Corona-Krise

Georg Maier: „Eine Normalität wie vor Corona wird es so schnell nicht geben.“

Kai Doering15. April 2020
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz: Thüringens Innenminister Georg Maier.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz: Thüringens Innenminister Georg Maier.
Am Mittwoch beraten Bundeskanzlerin und Ministerpräsident*innen, ob die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten werden. Aus Sicht der Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Georg Maier, „kommt nur eine vorsichtige und schrittweise Lockerung in Betracht“.

Die Bundesländer haben sich im Kampf gegen das Corona-Virus im März auf weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens verständigt. Wirken sie?

Die Maßnahmen wirken. Durch die Kontaktbeschränkungen und die daran gekoppelten Maßnahmen, z.B. im Einzelhandel, konnten wir die Verbreitungsgeschwindigkeit deutlich senken. Das ist das Ergebnis einer großen gemeinsamen Anstrengung der Bevölkerung zugunsten der Risikogruppen. Als Sozialdemokrat sage ich: Solidarität wirkt!

Inzwischen wird darüber diskutiert, wann die Maßnahmen wieder gelockert werden könnten. Wie bewerten Sie die Debatte?

Man muss natürlich darüber nachdenken, wie man die Öffentlichkeit „wiederbelebt“, wenn eine Entspannung der Situation greifbar ist. Derzeit ist es aber noch zu früh, Zeitpunkte zu nennen, an denen alles einfach wieder ganz normal öffnet. Eine Normalität wie vor der Krise wird es so schnell nicht mehr geben. Ich glaube, wir brauchen ein kontrolliertes Hochfahren des gesellschaftlichen Lebens, sobald man die Auswirkungen des Virus beherrschen kann. Das sollte aber wiederum mit Blick auf die Risikogruppen, also Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen, geschehen.

Am Mittwoch wollen Bundekanzlerin und Ministerpräsident*innen über mögliche Lockerungen beraten. Worauf kommt es dabei an?

Es wird auf eine Reihe von Faktoren, wie die Zahl der Neuinfektionen und die Zahl der Genesenen und Immunisierten ankommen. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Frage, ob unser Gesundheitssystem in der Lage ist, die schweren Krankheitsverläufe in der Intensivmedizin zu behandeln. Die Bundesregierung und die Länder lassen sich dabei wissenschaftlich beraten und stimmen sich untereinander über die Umsetzung ab. Auch wenn die neuesten Entwicklungen der Zahlen über die Ausbreitung des Virus Anlass zu vorsichtiger Hoffnung geben, wie es Kanzlerin Merkel sagt, kommt zunächst nur eine vorsichtige und schrittweise Lockerung in Betracht.

Die bisher vereinbarten Maßnahmen laufen bis zum 19. April. Einige Bundesländer haben sie bereits verlängert. Warum gibt es kein bundeseinheitliches Handeln?

Mittlerweile haben fast alle Länder ihre Maßnahmen bis zum 19. April datiert. Ich finde ein gemeinsames Vorgehen, wie wir es im Kreise der Innenminister und -senatoren handhaben, auch hier wichtig. Allerdings haben die Bundesländer natürlich unterschiedliche Faktoren, die sie beachten müssen. Manche haben Außengrenzen, manche haben Meerzugang, bei manchen wird die Wirtschaft maßgeblich von einzelnen Branchen bestimmt. Diese Bundesländer müssen dann geeignete eigene Maßnahmen ergreifen. Dennoch plädiere ich als Vorsitzender der Innenministerkonferenz gerade in Bezug auf mögliche Lockerungen, für ein weitgehend einheitliches Vorgehen aller Bundesländer.

In Ihrem Bundesland Thüringen haben die Städte Jena und der Kreis Nordhausen das Tragen von Mundschutz in der Öffentlichkeit zur Pflicht gemacht. Wäre das auch für ganz Deutschland sinnvoll?

Wenn wir Maßnahmen, wie das Tragen eines Mundschutzes erlassen, müssen wir uns vorher Gedanken über die Umsetzung machen. Das stellt die Menschen hier vor das konkrete Problem, dass es derzeit nicht genügend Masken am Markt gibt und man deswegen auf selbstgenähte Masken oder Schals zurückgreifen muss. Das schützt andere vor Ansteckung, entbindet aber nicht von der ebenfalls wirkungsvollen Kontaktbeschränkung oder dem regelmäßigen Händewaschen. Ich denke, hier sollte man beim Prinzip der Freiwilligkeit bleiben, gleichzeitig aber die Kontaktbeschränkungen strikt einhalten.

Zurzeit wird über die Möglichkeiten von Handy-App zur Eindämmung des Corona-Virus diskutiert. Sind Sie dafür, so eine App bei jedem automatisch auf dem Handy zu installieren, wie es etwa der Chef der Jungen Union vorschlägt?

Auch hier gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Ich will niemandem vorschreiben, einen Geotracker zu installieren, denn das sehe ich als zu starke Einschränkung der Grundrechte. Die freiwillige Nutzung einer Kontakt-App auf Bluetooth-Basis mit anonymisierten Daten kann ich mir hingegen sehr gut vorstellen. Warum sollten wir das Virus nicht mit einer viralen App bekämpfen. Unsere Demokratie darf dabei aber keinesfalls in Mitleidenschaft gezogen werden.

