast-Allparteienregierung unter Mario Draghi steht, die auch von der Lega gestützt wird. Dennoch bleibt es unwahrscheinlich, dass Salvini jetzt die Unterstützung Draghis aufgibt und seinerseits den Schritt in die Opposition tut – zu groß wären die Widerstände in den eigenen Reihen.

40 Prozent für Europaskeptiker

Festzuhalten bleibt aber auch, dass die Regierung Draghi mit ihrem dezidiert proeuropäischen Kurs, der weit näher an den Positionen der PD als an denen der Lega liegt, trotz der enorm hohen persönlichen Popularität des Ministerpräsidenten die Wahlpräferenzen der Italiener*innen kaum verschoben hat: Rund 40 Prozent würden ihre Stimme weiterhin den tief europaskeptischen Parteien Lega und FdI geben; das gesamte Mitte-Rechts-Lager liegt bei 50 Prozent und bleibt damit Favorit bei nationalen Parlamentswahlen.

Ob der Wahlsieg der PD und ihrer Alliierten vom Sonntag und Montag „historisch“ war, ob mit ihm eine weiterreichende Wende eingeleitet wurde, muss sich deshalb erst noch zeigen. Sicher ist aber, dass sich die Ausgangsbedingungen für Enrico Letta verbessert haben. Er konnte nicht nur seine Position als Parteichef konsolidieren, er kann jetzt auch die Schaffung einer breiten Allianz unter Einschluss der Fünf Sterne noch entschlossener verfolgen. Nur sie wäre in der Lage, den Durchmarsch der Rechten aufzuhalten.

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Kommentare

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Dürftige Infos überall

Ich bin auf der Suche nach genaueren Daten zur Kommunalwahl bei deutschen Zeitungen nicht fündig geworden. 1200 Kommunen, Wahl in Kalabrien, aber man liest nur von den Ergebnissen in den Großstädten. So kann ich mir wirklich kein Bild machen. Schade, dass beim Vorwärts da nicht doch ausführlicher berichtet wird als beim Standardtext von der DPA.