
Die Parteienlandschaft in Deutschland wird immer unübersichtlicher. In manchen Landtagen sind inzwischen sechs verschiedene Fraktionen vertreten. Noch diffuser wird es bei den Grünen. Denn die gibt es gleich zweimal, im Bund seit 16 Jahren in der Opposition, in den Ländern in Regierungsverantwortung. Und während die Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die schönsten Luftschlösser bauen, von denen Ludwig II. nur hätte träumen können, sieht die Realität vor allem dort, wo die Grünen gemeinsam mit der Union regieren, deutlich ernüchternder aus.
125.000 Menschen für die Freigabe, die Grünen dagegen
Beispiel Hessen: Dort plakatierte die CDU einst im Wahlkampf noch „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen!“ Inzwischen regiert eben jener Tarek Al-Wazir seit nunmehr sieben Jahren geräuschlos an der Seite von Ministerpräsident Volker Bouffier. Eben jener Bouffier, der einst als hessischer Innenminister die Vernehmung von V-Leuten im Zusammenhang mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel verhinderte.
Fast schon folgerichtig also, dass Bouffier und seine mitregierenden Grünen im Petitionsausschuss des hessischend Landtages am späten Mittwochabend gegen die Freigabe der NSU-Akten stimmten. Rund 125.000 Menschen hatten sich in einer Petition dafür ausgesprochen. Sie gilt damit als die größte in der Geschichte des Bundeslandes. Den Grünen, die sich bundesweit im Kampf gegen Rechts stark machen und den Schulterschluss mit sozialen Bewegungen suchen, ist das in Hessen egal. Die NSU-Akten werden somit wohl erst im Jahr 2044 zugänglich.
„Baerbock duckt sich weg und schwurbelt rum“
Bundesweit versuchen sich die Grünen immer wieder als führende Klimapartei zu profilieren, treten beispielsweise für mehr Radwege und eine Beschränkung von Autobahnen ein. In Hessen sieht das anders aus. Dort hat wiederum Wirtschafts- und Verkehrsminister Al-Wazir den Weiterbau der A49 in Mittelhessen forciert, gegen den Widerstand von Klimaschützer*innen und verbunden mit der dafür notwendigen Rodung des Dannenröder Forstes.
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, wenn ich erst mal in Regierungsverantwortung bin? So könnte man das Handeln der hessischen Grünen wohl zusammenfassen. Zurecht kritisiert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil daher auch die Grünen-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die zu den Vorgängen in Hessen auffällig laut schweigt: „Anstatt dass Annalena Baerbock eine klare Linie durchsetzt, duckt sie sich weg und schwurbelt rum.“
Baden-Württemberg hinkt bei Windenergie hinterher
Dass das hessische Beispiel kein Einzelfall ist, sondern einem System folgt, zeigt der Blick in den Südwesten der Republik, wo der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann regiert. Dessen Rechtfertigung für seine spritfressende Dienstlimousine („Ich kann doch nicht mit einem Fiat fahren“) ist bereits legendär. Kein Ruhmesblatt ist auch Kretschmanns Engagement beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. In Bezug auf die Windkraft verfehlte die grün geführte Landesregierung ihre selbst gesteckten Ziele deutlich und landet im Ranking der Bundesländer nur auf Platz 14.
Als Pionierland in Bezug auf Windenergie gilt landläufig dagegen Schleswig-Holstein. Doch unter dem heutigen Bundesvorsitzenden und damaligen Umweltminister Robert Habeck planten die Grünen 2018 ein Anlandeterminal für klimaschädliches Fracking-Gas aus den USA im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel.
Was für eine Partei sollen die Grünen sein?
Im Jahr 2005, als die Grünen zum bislang letzten Mal bundesweit regierten, lief in der ARD einmal wöchentlich die Kuppel-Sendung „Herzblatt“. Im Stil dieser Show stellt sich nun die Frage: „Liebe Annalena, du musst dich nun entscheiden. Möchtest du Kanzlerkandidatin einer progressiven, zukunftsgerichteten und klimafreundlichen Partei sein? Oder möchtest du bloß das bestmögliche Wahlergebnis erreichen, um dich anschließend in Regierungsverantwortung nicht mehr an Wahlversprechen zu erinnern?“ Denn aktuell sind die Grünen eine Partei mit zwei Gesichtern.