Der Gesprächspartner

Georg Maier (SPD) ist Innenminister von Thüringen und seit 1. Januar Vorsitzender der Innenministerkonferenz.

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Kommentare

Auch Politik selbst darf nicht zum Alltag zurück

Der Ausbruch des Virus in China liegt ja nun eine Weile zurück. Unsere Politik wirkte aber erschreckend unvorbereitet, geradezu überrascht, und getrieben von den Ereignissen. Ein Untersuchungsausschuss zu diesem Thema halte ich für sinnvoll.

Die Politik mutet den Menschen viel zu, handelt aber selber zu sehr im "business as usual" für sich. Man hätte längst die Bildung einer Allparteien-Regierung auf Bundesebene in Angriff nehmen müssen. Der Föderalismus hat sich in dieser Krise absolut nicht bewährt; auch hier muss man schauen, was man ändern muss.

Die mangelnde Vorbereitung auf eine solche medizinische Krise muss aus meiner Sicht ganz sicher zum Rücktritt des zuständigen Fachministers von der CDU führen; das Kaputtsparen des Gesundheitswesen haben aber leider auch wir als SPD mitzuverantworten.

Für die Folgen dieser Krise wird die Politik noch brutal bestraft werden. Wer sich darüber jetzt falsche Hoffnungen macht, liegt falsch. Mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen wird es für uns als SPD um das blanke Überleben gehen. In Thüringen und Sachsen-Anhalt wird es vermutlich ein Kampf mit der 5%-Hürde.

Das Kaputtsparen des Gesundheitswesens ...

Gut, dass dies mal gesagt/geschrieben wurde. Davon ist nämlich viel zu wenig die Rede. Die Verantwortung für dieses
Kaputtsparen tragen die verblendeten Jünger des Neoliberalismus in allen Parteien. Diese wollten vergessen, dass das
Gesundheitswesen Daseinsvorsorge ist / dem Gemeinwohl dienen muss - und keine Spielwiese für entgrenzte Profitmaximierung und hemmungslose Kapitalakkumulation sein darf.

Auch wenn's vielleicht

Auch wenn's vielleicht langweilig ist, immer auf Schweden zu verweisen. Aber was, wenn wir von dem sozialdemokratischen Vorzeigeland doch etwa lernen können?
"Warum Deutschlands Lockdown falsch ist – und Schweden vieles besser macht"
https://www.welt.de/wirtschaft/article207258427/Schweden-als-Vorbild-Fin...

Schweden

Ballungszentren gibt es dort nur an der Südküste und um Stockholm, ansonsten ist das Land dünn besiedelt - sprich der Kontakt in der "Einöde" zu anderen Menschen ist recht gering. So kann man davon ausgehen, daß Corona sich langsam ausbreitet. Vergleichbare Strukturen gibt es in der BRD vielleicht in MecklenburgVorpommern oder hier im Norden Brandenburgs. Ein Ruhrgebiet gibt es in Schweden nicht. Das kann die Voraussetzung für ein anderes Herangehen an diese Krankheitsausbreitung in Schweden sein. Trotz allem ist auch das schwedische Gesundheitssystem anders aufgestellt als das hiesige kaputgesparte und privatisierte.

Ist das dünn besiedelte

Ist das dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern für Touristen nicht abgeriegelt worden von Frau Schwesig? Eine neue innerdeutsche Grenze! Man kann Schweden zwar nicht eins zu eins mit Deutschland vergleichen. Aber in den spärlichen Berichten über Schweden in unseren Medien wird nicht auf den Norden Schwedens Bezug genommen, sondern auf die Hauptstadt Stockholm mit einer Million Einwohnern. Und Fakt ist auch: Kein Shutdown ist kein Shutdown. Davon können wir in Deutschland derzeit leider nur träumen!

Ein Spiel mit dem Feuer !!!

Wie sich die höchstwahrscheinlich völlig vorzeitige Rücknahme (angesichts einer bislang mit ziemlicher Sicherheit noch extem niedrigen Immunisierungsrate im 0-Koma-Bereich) von corona-bedingten Einschränkungen und Verlautbarung, die fälschlicherweise das baldige Ende der Pandemie andeuten, auf die Bereitschaft der Bevölkerung auswirken überhaupt noch Beschränkungen einzuhalten, können wir an empirischen Forschungen der Univers. Erfurt ablesen, die zeigten: Wenn die Angst abnimmt verstärkt sich der Leichtsinn und die Ignoranz !
Momentan fehlt noch immens Personal und Schutzmaterial um die Schwächsten und Anfälligsten der Gesellschaft vor dem Virus zu schützen !
Deshalb wir dort zu Recht und umso mehr die Angst vor Ansteckung steigen, wie sie an anderer Stelle, forciert durch die vorzeitige und fahrlässige Rücknahme v. Schutzmassnahmen abnimmt !!!

https://www.spiegel.de/wissenschaft/corona-krise-gefaehrliche-stimmungsu...

"Wenn die Angst abnimmt

"Wenn die Angst abnimmt verstärkt sich der Leichtsinn und die Ignoranz !"
Nein, das Spiel mit der Angst ist die Gefahr! Denn die Zeit der Virologen ist vorbei:
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article207270421/Experte-Pueschel...

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